Veröffentlicht in allgemein, Bildung

Der (un-)bekannte Jesus

„Schönborn: 90 Prozent des Lebens Jesu unbekannt“ titelt heute ORF online.

Da irrt der Kardinal ein bisschen. Es sind ziemlich genau 100 Prozent des Lebens des „Jesus“ unbekannt.

Im „Neuen Testament“ steht einiges über das Leben eines Jesus. Gestorben, „gekreuzigt“, soll er etwa im Jahr 30 n.u.Z. sein; geboren – das weiß man nicht – so um das Jahr 0 vor oder nach Christi Geburt.

Aber wann wurde das alles notiert?

Das meiste vom Leben des Jesus „wissen“ wir aus den sog. Evangelien. Das älteste, das von Markus, muss etwa im Jahr 70 erstellt worden sein. Matthäus und Lukas haben für ihre Evangelien von Markus abgeschrieben, zwar ungenau und mit zahlreichen „Kopierfehlern“, also inhaltlichen Widersprüchlichkeiten – „nix Genaues weiß man nicht“ – und ihre Texte sind vermutlich noch einmal 10-30 Jahre später entstanden.

Können wir uns vorstellen, was man da „weiß“ von etwas, das 2-3 Generationen früher passiert ist? Gar nix Genaues „weiß“ man da, es ist alles unbekannt in einer praktisch zur Gänze mündlichen Gesellschaft. Das älteste „Buch“ des sog. „Neuen Testaments“ dürfte nach allgemeiner theologischer Ansicht der Brief des „Apostels“ Paulus nach Saloniki („an die Thessalonicher“) gewesen sein – geschrieben etwa um das Jahr 50, also auch schon etwa 20 Jahre nach den vermeintlich stattgefundenen Ereignissen, von denen das „Neue Testament“ berichtet, nein: die es erzählt.

Ich zweifle nicht daran, dass um das Jahr 0 in Bethlehem Buben geboren wurden. Es kann sogar sein, dass einer als Vater einen Zimmermann aus Nazareth hatte. Aber dass dieser Bub – wenn es ihn denn gegeben hat – dann später Wasser zu Wein verwandelt, Brote vermehrt, Blinde sehend und Lahme gehend gemacht hat, vom Berge gepredigt hat, über den See Genesareth gegangen ist – das ist selbstverständlich aufgelegter Unsinn. (Auch kluge römisch-katholische oder einfach „christliche“ Menschen glauben diese stories nicht; das sei „symbolisch“ zu verstehen, meinen sie, wenn man sie darauf anspricht.)

Aber es sind auf jeden Fall nette Geschichtchen.

Was sicher nicht geschehen ist: dass da einer durch seinen Tod am Kreuz die Menschheit gerettet hat.

Der historische background

Zu dieser Zeit sind sehr viele Wanderprediger durch die von den Römern besetzten Gebiete Judäa und Galiläa gewandert. Ja, die dort lebende Bevölkerung wäre die Besatzer gerne losgeworden und hat auf einen revolutionären Führer, einen „Messias“ gehofft. Man hat sich über diese Wanderprediger Geschichten erzählt – es waren sicherlich charismatische Menschen unter ihnen – und hat 20, 30, 40 Jahre später diese mündlich überlieferten Geschichten an eine Zentralfigur angelagert und diese „Jesus“ genannt – und mit dieser mit Geschichten bepackten Figur noch einmal mindestens eine Generation später, gegen Ende des 1. Jahrhunderts n.u.Z. eine neue Religion gegründet. Diese Religion beruht auf Geschichten, die nett zu erzählen sind. That’s it. Über das Leben des sogenannten „Jesus“ ist praktisch nichts bekannt, Herr Kardinal. Nicht einmal, dass es ihn gegeben hat.

Historische Quellen?

Gibt es jenseits dieser Schriftensammlung, die sich da „Neues Testament“ nennt, keine historischen Quellen über diesen Jesus?

In Wirklichkeit gibt es auch Historisches (fast) nichts. Es gibt einen einzigen hellenistisch-jüdischen Geschichtsschreiber namens Josephus Flavius, der möglicherweise Jesus erwähnt hat – aber nicht einmal das ist völlig sicher. Josephus Flavius ist der einzige nicht-christliche Autor, der eine Figur wie Jesus erwähnt, aber keinesweg mit all den Attributen, die ihr zukämen. Alle anderen Autoren sind Menschen, die man als „Christen“, Ur-Christen, Noch-Juden bezeichnen müsste und deren Schriften nach ihren Wünschen gefärbt sind. Von Anfang an. Wenn dieser „Jesus“ wirklich gelebt und gewirkt hätte, wie von ihm erzählt wird – dann hätte er auch Eingang in die Geschichte oder die staatspolitische Berichterstattung gefunden.

Die Menge als Beweis?

Aber ist nicht die Menge der Schriften über Jesus ein Beweis seiner Existenz?

Nein.

Denn dann wäre auch die Menge der Sagen über König Artus ein Beweis seiner Existenz. Und die Menge der Erzählungen über Odysseus oder Achilles ein Beweis ihrer Existenz.

Nein, so geht das nicht. Die Menschheit hat immer Geschichten erzählt, Geschichten mündlich überliefert und dabei verändert, Geschichten gesammelt – und sie dann einer Figur an- und umgehängt. (Ich nenne dieses Verfahren „Anlagerung“ – das ist eine literarische Technik.) Ja, es gibt auch einen schwachen historischen Kern des Königs Artus. Aber der König Artus der Tafelrunde – der hat nie existiert. (Dass die Geschichten um ihn letztlich von der Zurückdrängung keltischer Kultur durch einwandernde germanische Stämme – „Angelsachsen“ – erzählen, gehört zum wirklichen „historischen Kern“.) Ja, es mag auf Ithaka einmal einen kleinen Stammesfürsten – will heißen: einen Großbauern und Gutsbesitzer – mit einer schönen Frau gegeben haben, der dann einmal einige Zeit weg war und seine „Penelope“ allein zuhause ließ. Aber 20 Jahre müssen das nicht gewesen sein; vielleicht nur 20 Tage. Und das Trojanische Pferd ist höchstwahrscheinlich eine reine Erfindung und muss als solche nicht einer aus Ithaka konzipiert haben – obwohl die Geschichten halt nett zusammenpassen.

se non è vero è ben trovato

„Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden.“ Ein uralter literarischer Grundsatz. Man kann ihn aufs Neue Testament, auf die Artussagen und auf die griechische Mythologie anwenden. Und auf viele andere Schriften mehr.

Was ich nicht will

Ich will niemandem, der „seinen Jesus“ braucht, diesen wegnehmen. Wer ihn braucht, soll an ihn glauben. Aber wenn Kardinäle die theologische Wahrheit in Prozent messen wollen, liegen sie falsch. Hundertprozentig.

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