Veröffentlicht in Bildung, Politik

An Bildungsminister Faßmann

Bildungsminister Faßmann hat sich mit einer Bilanz seiner ersten 100 Tage als Minister an alle Bediensteten gewendet. Er hat das eMail unter den Betreff „100 Tage Bilanz“ gestellt und dabei auch gelobt und die Wichtigkeit des ständigen Austauschs betont. Ich habe ihm geantwortet:

*

Sehr geehrter Herr Bildungsminister Faßmann,

vielen Dank für Ihre anerkennenden Worte für unsere Arbeit als Arbeiter im Bildungssystem. (Ich arbeite als Direktor einer „gemeinsamen Schule aller 17- bis 70-jährigen“, des Gymnasiums für Berufstätige in Innsbruck.) Wir kennen das auch von Ihrer Vorgängerin, Frau Minister Hammerschmid. Sie setzen damit eine gute Tradition fort.

Allerdings kann ich Ihre positiven Befunde über Ihre ersten 100 Tage als Bildungsminister nicht teilen. Sie haben es in diesen 100 Tagen bereits geschafft, wesentliche Schritte in Richtung einer gemeinsamen Bildung der 10- bis 14-jährigen, die in den letzten Jahren vollzogen worden sind, umzudrehen, und Sie haben die Bemühungen um eine Ganztagsschule finanziell gekürzt, indem Sie die dafür vorhandenen Gelder um 7 Jahre bis 2032 „strecken“. Sie haben es damit geschafft, innerhalb der ersten 100 Tage Ihrer Amtszeit jene Reformziele, die für die österreichische Schule am wichtigsten wären, zu konterkarieren.

Absagen an moderne Ansätze wie team teaching, Integration, Schulsozialarbeit unrunden das Bild Ihrer ersten 100 Tage als Minister ab.

Indem Sie die Entscheidung ob Gymnasium oder nicht auf „Tests“ in den früheren Volksschulklassen ausweiten und verlagern, tragen Sie damit zu einer Volksschule mit Kindern im Dauerstress bei. Sie verschieben damit Entscheidungen über die Bildungskarriere auf früher statt auf später. (Einig sind wir uns im Befund, dass Volksschulnoten für fundamentale Entscheidungen über Bildungskarrieren ungeeignet sind.) Wir brauchen weiterhin eine gemeinsame Grundbildung aller Kinder bis 14, unabhängig von Schultypen. Es ist weiterhin Unsinn, wesentliche Entscheidungen über die Bildungskarriere im Alter von 10 – nach der Volksschule – zu treffen. Mir geht es da auch gar nicht um den Begriff „Gesamtschule“: ich kann mir auf der Basis der gegebenen Schultypen über clustering und andere Formen der Zusammenarbeit viele Formen vorstellen, die eine gemeinsame Bildung der 6- bzw. 10- bis 14-jährigen sichern.

Sehr viele Eltern schaffen es nicht mehr, sich im nötigen Ausmaß um die Bildung ihrer Kinder zu kümmern. Die „Familie“ aus berufstätigem Vater, einer Mutter, die sich um den Haushalt und die 2 Kinder kümmert, ist Vergangenheit; ich denke, das sehen Sie auch so. Wir brauchen nicht nur eine Ganztagsschule, die am Vormittag 5-6 Stunden lang Kinder mit Wissen vollstopft und am Nachmittag eine Nachmittagsbetreuung bietet: diese Form der Ganztagsschule wäre ein erster Schritt für viele Kinder und vor allem Eltern; sicher. Wir brauchen eigentlich eine Ganztagsschule, die Wissenserwerb, Spracherwerb, Ausbau künstlerischer und sportlicher Fähigkeiten, Ruhephasen, individuelle Arbeitsphasen über den Tag verteilt. Dass hier Ihrer Ansicht nach in der Vergangenheit zu wenig Mittel angefordert wurden, kann nicht der Grund sein, diese Mittel pro Jahr zu kürzen. Hier müsste man aktiv investieren, nicht zur Investition vorgesehene Gelder „strecken“.

Ich danke Ihnen für das Angebot des Austauschs und für die Anerkennung von Engagement und Expertise. Ich bitte Sie zu entschuldigen, dass ich eine ministerielle Facebook-Seite nicht als ernsthaftes Element einer Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer modernen Bildungspolitik erkennen kann.

Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle

*

Das Schreiben des Ministers:

Am 27.03.2018 um 15:15 schrieb Heinz Fassmann:

Sehr geehrte Direktorinnen und Direktoren!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen an den Schulen!

Die 100-Tage-Frist bemisst die Zeitdauer, die nach einer Faustregel einer neuen Regierung zugestanden wird, um sich einzuarbeiten. Diese Grenze ist mit dem heutigen Tag erreicht und ich möchte das zum Anlass nehmen, um eine erste kurze Bilanz zu ziehen. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um mich bei Ihnen allen für das, was Sie tagtäglich an unseren Schulen leisten, ganz herzlich zu bedanken.

In diesen ersten 100 Tagen konnten einige erste wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht werden. Von besonderer Bedeutung waren natürlich die Verhandlungen zum Doppelbudget 2018/19. Die budgetäre Ausgangslage hat sich dabei deutlich verbessert. 2018 werden anstelle der ursprünglich vorgesehenen 8,4 Milliarden Euro über 8,8 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Über den gesamten Finanzrahmen bis 2022 sind sogar insgesamt 800 Millionen Euro mehr budgetiert.

Wir konnten auch erste Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm auf den Weg bringen. Ihre wertvolle Arbeit wird derzeit durch viel und manchmal auch absurde Bürokratie immer wieder blockiert und erschwert. Wir haben daher einen hausinternen Prozess zur Entlastung von Schulbürokratie gestartet. Durch das Streichen bzw. das Überarbeiten bestehender Regelungen wollen wir Ihre Arbeit vor Ort erleichtern. Gerade im Lichte der Bildungsreform und der damit verbundenen Ausweitung der Schulautonomie müssen wir als Ministerium nicht alles bis ins kleinste Detail behördlich regeln. Für allfällige Rückmeldungen und Hinweise bin ich Ihnen dankbar.

Eine weitere Maßnahme, die wir umgesetzt haben, ist die Novelle zur Ahndung von Schulpflichtverletzungen. Bis jetzt war es ein großer administrativer Aufwand, gegen unentschuldigtes Fehlen vom Unterricht vorzugehen. Wir möchten Ihnen mit der neuen Regelung, die ab Herbst 2018 in Kraft treten wird, ein Werkzeug in die Hand geben, damit Sie schnell und gezielt reagieren können. Künftig sollen Sie durch Verwarnungen Sofortmaßnahmen setzen können. Unser neues Modell soll nicht primär Sanktionscharakter haben, sondern in erster Linie präventiv Wirkung zeigen und darüber hinaus auch eine Verwaltungsvereinfachung bringen.

Was die Neue Oberstufe (NOST) betrifft, so wird die Übergangsfrist um zwei weitere Jahre bis spätestens 1. September 2021 verlängert. Wir wollen uns damit Zeit für eine Evaluierung und darauf aufbauend eine optimale Weiterentwicklung der Oberstufe nehmen.

Ab kommendem Schuljahr wird auch das neue System der verpflichtenden Deutschförderklassen eingeführt. Schülerinnen und Schüler, die dem Unterricht nicht folgen können, werden 15 Stunden (Volksschule) bzw. 20 Stunden (NMS/AHS) in eigenen Klassen in Deutsch unterrichtet. Wir wollen damit bestehende provisorische Modelle der Deutschförderung in eine nachhaltige und vor allem verbindliche Regelsystematik überführen. Die Vorbereitungen für die Umsetzung dieses neuen Modells laufen auf Hochtouren und wir werden Sie alle rechtzeitig und umfassend informieren und nach Maßgabe unserer Möglichkeiten bei der Umsetzung des Vorhabens unterstützen.

Ein weiteres Vorhaben, an dem wir arbeiten, ist die Umsetzung der 2017 beschlossenen Bildungsreform. Uns ist bewusst, dass gerade die Umsetzung dieses Vorhabens vor Ort viele Fragen aufwirft, und wir sind auch bemüht, alle Fragen und Anliegen, die rund um diese Reform bestehen, so gut wie möglich zu klären. 

Neben diesen ersten konkreten Maßnahmen ist es uns im Ministerium ein grundsätzliches Anliegen, alle bestehenden Schultypen strukturell und inhaltlich zu stärken und auch weiter zu entwickeln. In einer immer komplexer werdenden Berufs- und Arbeitswelt stellt ein breit aufgestelltes, aus verschiedenen Schularten bestehendes Schulsystem einen Vorteil dar. 

Unser Bildungssystem lebt von Ihrem täglichen Engagement und Ihrer Expertise. Umso wichtiger ist es für uns mit Ihnen in ständigem Austausch zu stehen.

Gerne möchte ich Sie auf diesem Weg in regelmäßigen Abständen über die bildungspolitischen Maßnahmen informieren. Ich freue mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit Ihnen und darf Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Osterfest wünschen.

Ihr Heinz Faßmann
Bildungsminister

Besuchen Sie unsere Facebookseite www.facebook.com/wissensministerium und finden Sie heraus, was sich täglich im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ereignet.

Wichtiger Hinweis:

Um alle Schulpartner in unsere weiteren politischen Überlegungen einzubinden, unterstützen wir die Schülerinnen- und Schülerbefragung der Bundesschülervertretung. Diese findet von 4. bis 9. April 2018 statt. Ich würde Sie bitten, diese Befragung ab der Sekundarstufe I auch in Ihrer Schule und in Ihrer Klasse zu ermöglichen. Die Durchführung benötigt maximal 15 Minuten sowie ein Medium zum Abspielen der Einführungsvideos in den teilnehmenden Klassen. Diese Befragung liefert wertvolle Daten für unsere weitere bildungspolitische Arbeit. Eine genauere Beschreibung sowie Anleitung zur Durchführung finden Sie unter www.info.schuelervertretung.at

Subscribe
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

6 Comments
ältesten
neuesten am meisten bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
ha23
ha23
6 Jahre alt

lb M,

hat er geantwortet oder ist das ein fiktiver Brief?

lg h

ha23
ha23
6 Jahre alt

gm, aus der Sicht von erwachsenen bzw. erziehenden Menschen mag eine Ganztagsschule in welcher Form auch immer (Wissensvermittlung geblockt oder abwechselnd mit ausgleichender Beschäftigung) eine erstrebenswerte Sache sein, aus Sicht von Kindern und Jugendlichen – und diese Einschätzung beruht lediglich auf persönlichen Erfahrungswerten als Lehrende und Erziehende – geht aber nichts über den „freien“ Nachmittag. Dieser bietet einfach zu viele Vorteile ggü dem Nachmittag an der Schule: Man kann sich seine Zeit selbst einteilen und einmal für sich sein, wenn man vielleicht nicht der Typ ist, der sich gern immer in einer Gruppe aufhält. Für viele junge Menschen in der… Mehr »

michael bürkle
michael bürkle
5 Jahre alt
Reply to  ha23

liebe h., da haben wir doch glatt eine meinungsverschiedenheit. und basis für eine diskussion um die ganztagsschule, die sicher schon oft und von vielen anderen geführt wurde. aber vielleicht kommen wir einen schritt weiter. zunächst zu klarstellung: die ganztagsschule, die darin besteht, kinder am vormittag zu belehren und am nachmittag zu beaufsichtigen („nachmittagsbetreuung“), ist nicht das ideal, das ich mir vorstelle. ich bin an sich für eine verschränkte ganztagsschule, die die 5-6 geballten informationseinheiten („schulstunden“) am vormittag besser auf den tag verteilt, sport-, kreativ- und erholungsphasen zwischen ihnen vorsieht, starre klassenverbände auflöst und und und … („schule als lebensraum“.) allerdings… Mehr »

ha23
ha23
5 Jahre alt

lb M, für VS und die Unterstufe (10-14 Jährige) mag deine Argumentation greifen, aber dann in den weiterführenden Schulen muss man das Ganze differenzierter sehen: Berufsbildende Schulen sind ja praktisch Ganztagsschulen und auch der Stundenplan (z.B. in einer HTL oder HLW) erfüllt eigentlich die von dir geforderten Kriterien nach Abwechslung und Betreuung. Trotzdem der mir wichtige Punkt, auf den du nicht eingegangen bist: Wie sehen das die Schüler/innen? Für 14+ ist es nicht so berauschend, den ganzen Tag in der Schule zu verbringen und da ist eine Bezugsperson daheim auch nicht mehr unbedingt notwendig. Und für die Lehrer/innen ist Nachmittagsunterricht… Mehr »

Whisker
Whisker
5 Jahre alt

Abgesehen davon, dass dein Schreiben punktgenau und ausgefeilt formuliert ist, gebührt dir auch ein Kompliment für den Neologismus „abunrunden“. Ich denke, wenn sich das etablieren würde, könnte das zu einer zumindest hübschen und sicher auch zweckmäßigen Erweiterung der deutschen Sprache werden. *g* Insgesam finde ich es allerdings ausgesprochen beschämend (wenn auch in keiner Weise überraschend), dass die Antwort des Ministers offenbar nur aus einem nichtssagenden Text besteht, der man nicht einmal ein Bemühen anmerkt, auf Rückmeldungen wie z.B. die deine einzugehen. Gerade von jemandem wie Faßmann hätte ich mir da ein wenig mehr erwartet, denn von dem hatte ich bisher… Mehr »