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Putins Rede

Putins Rede

Der russische Präsident hat heute die Rede gehalten, die angekündigt war. Man kann sie auf youTube mit einer untertitelten Übersetzung nachhören. Die Rede war knapp; sie  dauerte ziemlich genau 11 Minuten – davon eine Schweigeminute.

Putin hat Manches gesagt und Vieles nicht gesagt. Wer sich in der Interpretation der Rede nicht von möglicherweise „gefärbten“ Ansichten beeindrucken lassen will, braucht eine Übersetzung. Die Allgäuer Zeitung hat eine Übersetzung zur Verfügung gestellt; nachdem ich nicht weiß, wie lange diese Fassung online sein wird, stelle ich sie auch hier zur Verfügung. Sie stammt offenbar vom online-Übersetzungsdienst deepl.com. (Die Übersetzung dürfte deutlich genauer sein als die gedolmetschte Version im Video.)

Putins Rede im Wortlaut nach Allgäuer Zeitung / deepl.com:

Liebe Bürgerinnen und Bürger Russlands! Liebe Veteranen! Kameraden, Soldaten und Matrosen, Unteroffiziere und Unteroffiziere, Fähnriche und Offiziere! Kameraden, Offiziere, Generäle und Admiräle! Ich gratuliere Ihnen zum großen Tag des Sieges!

Die Verteidigung des Vaterlandes, als über sein Schicksal entschieden wurde, war immer heilig. Mit einem solchen Sinn für echten Patriotismus zogen die Milizionäre von Minin und Pozharsky für das Vaterland in den Kampf, griffen bei Borodino an, bekämpften den Feind bei Moskau und Leningrad, Kiew und Minsk, Stalingrad und Kursk, Sewastopol und Charkow.

Und so kämpfen Sie jetzt, in diesen Tagen, für unser Volk im Donbas. Für die Sicherheit unseres Heimatlandes, Russland.

Der 9. Mai 1945 ist für immer in die Weltgeschichte eingegangen als ein Triumph unseres geeinten sowjetischen Volkes, seiner Einheit und geistigen Kraft, seiner beispiellosen Leistung an der Front und an der Heimatfront.

Der Tag des Sieges ist für jeden von uns ein wichtiges Ereignis. Es gibt keine Familie in Russland, die nicht durch den Großen Vaterländischen Krieg verbrannt wurde. Die Erinnerung daran verblasst nie. An diesem Tag sind die Kinder, Enkel und Urenkel der Helden des Großen Vaterländischen Krieges im endlosen Strom des „Unsterblichen Regiments“. Sie tragen Fotos von ihren Verwandten, von gefallenen Soldaten, die für immer jung geblieben sind, und von Veteranen, die uns bereits verlassen haben.

Wir sind stolz auf die unbesiegte und tapfere Generation der Sieger, wir sind ihre Erben, und es ist unsere Pflicht, derer zu gedenken, die die Nazis vernichtet haben, und derer, die uns vermacht haben, wachsam zu sein und alles zu tun, damit sich das Grauen des globalen Krieges nicht wiederholt.

Deshalb hat sich Russland trotz aller Meinungsverschiedenheiten in den internationalen Beziehungen stets für die Schaffung eines Systems gleicher und unteilbarer Sicherheit eingesetzt, das für die gesamte Weltgemeinschaft von entscheidender Bedeutung ist.

Im vergangenen Dezember haben wir vorgeschlagen, einen Vertrag über Sicherheitsgarantien zu schließen. Russland forderte den Westen auf, einen ehrlichen Dialog zu führen, nach vernünftigen Kompromisslösungen zu suchen und die Interessen der jeweils anderen Seite zu berücksichtigen. Alles umsonst. Die NATO-Länder wollten uns nicht hören, was bedeutet, dass sie in Wirklichkeit ganz andere Pläne hatten. Und wir haben es gesehen.

Die Vorbereitungen für eine weitere Militäroperation im Donbass und eine Invasion in unsere historischen Gebiete, einschließlich der Krim, waren offen im Gange. Kiew kündigte den möglichen Erwerb von Atomwaffen an. Der NATO-Block begann mit der aktiven militärischen Erschließung der an unser Land angrenzenden Gebiete.

Auf diese Weise wurde systematisch eine für uns völlig inakzeptable Bedrohung geschaffen, und zwar direkt an unseren Grenzen. Alles deutete darauf hin, dass ein Zusammenstoß mit den Neonazis, den Banderisten, auf die die USA und ihre jüngeren Mitstreiter gesetzt hatten, unvermeidlich sein würde.

Auch hier sahen wir, wie die militärische Infrastruktur aufgebaut wurde, wie Hunderte von ausländischen Beratern ihre Arbeit aufnahmen und wie regelmäßig die modernsten Waffen aus den NATO-Ländern geliefert wurden. Die Gefahr wurde von Tag zu Tag größer.

Russland hat präventiv auf die Aggression reagiert. Es war eine erzwungene, rechtzeitige und die einzig richtige Entscheidung. Die Entscheidung eines souveränen, starken und unabhängigen Landes.

Vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen die Vereinigten Staaten, von ihrer Ausnahmestellung zu sprechen und demütigten damit nicht nur die Welt, sondern auch ihre Satelliten, die so tun müssen, als würden sie es nicht bemerken, und es mit Ehrerbietung schlucken.

Aber wir sind ein anderes Land. Russland hat einen anderen Charakter. Wir werden niemals unsere Liebe zum Vaterland, unseren Glauben und unsere traditionellen Werte, unsere angestammten Bräuche und unseren Respekt vor allen Völkern und Kulturen aufgeben.

Und im Westen scheinen diese jahrtausendealten Werte beschlossen zu haben, sie abzuschaffen. Diese moralische Degradierung wurde zur Grundlage für die zynische Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die Schürung von Russophobie, die Verherrlichung von Verrätern, die Verhöhnung des Gedenkens an ihre Opfer und die Verharmlosung des Mutes derer, die den Sieg errungen und erlitten haben.

Wir wissen, dass amerikanische Veteranen, die an der Parade in Moskau teilnehmen wollten, praktisch daran gehindert wurden. Aber ich möchte, dass sie wissen, dass wir stolz auf Ihre Leistungen und Ihren Beitrag zu unserem gemeinsamen Sieg sind.

Wir ehren alle Soldaten der alliierten Armeen – die Amerikaner, die Briten, die Franzosen -, die Teilnehmer der Resistance, die tapferen Soldaten und Partisanen Chinas, alle, die den Nazismus und Militarismus besiegt haben.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Heute kämpft die Donbass-Miliz gemeinsam mit den Soldaten der russischen Armee auf dem Boden, auf dem Swjatoslaw und Wladimir Monomach, Rumjanzew und Potemkin, Suworow und Brusilow standen, wo die Helden des Großen Vaterländischen Krieges – Nikolaj Watutin, Sidor Kowpak und Ljudmila Pawlitschenko – den Tod fanden.

Ich wende mich nun an unsere Streitkräfte und die Miliz im Donbass. Sie kämpfen für das Vaterland, für seine Zukunft, damit niemand die Lehren des Zweiten Weltkriegs vergisst. Damit es keinen Platz auf der Welt für Henker, Bestrafer und Nazis gibt.

Heute verneigen wir uns vor all denen, die im Großen Vaterländischen Krieg ihr Leben verloren haben, vor unseren Söhnen, Töchtern, Vätern, Müttern, Großvätern, Ehemännern, Ehefrauen, Brüdern, Schwestern, Verwandten und Freunden.

Wir verneigen uns vor dem Gedenken an die Märtyrer von Odessa, die im Mai 2014 im Gewerkschaftshaus lebendig verbrannt wurden. Im Gedenken an die älteren Menschen, Frauen und Kinder im Donbass, die durch den rücksichtslosen Beschuss und die barbarischen Angriffe der Neonazis getötet wurden. Wir verneigen uns vor unseren Mitstreitern, die den Tod der Tapferen in einem gerechten Kampf starben – für Russland.

Es wird eine Schweigeminute eingelegt.

(Schweigeminute.)

Der Tod eines jeden unserer Soldaten und Offiziere ist für uns alle ein großer Schmerz und für die Angehörigen und Freunde ein unwiderruflicher Verlust. Der Staat, die Regionen, die Unternehmen und die öffentlichen Einrichtungen werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um sich um diese Familien zu kümmern und ihnen zu helfen. Wir werden die Kinder von gefallenen und verwundeten Mitstreitern besonders unterstützen. Ein entsprechendes Dekret des Präsidenten wurde heute unterzeichnet.

Ich wünsche den verwundeten Soldaten und Offizieren eine baldige Genesung. Und ich danke den Ärzten, Sanitätern, Krankenschwestern und dem medizinischen Personal der Militärkrankenhäuser für ihre selbstlose Arbeit. Ich verneige mich vor Ihnen, weil Sie um jedes Leben kämpfen – oft unter Beschuss, an vorderster Front, ohne sich zu schonen.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Soldaten und Offiziere aus vielen Regionen unseres riesigen Mutterlandes, darunter auch solche, die direkt aus dem Donbas, aus dem Kampfgebiet, gekommen sind, stehen hier auf dem Roten Platz Schulter an Schulter.

Wir erinnern uns daran, wie Russlands Feinde versuchten, internationale Terrorbanden gegen uns einzusetzen, um nationale und religiöse Feindschaft zu säen, um uns von innen heraus zu schwächen und zu spalten. Nichts hat funktioniert.

Heute kämpfen unsere Kämpfer verschiedener Nationalitäten gemeinsam und schützen sich gegenseitig vor Kugeln und Splittern wie Brüder.

Und das ist die Stärke Russlands, die große, unzerstörbare Stärke unseres vereinten multinationalen Volkes.

Heute verteidigen Sie das, wofür Ihre Väter, Großväter und Urgroßväter gekämpft haben. Der höchste Sinn ihres Lebens war immer das Wohlergehen und die Sicherheit unseres Vaterlandes. Und für uns, ihre Erben, ist die Hingabe an das Vaterland der höchste Wert, ein verlässlicher Pfeiler der Unabhängigkeit Russlands.

Diejenigen, die den Nationalsozialismus während des Großen Vaterländischen Krieges zerschlagen haben, haben uns ein Beispiel für Heldentum für alle Zeiten gegeben. Dies ist die Generation der Gewinner, und wir werden immer zu ihnen aufschauen.

Ruhm für unsere tapferen Streitkräfte!

Nach Russland! Auf den Sieg!

Hurra!

Feststellungen zur Rede

1. „Krieg“: Wenn Putin vom „Krieg“ spricht – das Wort kommt 8 mal vor, spricht er vom „Großen Vaterländischen Krieg“ oder vom „Zweiten Weltkrieg“. Er spricht nicht von einem Krieg in der Ukraine – dieses Wort kommt nicht vor, aber er erwähnt 6 mal das Donezk-Becken, den Donbass. 4 mal kommt „Sicherheit“ vor: 2 mal im Zusammenhang mit dem Donbass, 2 mal im Zusammenhang mit (offenbar gescheiterten) internationalen Verhandlungen über die Sicherheit Russlands. Die „Sicherheitsoperation im Donbass“ nennt Putin in der Rede nie so; er spricht aber von Kämpfen im Donbass. Er unterstellt allerdings dem Westen, dass dieser eine „Militäroperation“ im Donbass und eine „Invasion“ geplant habe. Die „Donbass-Miliz [kämpfe] gemeinsam mit den Soldaten der russischen Armee“ gegen „Henker, Bestrafer und Nazis“. Er gibt zu, dass Russland in diesen Kämpfen Verluste erleidet und verspricht den Angehörigen gefallener Soldaten und Offiziere „besondere Unterstützung“. Der Donbass sei „Kampfgebiet“ – nicht etwa die Ukraine.

2. Atomkrieg: Putin spricht nirgends vom möglichen Einsatz nuklearer Waffen.

3. Geschichte: Putin spricht i.W. vom 2. Weltkrieg und der Zeit danach. Er geht mit der Erwähnung der Schlacht von Borodino kurz zurück bis ins Jahr 1812 und in die Napoleonischen Kriege.

4. Gebietsansprüche: Putin erhebt explizit keine Gebietsansprüche, spricht aber von einer geplanten Invasion „in unsere historischen Gebiete, einschließlich der Krim“. Daraus kann man implizit die Forderung nach einer Eingliederung des Donbass und der Krim in die Russissche Föderation ableiten.

5. NATO: Die NATO wird als unzuverlässiger Gesprächspartner dargestellt: „Die NATO-Länder wollten uns nicht hören, was bedeutet, dass sie in Wirklichkeit ganz andere Pläne hatten.“ Die NATO habe an Russland angrenzende Gebiete „aktiv militärisch erschlossen“.

6. Die Rede greift wiederholt zurück auf russische Traditionen und Bräuche: die „Liebe zum Vaterland, unseren Glauben und unsere traditionellen Werte, unsere angestammten Bräuche und unseren Respekt vor allen Völkern und Kulturen“. Es geht um „Patriotismus“, um „heilige“ Gefühle.

7. Putin bezieht sich bei der Nennung der Opfer, die in der Vergangenheit für die Sowjetunion gefallen sind, auf russische und ukrainische Personen.

Einschätzung der Rede

Die Rede wird von einigen Kommentator*innen und politischen Analytiker*innen als „konservativ“ und politisch „vorsichtig“ gewertet. Sie enthält jedenfalls keine wirkliche Kriegserklärung und auch nicht eine Ankündigung einer Generalmobilmachung.

Wenn man will, könnte man m.E. aus der Rede eine Bereitschaft für Verhandlungen über eine Neutralität der Ukraine und über den Status von Donbass und Krim herauslesen. Das hätte ich bereits vor Längerem als einen akzeptablen Friedensplan bezeichnet, mit dem man sehr viel Schmerz und Elend ersparen könnte: eine Neutralität nach österreichischem Muster und Autonomien für Russisch sprechende Regionen wie Krim und Donbass nach Südtiroler Muster. (Davor müsste allerdings ein Waffenstillstand stehen und ein Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine.) Die Autonomie nach Südtiroler Muster könnte eine dauernde sein – wie in Südtirol; man könnte allerdings auch nach 10 oder 15 Jahren über die Staatszugehörigkeit abstimmen lassen – das dann (z.B.) unter UNO-Aufsicht.

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m.b.
m.b.
1 Jahr alt

ich habe den eindruck, putin würde an sich gern klein beigeben, wenn er nur ohne wirklichen gesichtsverlust aus der malaise entkäme. mit einer autonomie des donbass und der krim und einer neutralität der ukraine wäre das evtl. erreichbar.