Veröffentlicht in Privates, allgemein, Bildung

Altes Haus an alter Kirche

„Mein“ Dorf & die Inschrift

Ich habe vor einigen Monaten meinen ordentlichen Wohnsitz in mein Heimatdorf nach Vorarlberg verlegt. In einen idyllisch-ruhigen Ort nahe einer kleinen Stadt, dem „Städtle“ Bludenz. Ja: tatsächlich liegt der Mittelpunkt meiner Lebensinteressen momentan dort, denn ich muss und möchte das Haus, das ich von meinem Vater 2015 geerbt habe, renovieren. „Raus aus dem Gas!“ heißt die Devise. (Näheres dazu ein ander Mal in einem anderen Artikel.) Ich pendle derzeit zwischen Vorarlberg und Tirol; dank Klimaticket geht das gut.

Auf dem Weg zum Gemeindeamt, zum Bäcker oder zum Bankomaten komme ich an der „alten Kirche“ vorbei. Links (östlich) neben ihr steht ein altes Haus; ich habe es aus Kindertagen als dunkelrot in Erinnerung. Auf seiner Westseite, direkt der Kirche und dem Friedhof zugewandt, prangte ein Gedicht, das einer der ersten Texte wurde, den ich auswendig konnte:

Dies‘ Haus ist mein und doch nicht mein.
Beim nächsten wird es auch so sein.
Den dritten trägt man auch hinaus.
Nun sag‘ mein Freund: wem ist dies Haus?

Der Text hat mich immer fasziniert. Ich begriff irgendwie seine Tragweite: direkt an der Kirche und am Friedhof. Seine Negation von absolutem Besitz; sein Bezug zu Regeln, die überzeitlich sind. Aber niemals hätte ich das so benennen können. Einen Glauben an eine Ewigkeit? Nein, das wäre mir nicht eingefallen. Vergänglichkeit? Ja, das schon.

Vor ein paar Jahren

Vor ein paar Jahren – meine Mutter starb vor 10 Jahren, mein Vater vor 8 – sah ich das Haus und die Inschrift wieder: in stark verwittertem, ärmlichem Zustand, der auch heute noch gegeben ist. (Von „Dunkelrot“ allerdings ist schon lange nicht mehr die Rede:)

Und das ärgerte mich.

Aber erst jetzt, mit vermehrter Anwesenheit vor Ort, ergriff ich eine Initiative. Ich wandte mich an die Gemeinde:

Die Kommunikation mit dem Gemeindeamt

So 11.6.: ich an die Gemeinde

Liebe Gemeinde …!
Eines der ersten Gedichte, die ich in meinem Leben auswendig gelernt hatte, konnte man lesen, wenn man die Martinskirche verließ. Es war an der Westwand des östlich der Martinskirche befindlichen Hauses – laut Google Maps müsste es das Haus … sein – notiert und lautete:

Die Haus ist mein‘ und doch nicht mein.
Beim nächsten wird es auch so sein.
Den dritten trägt man auch hinaus.
Nun sag‘, mein Freund: wem ist dies Haus.

Für die Interpunktion kann ich mich nicht verbürgen; der Text müsste stimmen. Es gibt ganz ähnliche Haussprüche im Süden des deutschen Sprachraums sehr viele; die Textierungen differieren. Vielleicht kann man eine sichere Textierung anhand alter Fotos erschließen.
Heute ist der Spruch immer noch sichtbar, aber verwittert und kaum mehr lesbar. Das macht kein gutes Bild. Ich habe keine Ahnung, wem das Haus gehört, aber wenn sich die Gemeinde … entschlösse, den Spruch zu renovieren, wäre das ein sehr schönes Zeichen; auch touristisch wäre das sinnvoll – jetzt wirkt es „ärmlich“; und ich könnte mir gut vorstellen, mit einer Spende zu den Renovierungskosten beizutragen. Durchaus anonym; über die Höhe des Beitrags müsste man reden: wenn der Besitzer das gesamte Haus renovieren will, kann ich da keinen fixen Prozentsatz übernehmen. (Ich weiß, wie viel die Renovierung eines Hauses in … kosten kann.)
Ich bin gespannt auf Ihre / Eure Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle

Mo 12.6., die Gemeinde an mich:

Guten Tag Herr Bürkle,
dieses Haus ist in Privatbesitz und somit hat die Gemeinde … hier keinen Einfluss auf eventuelle Sanierungsarbeiten.
Liebe Grüße aus …

Gemeindesekretärin

Okay: ein üblicher erster Schritt: da können wir nix machen …

Mo 12.6., ich an die Gemeinde:

Liebe Frau …,
danke für die schnelle Antwort.

Ich habe durchaus angenommen, dass … in Privatbesitz ist. Die öffentliche Wirkung des verwitterten Spruchs ist aber natürlich nicht nur privat, sondern eben öffentlich. Wenn sich (z.B.) der Kulturausschussvorsitzende mit dem Eigentümer in Verbindung setzen würde im Sinn von: wenn Du das renovierst, helfen wir dir finanziell dabei (und bei dieser Hilfe würde ich mich beteiligen), wär das vielleicht ein Lösungsweg.

Schönen Gruß
michael bürkle

Di 13.6., 11:00, die Gemeinde an mich:

Guten Morgen Herr Bürkle,
Ihr Einsatz für dieses Haus ist lobenswert. Wie schon berichtet, kann die Gemeinde … keinen Einfluss nehmen.

Ich leite Ihre Idee an die Immobiliengesellschaft weiter, welche Besitzerin des Hauses … ist, damit diese bei Interesse direkt mit Ihnen Kontakt aufnehmen kann.

Liebe Grüße aus …

Gemeindesekretärin

Aha: man kann nix tun, aber tut etwas: man stellt einen Kontakt zum Hausbesitzer, einer Immobiliengesellschaft her.

Di 13.6., 12:04, ich an die Gemeinde:

Liebe Frau …,
das ist ein Missverständnis. Das Haus ist mir relativ egal; mich interessiert der Spruch in unmittelbarer Nähe der Martinskirche. Der hat für mich eine gewisse kulturgeschichtliche Bedeutung – die man auch touristisch nützen könnte bzw. die in der jetzigen Form (als „ärmlich“) touristisch eher schadet. Die Gemeinde … lässt ein nettes Fotomotiv verkommen, könnte man auch sagen. Jetzt ist mir mittlerweile völlig klar, dass die Gemeinde direkt nichts tun kann, sondern nur indirekt.
Ich bin aber etwas enttäuscht, wenn es nun zu einer Privatsache zwischen Immobiliengesellschaft und mir werden soll.
Schöne Grüße
michael bürkle

Di 13.6., 12:34, Mail an mich

Eine halbe Stunde später (!) meldet sich ein alter Schulkollege aus dem Gymnasium bei mir. Er ist Vermögensberater geworden und die Immobiliengesellschaft gehört ihm:

Hallo Michael,
das ist eine gute Anregung, die ich gerne aufgreife.

Vor etwa 50 Jahren als einer deiner Mitschüler im Gymnasium Bludenz, Hacky genannt, finden wir sicherlich auf direktem Weg eine praktikable Lösung.

Ich bin über meine u.a. Firma Eigentümer des Hauses … in … und schlage folgendes Vorgehen vor:

Schicke mir, sofern möglich, ein aus früherer Zeit stammendes Foto, auf dem das Wandbild am Haus … in besserer Qualität dargestellt ist. Einen Objektmaler, der mir bereits an anderen Liegenschaften diesbezüglich zur Hand gegangen ist, habe ich und würde mich nach Vorliegen eines Fotos, Besprechung mit ihm und Sponsorenanfrage bei der Gemeinde … wieder bei dir melden.

Was meinst du dazu?

LG …

Das Haus gehört meinem Schulkollegen „Hacky“! Ja, an den kann ich mich gut erinnern. Der coolste von allen: irgendwo zwischen Mick Jagger und Huck Finn.

Im Mail noch erkennbar der Briefverkehr zwischen Gemeinde, Hausverwaltungsfirma und Hausbesitzer; alles ganz schön flott.

Di 13.6., 13:33, ich an „Hacky“:

Ich antworte ihm:

Servus Hacky,
[…]
Die Idee ist sehr gut; leider hab ich kein Bild von dem Haus bzw. der Inschrift. Ich hab allerdings den Text ziemlich genau im Kopf. Wenn die Vorbesitzer des Hauses kein entsprechendes Bild hinterlassen haben, kann man vielleicht bei der Gemeinde nachfragen. Es ist nicht ganz unmöglich, dass die ein altes Bild haben.
2 Tippfehler möcht ich korrigieren; richtig müssts heißen:

Dies Haus ist mein‘ und doch nicht mein.
Beim nächsten wird es auch so sein.
Den dritten trägt man auch hinaus.
Nun sag‘, mein Freund: wem ist dies Haus?

(Es gibt diesen Spruch im Süden des deutschen Sprachraums in x verschiedenen Varianten. Das ist die Variante, die ich damals als Erstleser gelernt und memoriert habe.)

Du hast aus dem Zusammenhang schon entnommen: mich ärgert irgendwie die Verwahrlosung des Zustands; es schaut einfach schäbig aus und ich find, es sollt auch der Gemeinde nicht wurscht sein.

Schöne Grüße aus … & Innsbruck
michael

Status quo

Und da sind wir jetzt. Man sucht alte Fotos. Es besteht Interesse. Für die Sanierung des Hausspruchs gäbe es schon Personal; auch die Finanzierung lässt sich vermutlich regeln.

Ich bin gespannt. Es war gar nicht viel Hartnäckigkeit notwendig – nur ein bisschen.

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