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Michael Bürkle

Helden? Wozu?

Russland fordert die Kapitulation von Mariupol

Im Angriffskrieg, den die russische Föderation gegen die Ukraine führt, ist die Hafenstadt Mariupol von russischen Truppen im Wesentlichen eingenommen. Russland fordert die einige hundert ukrainischen Soldaten, die sich in einem Stahlwerk verschanzt haben, auf sich zu ergeben. Die Ukraine lässt die Frist verstreichen.

Es ist klar, dass Mariupol für die Ukraine den Zugang zum Asow’schen Meer sichert und damit eine erhebliche strategische Bedeutung hat. Aber ist eine Kriegsführung, die einige 100 – man liest auch 2.000 – Soldatinnen und Soldaten in den sicheren Tod schickt, verantwortungsvoll? (Gut: man weiß auch nicht, was mit diesen Soldat*innen geschähe, wenn sie sich ergäben. Russische Menschenrechtsverletzungen sind ausreichend dokumentiert.) Braucht die Ukraine so viele tote „Helden“?

Die ukrainische Führung?

Ich verstehe auch andere Maßnahmen der ukrainischen Führung nicht. Ich verstehe nicht die Ausladung des deutschen Bundespräsidenten Steinmeier, der früher, als Kanzleramts- und als Außenminister, mit Russland und Putin zusammengearbeitet hat. (Sehr viele haben versucht, mit Russland und Putin zusammenzuarbeiten.) Ich verstehe nicht die wiederholte Forderung nach einer von der NATO überwachten Flugverbotszone, die garantiert zu Kämpfen zwischen NATO-Truppen und russischem Militär und damit an einen Dritten Weltkrieg führen würde. Ich verstehe auch nicht, dass der ukrainische Botschafter in Deutschland Sympathien für ukrainische Rechtsextreme äußert

Russland führt einen völkerrechtlich verbrecherischen Angriffskrieg; das ist klar. Die Interessensgegensätze zwischen Russland und der Ukraine müssten und könnten auf dem Verhandlungsweg gelöst werden. Aber weder die Russen noch die Ukrainer wollen im Ernst verhandeln. Putin und seine Führungsclique sind in meinen Augen Verbrecher; ja. Aber mir ist auch nicht völlig klar, welches Süppchen Selenskiy und die ukrainische Führung am Köcheln halten.

Und wir?

Unsere Gesellschaft malt schwarz-weiß. „Helden“ lassen sich gut verkaufen; wir mögen Helden. Putin ist jetzt „böse“, also ist Selenskiy „gut“.

Ich bin für eine etwas differenziertere Darstellung.


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Kommentare

3 Antworten zu „Helden? Wozu?“

  1. Avatar von Wolfgang Muth
    Wolfgang Muth

    Hallo Michael,

    Mit deiner Analyse sprichst du uns aus der Seele. Auch dein skizzierter Friedensplan, ähnliche Gedanken habe ich übrigens schon vor mehreren Wochen nur so zum Nachdenken an unseren Außenminister geschickt, könnte funktionieren, aber natürlich nur wenn der gute Willen vorhanden ist.

    Ich denke man sollte auch den Vorschlag einer neutralen Ukraine mit den fünf Vetomächten im Sicherheitsrat als Garantiemächten nicht reflexartig verwerfen, nur weil er aus dem Kreml kommt.

    LG Wolfgang und Evelyn

    1. Avatar von Whisker
      Whisker

      Also was den Vorschlag einer neutralen Ukraine betrifft: der ist alles andere als neu, sondern das war ja bereits der Fall.

      Denn im Budapester Memorandum von 1994 verpflichtete sich neben den USA und dem UK auch Russland dazu:

      1. die Souveränität und die bestehenden Grenzen von Kasachstan, Belarus und der Ukraine zu achten,
      2. keinen ökonomischen Zwang auszuüben, um „die Souveränitätsrechte der Ukraine den eigenen Interessen zum eigenen Vorteil unterzuordnen“,
      3. und sich unmittelbar zur Unterstützung der Ukraine einzuschalten, falls diese mit Nuklearwaffen bedroht würde.

      Als Gegenleistung dafür gaben Kasachstan, Belarus und die Ukraine sämtliche Nuklearwaffen an Russland ab und verpflichteten sich, auch zukünftig auf Nuklearwaffen zu verzichten.
      Aber was diese Garantien Russlands wert waren bzw. sind, das sieht man jetzt sehr deutlich: nämlich nichts – im Gegenteil: Russland droht ja sogar seit Beginn des Krieges ganz unverholen damit, Nuklearwaffen einzusetzen, wenn es das will.

      D.h. die Garantien Russlands und vor allem die bereits bestehende Neutralität der Ukraine haben sich sowohl durch die russische Besetzung von Donezk, Luhansk und der Krim im Jahre 2014 als auch den jetzigen Überfall Russlands als nicht einmal das Papier wert erwiesen, auf dem sie 1994 vereinbart wurden.

      Und deswegen kann ich es der Ukraine absolut nicht verdenken, wenn sie auf solche Vorschläge – excuse my French – in Zukunft einfach nur scheißt, und ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Ukraine jetzt lieber auf Nummer sicher gehen will und lieber früher als später nicht nur ein Mitglied der EU werden möchte (das läuft ja jetzt bereits), sondern auch der NATO.

      Denn Russland ist unter Putins Präsidentschaft (und wohl auch noch einige Zeit danach, weil so schnell wird Russland wohl auch nach dem Abdanken Putins keine stabile Demokratie werden) eben schlichtweg nicht vertrauenswürdig.

      Und damit sind Vorschläge für eine neutrale Ukraine halt nix anderes als nur ziemlich naive Wünsche ans Christkind.

  2. Avatar von Whisker
    Whisker

    Was Heldentum angeht:
    Als ich in den 90ern ein junger Zeitsoldat war, meinte ein Zugskommandant von mir einmal sehr trocken: „Heldentum ist sehr oft auch nur ein Mangel an Alternativen“.

    Was er damit meinte, war: Menschen werden oft zu dem, was man als „Held“ bezeichnet, weil sie in einer Situation stecken, die ausweglos ist oder zumindest zu sein scheint, und dann entscheiden sich eben auch manche dazu, nicht einfach aufzugeben, sondern sagen sich:
    „Okay, ich komm da vielleicht nicht mehr raus, aber dann kann ich genausogut schauen, dass ich mit dem, was ich jetzt noch tue, vielleicht noch irgendetwas bewirke und ich deswegen nicht ganz umsonst draufgehe“.

    D.h. es ist durchaus möglich, dass die ukrainischen Soldaten, die in Mariupol noch aushalten, nicht alle ganz freiwillig dort bleiben (inwiefern das der Fall ist, weiß ich allerdings schlichtweg nicht, nach meinen Beobachtungen würde sowas allerdings eher zur russischen Führung passen, weil die scheint am Überleben und Wohlergehen der eigenen Soldaten deutlich weniger interessiert zu sein).
    Und solche unbedingten Haltebefehle sind immer zu hinterfragen, auch weil ein toter Soldat nie wieder kämpfen wird, während ein gefangener Soldat oder einer, der „nur“ abzieht, eventuell wieder eingesetzt werden kann, wenn er gebraucht wird und dazu fähig ist.

    Aber genauso ist es z.B. auch möglich, dass es unter den Soldaten in Mariupol auch welche gibt, die sich jetzt sagen: „Solange ich hier weiterkämpfe, binde ich damit russische Kräfte, die deswegen woanders nicht eingesetzt werden können, und das verschafft anderen ukrainischen Kräften an einer anderen Stelle vielleicht genau den notwendigen Vorteil, den sie brauchen, um ihr Ziel zu erreichen“.

    D.h. ja, eine differenzierte Betrachtung und auch Darstellung von Helden ist absolut notwendig – und auch eine möglichst unvoreingenommene, denn wenn sich Menschen selbständig und aus freien Stücken dazu entscheiden, etwas zu tun, weswegen sie später als Helden (oder auch Heldinnen) verhert werden, dann muss man das als deren eigenständige Entscheidung ebenfalls akzeptieren und respektieren.

    Verordnen oder befehlen kann und darf man Heldentum jedenfalls nicht, sondern das muss man letzten Endes schon dem einzelnen Menschen überlassen und auch akzeptieren, wenn jemand sich dagegen entscheidet.

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