Veröffentlicht in Bildung

Koedukation und Mathematik – ein nicht-repräsentatives Ergebnis


Mathematik 1. Klasse / Freitag 6. Stunde. Kein Termin, der normalerweise besonders attraktiv ist oder nach Aktivität klingt. Und tatsächlich sind die Kinder oft müde von der hinter ihnen liegenden Schulwoche: 29 Schulstunden exkl. Hausaufgaben u. dgl. – das entspricht oft einer vollen Arbeitswoche. Man muss sich als Lehrer also was einfallen lassen – wenigstens ab und zu. Wir haben in diesen letzten Stunden von Schulwochen gerechnet und gezeichnet, aber auch gezaubert und recherchiert, und am 1. April haben wir zum Thema Dezimalzahlen einen Teamwettbewerb veranstaltet.

Der Wettbewerb setzte sich aus 8 Aufgaben zusammen. 7 dieser Aufgaben hatten mit Mathematik zu tun. Es musste addiert und subtrahiert und gerundet werden – und außerdem waren zwei Internet-Recherchen eingebaut. Jede dieser Aufgaben lieferte einen Lösungsbuchstaben. Als achte Aufgabe war aus den 7 Buchstaben ein Lösungswort zusammenzusetzen. Es waren Teams von 2 oder 3 TeilnehmerInnen zu bilden. Arbeitsteiliges Arbeiten war ausdrücklich erwünscht.

(Damit wir uns nicht missverstehen: „kompetitive“ – also auf Wettbewerb ausgerichtete – Elemente sollten im Unterricht keine dominierende Rolle spielen. Wir wollen die Kinder zu einem Miteinander führen, nicht zum Gegeneinander. Ich mach das nur in Ausnahmefällen. Und als Teamwettbewerb hat natürlich auch das Miteinander im Team eine gewisse Rolle gespielt. Ab und zu – meine ich – kann man so was verantworten. Die Regel ist es nicht und wird es bei mir auch nicht werden.)

Die Kinder hatten schnell Gruppen gebildet. Alle Gruppen waren homogen bezüglich des Geschlechts – diese Klasse bildet derzeit keine gemischten Gruppen. 4 der Knaben – dicke Freunde – wollten eine Gruppe bilden: ich habs ihnen verboten. 2 der Knaben „blieben übrig“ – ich hab ihnen vorgeschlagen, sich als Gruppe zu definieren. Kurze Diskussion darüber, ob es ungerecht ist, dass manche Teams nur 2 Mitglieder haben, andere aber 3. Ich gebe zu bedenken, dass das nicht so klar sei, ob 3 „besser“ sei als 2. Letztlich starten 10 Teams: 5 weibliche, 5 männliche.

Dann Austeilen der Aufgabenblätter = Spielpläne – und los gehts. Ein buntes Treiben. Ich pendle zwischen der Klasse und dem Informatikraum hin und her und schaue, wo es Hilfestellungen braucht. Nach ca. 30 Minuten sind die ersten fertig. 2 Gruppen „stranden“ im Internet; 8 kommen ins Ziel. Die Kinder haben begeistert gearbeitet.

Und dann das Ergebnis. Im Ziel sind:
1. Daniela / Johanna / Simona
2. Eva / Katharina / Nina
3. Carina / Verena / Viktoria
4. Andrea / Sabrina
5. Felix / Lukas
6. Max / Thomas
7. Elias / Moritz / Stefan
8. Bernhard / Filip / Lukas

Fällt Ihnen was auf? Mir auch.

Die Aufgabenstellung – Mathematik kombiniert mit Internet – ist nach allen Klischees bubenfreundlich. Wenn die Mädchen „hinten“ wären: es wäre sozusagen „kein Wunder“. Aber hier ist das Gegenteil eingetreten. Sind die Buben dieser Klasse dümmer? Hat mein Unterricht die Mädchen bevorzugt?

Ich meine: beides nicht. Es gibt unter den Buben der Klasse einige äußerst intelligente – genau wie unter den Mädchen. Und Lehrer (und auch Lehrerinnen!) bevorzugen im Unterricht normalerweise Buben. Das ist nachgewiesen, und ich habe keinen Grund anzunehmen, dass ich als Lehrer da ganz anders bin. Die Forschungsergebnisse haben dazu geführt, dass von manchen bereits die Aufgabe des koedukativen Unterrichts gefordert wird – damit Mädchen mehr Chancen bekommen.

Nein. Es ist ziemlich eindeutig. Die Mädchen organisieren sich besser als die Buben. Das ist bei Elfjährigen nichts Ungewöhnliches; leider ist es nicht nur bei Elfjährigen so. Unter den Mädchengruppen waren die 3-er-Gruppen „besser“ – mehr Arbeitskräfte leisten da mehr. Unter den Buben waren die 2-er-Gruppen „besser“: da standen einander weniger im Weg; da war es leichter, die Arbeit zu organisieren. Frappantestes Ergebnis: die 2, die bei der Gruppenbildung „übrig“ geblieben waren und ein Team als eine Art Notgemeinschaft bildeten, schnitten innerhalb ihres Geschlechts am besten ab!

Die Mädchen arbeiteten bereits hochgradig arbeitsteilig – und doch zusammen. Da gingen 2 „ins Internet“, während die dritte in der Klasse blieb und dort die rechnerische Knochenarbeit erledigte. Und ich habs mit eigenen Ohren gehört: die beiden, die im Informatikraum waren, beendeten ihre Arbeit möglichst schnell mit den Worten: „und jetzt schnell zurück zur Eva, beim Rechnen helfen!“ Die Gruppe der Siegerinnen spaltete sich kurzzeitig sogar in 3 Teile auf: eine führte die erste Internet-Recherche durch, eine andere die zweite, und die dritte rechnete einstweilen. Unglaublich, zu welchen Organisationsleistungen elfjährige Mädchen spontan in der Lage sind. Viele Erwachsene könnten sich da was abschauen.

Das Ergebnis ist natürlich nicht repräsentativ. Auf seiner Basis kann man keine allgemeinen Aussagen treffen. Aber ich denke, der Befund zeigt in die richtige Richtung. Dass sich die Ergebnisse gar so klar herausstellen, ist auch zufallsbedingt.

Noch eines zeigt das Ergebnis hoffentlich. Koedukation muss den Mädchen nicht schaden. Mit einigem Bewusstsein über Geschlechtsrollen und entsprechendes Verhalten lässt sich einiges auffangen. Mädchen steigen dann nicht schlechter aus, und Buben können in Organisationsfragen noch einiges lernen.


erschienen in: Jahresbericht des BG/BRG Sillgasse. Schuljahr 2004/2005. S. 90f.

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