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Michael Bürkle

Dummheit ist nicht NS-Verharmlosung

Der Vorfall

Der ORF berichtet, der Staatssekretär für Deregulierung, Sepp Schellhorn (NEOS), habe sich in einer Diskussion im Privatsender Puls4 folgendermaßen über einen Vorfall in einem Zug beschwert, bei dem er „angepöbelt“ und „beschimpft“ worden sei:

Das ist eben die Frage. Wie reagiert man darauf, wenn einem vier Männer, nicht mehr ganz nüchtern, gewisse Dinge an den Kopf werfen […] Ich habe mich gefühlt wie vor 85 Jahren. Soll man flüchten, soll man aufstehen, wohin geht man? Man kann nicht auf die Straße, man kann nicht die Straßenseite wechseln, man könnte höchstens das Abteil, den Waggon wechseln.

Gegangen sei es beim Pöbel-Angriff offenbar um den teuren Dienstwagen, den sich Schellhorn leistet.

Die Anzeige

Nun sei Schellhorn wegen dieser Aussage von zwei Rechtsanwälten bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen möglicher Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen angezeigt worden. Im Verbotsgesetz heißt es nämlich:

Wer öffentlich den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht, ist mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

„Vor 85 Jahren“

Vor 85 Jahren war 1940; da gab es kein Österreich, es tobte der Zweite Weltkrieg; neben dem Krieg beherrschte in Deutschland (und Österreich als „Ostmark“) der Terror der Nazis in Form von SS, SA und dem Mitläufertum mit der alltäglichen Überwachung in Form von Denunziation das Leben der Menschen. Ich kann mich daran nicht erinnern: ich bin erst 17 Jahre später auf die Welt gekommen. Aber ich habe das gelernt. Schellhorn kann sich auch nicht daran erinnern; er ist noch 10 Jahre später auf die Welt gekommen. Aber vielleicht hat er darüber nicht allzu viel gelernt?

Hat Schellhorn mit seinem Fernseh-Sager den NS-Völkermord oder Nazi-Verbrechen „geleugnet, verharmlost, gerechtfertigt“? Ich glaube nicht; die Anzeige der beiden Rechtsanwälte wird nichts bringen; sie ist überzogen und tut auch der Aufarbeitung von Alltags-Faschismus nichts Gutes – finde ich.

Wie denkt Schellhorn?

Schellhorn zeigt mit seinem Sager, dass er nur sehr wenig begriffen hat. Der NS-Terror hat nicht (nur) darin bestanden, dass Angetrunkene andere Menschen angepöbelt und beschimpft haben. Das kommt heute noch vor und nicht nur „bei uns“; das ist allgemeines machistisches Arschloch-Verhalten. Im NS-Terror konnte man auch nicht einfach den Waggon wechseln, wie das Schellhorn noch in Betracht gezogen hat.

Schellhorn hat intuitiv verstanden, dass man Ereignisse dramatisieren kann, wenn man sie mit der Zeit des NS-Systems und / oder  des Weltkriegs in Verbindung bringt, auch wenn die Verbindung noch so blöd und unsachlich ist. Das ist für einen aktiven Politiker und „Staatssekretär für Deregulierung“ schon ziemlich dumm. Aber Dummheit ist nicht strafbar.

Regeln und Deregulierung

Der Staatssekretär für Deregulierung fürchtet sich offenbar vor einer Gesellschaft mit zu wenigen Regeln. Da ist er als Ober-Deregulierer vielleicht keine Idealbesetzung. Wenn wir alles deregulieren, haben es die machistischen Arschlöcher einfacher. Regeln als solche sind nicht unbedingt schlecht. Vor allem nicht im Kapitalismus.


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