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Michael Bürkle

Der „Fall Pilz“

Was gilt als „sexuelle Belästigung“? Der Fall zeigt Wesentliches

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Vorwurf 1: Die grüne Vorgeschichte 2015/16

Seit gestern kündigten sich Klagen gegen den Politiker Peter Pilz an wegen „sexueller Belästigung“. Die Presse und profil berichteten online über Vorwürfe einer ehemaligen Mitarbeiterin von Pilz im Grünen Klub aus Herbst 2015 bis Frühjahr 2016. Diese Vorwürfe führten zu einer Klage der Mitarbeiterin bei der Gleichbehandlungskommission und zu einem Schreiben der Kommission vom 27.1.2016 an den Grünen Klub.

profil zitiert aus dem Schreiben als Vorwürfe an Pilz „Kussversuche“, Einladungen zu Spaziergängen und auf Pilz‘ Almhütte und zu einer Reise nach Paris. Dazu „schlüpfrige Kalauer“ und „unziemliche“ Anreden wie Baby und Piccola.

Die Presse nennt die Anrede Schatzi und eine Einladung zu einem gemeinsamen Urlaub, „unsittliche“ Berührungen und ebenfalls „unziemliche“ Aufforderungen.

Die Gleichbehandlungskommission habe die Angaben als begründet angesehen.

Die Mitarbeiterin von Pilz habe auf Verschwiegenheit Wert gelegt; es sei deshalb zwischen den Anwälten der Mitarbeiterin und von Pilz eine Stillhalteklausel vereinbart worden.

Die Verteidigung von Pilz

Pilz behauptet in seiner heutigen Pressekonferenz, dass die Einladung auf die Almhütte sich auf sein gesamtes Parlamentsteam (4 Personen) bezogen habe und zur Teambildung gedacht war. Die Anrede Schatzi und andere Bemerkungen seien frei erfunden, das gehöre nicht zu seinem aktiven Wortschatz. Die Reise nach Paris sei eine rein berufliche Reise zur OSZE gewesen, an der seine Mitarbeiterin selbst teilnehmen wollte.

Pilz behauptet weiters, dass er nie die Gelegenheit bekommen habe, das Schreiben der Gleichbehandlungskommission zur Gänze zur Kenntnis zu bekommen; man habe dieses Schreiben nur „auszugsweise“ mit ihm besprochen. Die Ex-Mitarbeiterin sei dagegen gewesen, dass er den gesamten Inhalt des Schreibens erfahre. Er habe deshalb keine Klärung einklagen können, obwohl er das mehrfach versucht habe.

Pilz vermutet in der nun erfolgten Veröffentlichung einen „Revancheakt“, der ihn aber nicht zu einer Nicht-Annahme des Mandats gebracht habe. Er hätte diese Angelegenheit ausjudizieren lassen: „Für mich wäre das kein Grund gewesen, mein Mandat im kommenden Nationalrat nicht anzunehmen. Ich hätte das ausgefochten und geklärt.“

Wo kommt Vorwurf 1 her?

Wo kommt der Vorwurf her? Warum kommt er jetzt? Wer hat Presse und profil informiert?

Kommen kann das nur von den Grünen oder direkt aus der Gleichbehandlungskommission. Wer hat etwas davon, dass Pilz jetzt und auf diese Weise desavouiert wird?

Will sich wer von den Grünen rächen und zieht dazu den bisher geheim gehaltenen, nie rechtlich geklärten Akt ans Tageslicht?

Vorwurf 2: Alpbach 2013

Seit heute früh ist allerdings ein zweiter Vorwurf im Raum. Den hat ein Redakteur des Falter recherchiert. Ein ziemlich betrunkener Peter Pilz habe beim Europäischen Forum Alpbach 2013 eine junge Frau in aller Öffentlichkeit, vor Zeugen begrapscht: „Plötzlich wurde die ganze Situation noch sehr viel unangenehmer: seine Hände waren überall! Zuerst umklammerte er meinen Arm, […] Das ging alles ziemlich schnell. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen, geschweige denn wehren“, zitiert der Falter die Frau.

Laut Falter sei die Frau „EVP-Mitarbeiterin“ gewesen und von Pilz auch so identifiziert worden. Sie habe sich überlegt, vor der Wahl die Angelegenheit zu veröffentlichen, habe aber Abstand davon genommen, weil es „kurz vor der Wahl, fast vier Jahre nachdem es passiert ist; auch wenns von Zeugen bestätigt wird, […] wohl plump konstruiert“ wirke.

Pilz‘ Reaktion

Pilz sagt heute, er könne sich nicht daran erinnern: „Ich habe keine Erinnerung mehr an diesen Vorfall.“ Aber auch eine Erinnerungslücke entbinde ihn nicht der Verantwortung. Er vertraue auf die Seriosität der Recherche und nehme deshalb das Mandat im Nationalrat nicht an.

Das einzige, was ich hier nicht ganz verstehe: Pilz kann sich selbst nicht erinnern und vertraut auf einen Journalisten, der sagt, es gebe Zeugen. Das muss ein Journalist mit sehr sehr gutem Ruf sein.

Wo kommt Vorwurf 2 her?

Der kann eigentlich nur von der belästigten Frau oder einem der Zeugen kommen. Aus dem Umfeld der ÖVP?

Wer hat etwas von dem Vorwurf zum jetzigen Zeitpunkt? Warum kam er nicht vor der Wahl? Wem nützt das, dass das jetzt, 4 Jahre nach dem Ereignis, aufkocht?

Geht es darum, einen möglicherweise gefährlichen Oppositionspolitiker auszuschalten, aber erst jetzt, nachdem er durch seine Kandidatur die Grünen so geschwächt hat, dass sie aus dem Parlament geflogen sind?

Was macht nun sexuelle Belästigung aus?

Ich denke, anhand des „Falls Pilz“ lassen sich wesentliche Aspekte von sexueller Belästigung gut darstellen. Der „Fall Pilz“ hat eine grüne, „nüchterne“, berufliche Dimension, in der ein hierarchisches Dienstverhältnis von Chef / Sekretärin eine Rolle spielt, und eine allgemeine, „besoffene“, außerberufliche Komponente, in der es um Geschlecht an sich geht.

Was ist sexuelle Belästigung?

Was sollen wir unter sexueller Belästigung verstehen? Schon Anreden wie Schatzi, Baby, Piccola? „Kussversuche“? Einladungen zu einem Frühstück (auch wenn es ein Arbeitsfrühstück ist)? Einladungen auf eine Alm (auch wenn es der Teambildung dient)? Einladungen zu einer Reise nach Paris (auch wenn sie berufsbedingt ist und zur OSZE führt)?

„me too“? Ich habe zu meinen Sekretärinnen auch schon einmal „Mädels“ gesagt. Und mich am gleichen Nachmittag noch dafür entschuldigt und für die Entschuldigung fast schon Irritation geerntet, weil es sie keineswegs gestört hatte. Eine Kollegin sagt mir, dass einer meiner Vorgänger als Direktor seine Kolleginnen generell „Mädels“ genannt habe und dass sie das damals niemals als Belästigung empfunden hat. Ich habe ihr geantwortet, dass ich das umgekehrt nicht toleriert hätte.

Kussversuche als sexuelle Belästigung? Heikel. Hängt von der Gesellschaft ab, in der man sich bewegt. Es gibt Teile unserer Gesellschaft, in denen das „Bussi“ zum guten Ton gehört. Es gibt Teile unserer Gesellschaft, die das „Bussi“ gar nicht kennen. Aber der Kussversuch an sich kann noch nicht sexuelle Belästigung sein, finde ich.

Ich denke, auf dieser Ebene ist nichts vom Genannten a priori sexuelle Belästigung. Es wird sexuelle Belästigung, wenn (a) es von den Betroffenen als solche empfunden wird, (b) diese Empfindung als solche geäußert wird („Nein!“), aber (c) das Verhalten trotzdem fortgesetzt wird. Aber es ist ein „Nein!“ nötig, und so lange das nicht erfolgt, liegt keine Belästigung vor.

Berufliche Beziehungen, Arbeitsbeziehungen können sehr intensiv werden und sich relativ leicht auf persönliche, erotische, sexuelle Beziehungen erweitern. Das passiert millionenfach. Hier a priori enge Grenzen zu ziehen, ist sinnlos; unmöglich. Natürlich ist das gerade in unsymmetrischen Arbeitsbeziehungen äußerst heikel und kann leicht mit privatem Druck vermengt werden. Wie freiwillig ist z.B. die „freundschaftliche“ Beziehung der Sekretärin zum Chef (des Sekretärs zur Chefin / der Sekretärin zur Chefin / des Sekretärs zum Chef)?

Anders die „b’soffene G’schicht“ aus Alpbach. Die ist – wenn sie halbwegs so passiert ist wie berichtet – jedenfalls Belästigung, und sie hat eine klare sexuelle Dimension. Die einzige mögliche Entschuldigung wäre eine verminderte Zurechnungsfähigkeit wegen Alkoholisierung. Aber auch für die eigene Alkoholisierung und was man in ihr tut, ist man letztlich verantwortlich.

Pilz legt hier strenge Maßstäbe an und er ist dafür zu respektieren. Finde ich.


Lit.:
Falter-Artikel
Presse-Artikel
profil-Artikel
neuwal-Transkript


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Kommentare

3 Antworten zu „Der „Fall Pilz““

  1. Avatar von m.b.
    m.b.

    kläglich, die performance von pilz. wenn einer in aller öffentlichkeit betrunken grapscht, klammert und greift, muss er sich nicht mehr über parteipolitisch motivierte intrigen gedanken machen. klar kommt die sache ans tageslicht, wenn das thema einmal aufgemacht ist; auch dazu brauchts keine intrigen.
    als parlamentarischer mitarbeiter kann p.p. noch durchgehen. mehr nicht.
    unabhängig davon: wenn jemand angezeigt wird, egal wo, muss er das recht haben, den inhalt der klage zu erfahren, um dagegen rechtlich vorgehen zu können.
    mb

    1. Avatar von peppone
      peppone

      „wenn einer in aller öffentlichkeit betrunken grapscht, klammert und greift, muss er sich nicht mehr über parteipolitisch motivierte intrigen gedanken machen“

      Ich denke da anders.
      Ich denke, dass man sich sowohl über das „sowohl“ als auch über das „als auch“ getrennt voneinander Gedanken machen kann und sollte.
      🙂

      Zur behaupteten Gschicht mit der in einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden grünen Sekretärin/ Assistentin erscheint mir persönlich – nach allem was inzwischen das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat – die Pilz’sche Version, dass ER hier das Opfer ist und nicht sie, mehr als plausibel.
      Dort sehe ich auch politische (wenn auch nicht unbedingt nur bzw ausschliesslich unmittelbare grün-parteipolitische) Intriegenspiele durchaus im Spiel.

      qui bono Nagelprobe:
      man erinnere die unglaublich vielen Hass- und Geiferpostings in unsozialen Medien VOR der Wahl mit dem klar geäusserten Ziel die Grünen zu vernichten.
      Einer Liste Pilz wurden sowieso kaum realen Chancen eingeräumt, nicht wenige angebliche proPilz Poster dürften anfänglich auch in die Kategorie der agent provocateurs – mit dem genauen Gegenteil im Sinn – gefallen sein.
      Die Vernichtung der Grünen ist inzwischen mehr oder weniger „gelungen“, die Vernichtung der (noch-)Liste Pilz ist „work in progress“ (nicht nur medial wurde vieles getan um zu verhindern bzw zu erschweren dass aus der Liste Pilz was wird)
      🙂

      Die angebliche Filmrissgschicht in Alpbach ist da schon ein ganz anderes Kaliber.
      Dass sich der Pilz daran nicht erinnern könne, scheint mir jetzt nicht a priori an den Haaren herbeigezogen, hat doch der Klenk vom Falter, welcher diese Gschicht recherchiert und veröffentlicht hatte, sich scheinbar nicht nur an keine spezifische Begebenheit mehr erinnert, sondern VOLLSTÄNDIG vergessen gehabt, dass er damals ebenfalls dort gewesen war.
      https://www.puls4.com/puls-4-news/wie-jetzt-puls-4-fragt-nach/Peter-Pilz-im-Talk-mit-Corinna-Milborn-574294
      Soweit so gut bzw. schlecht, in Bezug auf persönliches Erinnerungsvermögen.
      🙂
      Was in diesem Fall jedoch bleibt ist – nach allem was inzwischen das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat – dass hier die Betroffene sehr wohl auch jetzt noch und quasi öffentlich daran festhält, dass sie sich damals sexuell belästigt gefühlt habe.

      Um diese dz. im Raum stehende Begebenheit der sexuellen Belästigung („Zuerst umklammerte er meinen Arm, mit der anderen Hand war er an meinem Hals und dann an meinem Busen und Rücken. Auch sein Gesicht war viel zu nahe an mir.“) – so sie sich nicht in der einen oder anderen Richtung weiter verifizieren lässt – kommt man(n) nicht herum.
      Hier gibts mMn nur und ausschliesslich die Möglichkeit der Entschuldigung bzw ein Bereuen „im den Fall der Fälle“ und den generellen Vorsatz bzw die Einsicht sich verbessern zu wollen, gegebenenfalls eine Wiedergutmachung in der einen oder anderen Art, falls dies verhältnismässig angebracht und möglich ist.
      Dies ist zumindest die persönliche Seite des Geschlechterkrampfs.

      Die qui bono Nagelprobe (OHNE die möglicherweise wirklich Betroffene hier hineinzunehmen!):
      „geplante“ Intriege, ala “ vernichtend zuschlagen zum günstigen Zeitpunkt“?
      Bei dem inzwischen bekannten Ergebnis auf der nationalen politischen Bühne (auch auf Rüstungskonzernprofite bitte nicht vergessen) ist das für mich zumindest keine völlig abwegige Denkvariante!
      Insbesondere, da NICHT die möglicherweise wirklich Betroffene den Fall zeitpunktperfekt an die Öffentlichkeit gebracht hat.

  2. Avatar von Whisker
    Whisker

    > Dazu „schlüpfrige Kalauer“ und „unziemliche“ Anreden wie Baby und Piccola.
    Was mich speziell an diesen Vorwürfen sehr stört, ist das Fehlen von jeglichem Kontext in den Schilderungen. Denn damit läßt sich meiner Meinung nach schlicht gar nicht beurteilen, ob diese tatsächlich sexuelle Belästigung waren oder nicht.

    Anreden wie Schatzi, Baby usw. können zwar sehr wohl einen sexuellen Unterton haben, aber genauso auch rein scherzhaft gemeint sein.
    Ein Beispiel dafür ist z.B. ein Running Gag zwischen mir und einer Kellnerin eines meiner Stammlokale: „Schatzi, kann ich noch ein Bier haben?“ „Aber natürlich, mein Hase!“ Da ist keinerlei sexueller Unterton dabei, sondern das ist ein reiner Scherz unter Menschen, die sich besser kennen und deswegen einen etwas flapsigen Umgangston pflegen. Ähnliche Beispiele kenne ich auch zum Teil von Arbeitskolleginnen und -kollegen aus Firmen, in denen ich gearbeitet habe.

    Ich gebe zu, das ist jetzt natürlich alles rein anekdotisch und hat damit eben keinerlei Beweiskraft, das ist mir auch vollkommen klar.
    Allerdings zeigt das meiner Meinung nach doch, dass der Kontext bei solchen Anreden unverzichtbar ist, um sie überhaupt korrekt einordnen zu können. Eine Anrede wie „Schatzi“ könnte z.B. sein:
    1) eine tatsächliche sexuelle Belästigung, die zu verurteilen wäre,
    2) ein harmloser Scherz, der eventuell mißverstanden und deswegen falsch interpretiert wurde,
    3) ein Scherz, der eventuell aus böswilligen Motiven im Nachhinein uminterpretiert wurde.
    (Diese Aufzählung ist in keiner Weise vollständig, das ist hoffentlich klar.)

    Kurz gesagt: Ohne entsprechenden Kontext sind gerade diese Vorwürfe gegen Peter Pilz schlicht wertlos, weil es unmöglich ist, diese Anreden so einzuordnen, wie sie auch tatsächlich gemeint waren.

    D.h. viele Menschen suchen sich da jetzt nach Belieben die „Wahrheit“ aus, die ihnen jeweils am besten in den Kram paßt – aber die tatsächliche Wahrheit bleibt auf der Strecke, und es wird nur noch wild herumgegiftet und und munter weiter Porzellan zerschlagen, das man in der Zukunft noch sehr nötig haben könnte.
    Und die Fragen, um die es eigentlich geht, bleiben unbeantwortet. Traurig.

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