Veröffentlicht in Bildung, Politik

Don Quijote aus Imst

Da ist mir kurz vor Weihnachten „fcg-ahs-aktuell“, Ausgabe Dezember 2015 aus meinem Schul-Postfach in die Hand geflattert. Das ist die Zeitung der Fraktion christlicher Gewerkschaftler in der Sektion AHS der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst Tirol, also der „schwarzen“ Gewerkschaftler an den Tiroler Gymnasien.

Das Blattl zeigt auf der ersten Seite einen cartoon, auf dem ein überdimensionaler Skinhead-Riese ein Haus zusammentritt, auf dem „Gymnasium“ und „Demokratie“ stehen. Auf dem „muscle shirt“ des Riesen stehen „Willkür“, „Zwang“, „Bildungsdiktatur“, „Platter“, „Gesamtschule“ und „Palfrader“.

Im Blatt selbst finden sich 7 Artikel, von denen 2 namentlich von Karl Digruber stammen, einer von einem Dreierteam aus Reutte und einer von einer Person aus Osttirol. 3 sind namentlich nicht gekennzeichnet: sie sind aber offensichtlich auch Herrn Digruber zuzuordnen. Man benötigt keine subtile Stilanalyse dazu.

Wer ist Karl Digruber? Er ist der Vorsitzende der Gewerkschaft der GymnasiallehrerInnen in Tirol und Direktor des BG/BRG Imst. (Ja, das geht: man darf gleichzeitig als Direktor Vorgesetzter und trotzdem Gewerkschaftsvertreter sein. Manche sehen da eine Unvereinbarkeit; das Gesetz und Digruber nicht.)

Das Blatt ist eine verzweifelte Kampfschrift zur Rettung der „Langform“ des Gymnasiums (also Gymnasium ab dem Alter von 10). Bildung werde „geplättet“, die Politik sei „arrogant“, der Bezirk Reutte brauche eine „gymnasiale Unterstufe“, in Osttirol bestehe die Gefahr, dass das Gymnasium „abgeschafft“ werde. „Willkür“, „Zwang“ und „Bildungsdiktatur“ stehen hier gegen „Demokratie“ und „Gymnasium“.

Ja, da fürchtet sich offenbar einer vor einem gewalttätigen Riesen, der Demokratie und Gymnasium zerstört. Und er schreibt eine ganze Zeitung dagegen. Dieser Riese ist offenbar irgendwie „schwarz“: immerhin trägt er die Namen des Landeshauptmanns und der Bildungslandesrätin auf seinem shirt.

Warum braucht der Bezirk Reutte ein Gymnasium als Langform? „Damit Reutte als Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig bleiben kann“. Echt? Kann ich mir nicht vorstellen. Eher umgekehrt.

Das Gymnasium in Lienz zittert um seine Existenz? Hat die irgendjemand je in Frage gestellt? Nicht dass ich wüsste. Es geht nur darum, in welcher Form die Unterstufe geführt wird.

Hier geht einer auf Konfrontation (1.) mit seiner Partei auf Landes- und Bundesebene, (2.) mit den anderen Regierungsparteien, (3.) mit der großen Mehrheit der ExpertInnen. Viel Feind‘, viel Ehr‘! Mich erinnert das an eine wesentlich sympathischere, aber tragischere Figur als die auf dem Titelbild: an Don Quijote im Kampf gegen Windmühlen.

Hier verteidigt ein Gymnasialdirektor als Gewerkschaftler das Gymnasium. Warum? Weil er keine Kinder an der Schule haben will, die sich am Nachmittag keine Nachhilfe leisten können? Denn darauf läuft es immer wieder hinaus: wenn es im Gymnasium nicht klappt, müssen am Nachmittag die NachhilfelehrerInnen einspringen. Wer die nicht bezahlen kann, muss sein Kind in die Mittelschule schicken. Ich kenne ProfessorInnen, die das am Elternsprechtag und in der Sprechstunde auch ausdrücklich empfehlen.

A propos Professoren. Durch das ganze Blattl zieht sich eine Art Siegel: „Für unser Gymnasium“ steht da am Rand und in der Mitte „OPU“. Ja: das Gymnasium „gehört“ aus der Sicht der „Österreichischen Professoren Union“ eben ihr. Und das verteidigt sie – offenbar auch gegen die LehrerInnen, die es noch nicht zu Professoren geschafft haben.

Unser Don Quijote aus Imst sieht sich tatsächlich Über-Mächten gegenüber. Ein schwarz-rot-grüner Skinhead-Riese. Was mir nicht klar ist: woher stammt die Gleichsetzung von „Gymnasium“ und „Demokratie“? Gibt es an den Mittelschulen keine Demokratie? Sind Mittelschulen an sich undemokratisch? Und wie ist es mit den demokratischen Strukturen an den Gymnasien bestellt? Sind die besser? Wer so etwas glaubt, glaubt auch an überdimensionale Skinheads.


erschienen einstweilen nur hier

Links:
Gesamtschule: maximal 15%?
Bildungswege in Österreich
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