Veröffentlicht in Bildung

Lernen lernen … in Zeiten nach-dem-Wissen

Maturazeit.

Wenn in einer Schule …

… 36 KandidatInnen zur Reifeprüfung antreten und davon 20 bestehen und also 16 „fliegen“
… die 16 negativ beurteilten KandidatInnen insgesamt 29 Fünfer einstecken
… ein Kandidat mit 4 Fünfern heimgeht und 4 mit je 3 Fünfern
… eine Kandidatin bei einer Prüfung 4 mal treuherzig versichert, von diesem oder jenem Begriff „auch schon gelesen“ zu haben
… wenn die insgesamt 29 Nichtgenügend sich quer durch auf fast alle Fächer verteilen: Informatik, Mathematik, Englisch, Biologie, Chemie, Physik, Philosophie und Psychologie, Geschichte, Deutsch

… was ist dann daraus zu schließen?

Möglichkeiten

Es könnte sich um einen „schwierigen Jahrgang“ handeln. Eine Kollegin hat für die schriftlichen Ergebnisse in Mathe schon skizziert, wie sich der Prüfungs-„Jahrgang“ zusammensetzt: aus tatsächlich vielen mehr oder weniger schwierigen Mathe-Karrieren.

Es könnte sein, dass der gesamte Jahrgang nicht nur in Mathe aus irgendeinem Grund „schwach“ ist: Zentralreifeprüfungsauswirkungen? (Nur zum kleinen Teil.) Kranke Menschen? (Ja, zu einem kleinen Teil sicher: bei einigen gibt es sogar so was wie Atteste.) Lange aufgestaute Problemlagen? (Ja, zum Teil schon, aber warum grad jetzt?)

Es könnte sich auch um eine Anhäufung besonders „anspruchsvoller“ Prüfer handeln, die besonders schwere Aufgaben stellen. Aber ich habe diesen Eindruck ganz und gar nicht.

Ich habe keine klare „Diagnose“. Aber eine Idee.

Ein Verdacht

Es könnte sich um massive Lernprobleme handeln, die heutzutage an sich überall existieren. Die Häufungen von Fünfern bei einigen KandidatInnen und das treuherzige „hab ich auch gelesen“ bringen mich zum Schluss, dass wir es endgültig mit (den Vorläufern) einer Generation zu tun haben, die im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass alles jederzeit nachschlagbar ist, dass man also praktisch nichts mehr „richtig lernen“ muss, dass es reicht, einen Text zu lesen und (halbwegs) zu verstehen, dass das dann bereits als „Lernen“ gilt, weil man sich den Rest eh besorgen kann, wenn man ihn braucht. Eine Generation, die kaum mittel- oder langfristige Lernprozesse erlebt und deshalb auch nicht durchführen kann, wenn sie nötig sind.

Ich unterstelle dieser Generation aber nicht, dass sie nicht will. Sie kann nicht, weil sie es nirgends erfahren muss! Nirgends erfahren kann. (Mit Ausnahmen: im Spitzensport z.B.) Ich unterstelle dieser Generation auch nicht, dass sie „dumm“ ist, dümmer als frühere, dümmer „als wir“. Sie sind nur in einer anderen Situation. Und vielleicht ist das von manchen ja auch gewünscht, dass der kurzfristige „Lernprozess“ aus dem Internet mittel- und langfristiges Lernen überlagert, übertönt, dominiert.

Was kann man da tun?

Unterricht umgestalten, klar. Aber wie? Manche SchülerInnen brauchen auch und immer noch die Unterstützung im Detail, im konkreten „Stoff“.

Manche Schulen haben bereits eigene Fächer für „Lernen lernen“. Aber diese Stunden muss man aus der Gesamtstundentafel irgendwo abzweigen. Kein Fach gibt gern was her. Deshalb haben manche Schulen nicht einmal das. Und mit einer Semesterwochenstunde „Lernen lernen“ kann man nicht alles reparieren.

Die Idee

Ich würde deshalb gern im nächsten Semester eine Art „Förderkurs“ anbieten. Einzelne aus dem Lehrkörper aus verschiedensten Fächern nehmen sich ein einigermaßen komplexes Kapitel ihres Fachs und führen in einer Stunde (oder eineinhalb) vor, wie man dieses Kapitel lernen könnte. 1-2 Schulstunden pro Woche; pro Termin ein Referent / eine Referentin, ein Thema: Wie man den betreffenden Stoff strukturieren könnte, wie man ihn portionieren könnte. Was als Elementarwissen extrem wichtig ist und „auswendig“ (oder englisch „by heart“) beherrscht werden sollte. Wie man dieses Elementarwissen erkennt.

(Oder: man nimmt nicht ein Kapitel des eigenen Fachs, sondern eines „fremden“ …)

Ja, das geschieht im normalen Unterricht wohl auch, aber nicht so explizit. Im normalen Unterricht hat man oft genug mit den Detailproblemen zu tun. Die Sicht aufs Ganze, auf die Struktur benötigt selbst ein langfristiges Denken, das nicht immer leicht zu vermitteln ist.

Ich rechne keineswegs mit einem Run auf so einen Förderkurs, aber vielleicht spricht sich das herum und hilft vielen, Stoff zu strukturieren, zu portionieren und damit lernbar zu machen. Vielleicht macht es auch klar, dass wenn nichts „by heart“ ist, auch kaum etwas dazukommen kann. Dass zu lernender Stoff Netze im Gehirn braucht, an denen er sich festmachen lässt.

Und, last not least, dass Lernen mindestens in einem gewissen Ausmaß harte Arbeit ist und bleibt.

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Jan Kees
Jan Kees
5 Jahre alt

Ja, jetzt verstehe ich dich besser. Auswendig lernen, immer wiederholen damit es im Gehirn gespeichert wird und wenn möglichst auch erfahren, ist unentbehrlich um wirklich etwas zu Wissen.
Wie du auch sagst, es bleibt eine harte Arbeit.
Wir leben tatsächlich in einer Nachschlagkultur.
Ich glaube sicher, dass eine Kurs wie du ihn im Gedanken hast, sehr sinnvoll wäre.