michael bürkle

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Michael Bürkle

Grundwert basisdemokratisch

Grüne Grundwerte?

Ich bin vor gut einem Jahr, anlässlich des Ausschlusses der Jungen Grünen durch die damalige Bundessprecherin (und nachmalige Novomatic-Managerin) Glawischnig, aus der grünen Partei ausgetreten. Ich stehe aber immer noch zu den grünen Grundwerten ökologisch, solidarisch, basisdemokratisch, gewaltfrei. (Deutlich weniger anfangen kann ich mit den später ergänzten „Grundwerten“ selbstbestimmt und feministisch. Das eine ist aus meiner Sicht nichtssagend, das andere eine Verwechslung zwischen Wert und Strategie.)

Ökologie, Solidarität, Gewaltfreiheit – das müssten die Eckpunkte einer Politik für das 21. Jahrhundert und seine Herausforderungen sein. Was aber ist mit Basisdemokratie?

„basisdemokratisch“

Ich würde heute den Wert basisdemokratisch gern etwas genauer fassen. basisdemokratisch ist es nicht, wenn eine Abgeordnete 1500 Euro bezahlt und dazu kurz vor einer Wahl eine Liste von 150 neuen Parteimitgliedern beilegt. basisdemokratisch ist es nicht, wenn zur Wahlversammlung plötzlich 30 noch nie gesehene, noch nie aktiv gewordene Personen auftauchen, die nur zum Teil der Diskussion folgen können und auch danach dann nie mehr gesehen werden. (Ja: solche Dinge hat es gegeben.)

basisdemokratisch ist die Mit-Entscheidung der direkt Betroffenen. Es muss eine direkte, persönliche Mit-Entscheidung sein. Das erfordert nicht unbedingt persönliche, körperliche Anwesenheit; das geht heute auch von zuhause. Das erfordert nicht unbedingt das beste „Sitzfleisch“ derer, die am meisten Zeit haben, weil sie sich nicht um kleine Kinder oder demente Eltern kümmern müssen. Basisdemokratie lässt sich heute weit besser organisieren, auch mit Internet.

Schon vor 15 Jahren

Ich bin als grüner Landesgeschäftsführer (zwischen 2000 und 2004) einmal großartig gescheitert. Ich wollte für die Landesversammlung der Tiroler Grünen ein Delegiertensystem einführen. Nicht jedes Parteimitglied, das gerade bei der Landesversammlung war, sollte mitstimmen können. Sondern jene Menschen – Parteimitglieder oder nicht – die von den 9 Bezirksgruppen entstandt worden waren. Die Bezirksgruppen sollten sich um ihre Delegierten kümmern; wer Delegierte(r) sein wollte, sollte Kontakt mit einer Bezirksgruppe haben und pflegen.

Das wäre an keinen Wohnsitz gebunden gewesen. Man hätte in München wohnen können, aber Mitglied der Bezirksgruppe Innsbruck sein können. Man hätte sich dann halt auch mit den Diskussionen innerhalb der Bezirksgruppe auseinander setzen sollen. Das ist ja heute kein Problem mehr.

Jede Bezirksgruppe hätte eine gewisse Anzahl von Delegierten gestellt – je nach Stärke der Gruppe. Das hätte man sich einfach ausmachen können: (z.B.) 2 fixe Mitglieder pro Gruppe, dazu für jeweils (z.B.) 5 Mitglieder eine(n) Delegierte(n). Man hätte gern auch die Anzahl der Gemeinderatsmandate pro Gruppe berücksichtigen können – kein Problem. Das hätte dazu geführt, dass Bezirksgruppen ein Interesse an einer Integration von Menschen entwickelt hätten. Es hätte die Bezirksgruppen als regionale Strukturen aktiviert. Es hätte dazu geführt, dass die Delegierten eine Verantwortung gespürt hätten – nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch den in etwa 5 Mitgliedern, die sie in etwa vertreten mussten. Es hätte dazu geführt, dass in den Bezirksgruppen notwendige basis-demokratische Wahlen und notwendige inhaltliche Diskussionen stattgefunden hätten.

Abstimmung verloren

Ich habe damals die Abstimmung gegenüber „den Basisdemokraten“ klar verloren – also gegenüber denen, für die Basisdemokratie die Herrschaft der gerade Anwesenden ist.

Aber ich denke immer noch, dass mein Vorschlag nicht falsch war, sondern … einfach zu früh. Um vielleicht 20 Jahre.


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Kommentare

2 Antworten zu „Grundwert basisdemokratisch“

  1. Avatar von Whisker
    Whisker

    Hmmm… ich habe da ein paar Kritikpunkte bzw. Fragen, wie man einem Mißbrauch eines solchen Delegiertensystems ausreichend vorbeugen kann.

    So ein Delegiertensystem erinnert mich ein wenig an das Wahlmänner-System bei US-Wahlen, und dass das alles andere als gut funktioniert, ist ja bekannt, denke ich. D.h. da stellt sich die Frage, wie man die Nachteile eines solchen Systems vermeiden kann.
    Ich habe grundsätzlich ein wenig Bauchweh bei so etwas, denn ein Delegiertensystem bedeutet grundsätzlich, dass dabei ein Mensch seine Stimme quasi an jemanden anderen „abgibt“. Und da stellt sich dann die Frage, inwiefern letzterer dann auch tatsächlich den Willen der Mitglieder vertritt, die er vertreten soll, oder dann einfach nur nach persönlichem Gutdünken handelt und damit Entscheidungen zu sehr in seinem Sinne beeinflußt.

    Dazu kommt: Mitglieder und Delegierte sind auch nur Menschen und damit eben leider keine „perfekten Demokraten“. D.h. man muß es akzeptieren, dass Menschen nun mal zu Bequemlichkeit neigen und aus dieser heraus verleitet sein können, auch wichtige Entscheidungen an andere abzugeben und sich mit einem Thema eben nicht ausreichend zu befassen.
    D.h. es stellt sich die Frage, wie man dem vorbauen kann, dass dann Delegierte zu sehr aus eigenem Antrieb handeln und deswegen in ihren Bezirksgruppen quasi „Wahlkampf“ betreiben, um als Delegierte entsandt zu werden. Und zwar nicht, weil sie den Willen der Gruppe vertreten wollen, sondern primär ihre persönliche Meinung durchsetzen möchten.

    Außerdem wäre es auch z.B. bei Listenwahlen für Menschen, die z.B. für eine Landesliste kandidieren wollen erheblich leichter, einige wenige Delegierte zu beeinflussen (das kann z.B. durch Druck geschehen oder auch durch „Bestechung“ à la „wenn du da so und so abstimmst, bekommst du den oder den Posten“), um deren Stimmen zu bekommen und damit mit einer Minderheit gewählt zu werden – so wie das auch bei der letzten US-Präsidentenwahl passiert ist, wo Trump einige Millionen Stimmen weniger als seine Gegenkandidatin erzielte und trotzdem die Wahl gewonnen hat.

    Fazit: Ich glaube nicht, dass so ein System überhaupt nicht funktionieren könnte.
    Aber ich befürchte, dass einzelne Menschen oder auch Gruppen, welche dann eben nicht die Mehrheit vertreten, so ein System erheblich leichter manipulieren können, um ausschließlich ihren eigenen Willen durchzusetzen und damit Entscheidungen eben nicht mehr demokratisch zustande kommen würden.

    Eine Wahl oder Abstimmung, bei der hingegen sämtliche stimmberechtigten Mitglieder abstimmen dürfen, ist hingegen zu sehr ein „Sack voller Flöhe“, um so leicht manipuliert zu werden. Denn da ist der Aufwand wesentlich höher (oder eventuell auch zu hoch), um ausreichend viele Einzelpersonen auf die eigene Seite zu ziehen. D.h. dieser hohe Aufwand schützt quasi vor Manipulationen.

    Ich sehe es allerdings auch deine Beispiele durchaus problematisch (=Abgeordnete bezahlen Geld und legen dann kurz vor einer Wahl eine Liste von neuen Parteimitgliedern vor, oder dass zur Wahlversammlung plötzlich 30 Leute auftauchen, die vorher und nachher nie wieder gesehen werden). Aber ich denke, dem kann man vorbauen, indem man das Werben neuer stimmberechtigter Mitglieder nicht zu einfach macht.

    Insofern sehe ich auch z.B. das Vorgehen der Wiener Grünen in diesem Jahr sehr kritisch, wo Nichtmitglieder quasi „auf Zeit“ ein Stimmrecht bekommen haben – auch wenn das vielleicht dazu beigetragen haben mag, dass mit Birgit Hebein jene Kandidatin gewonnen hat, die ich persönlich favorisiert habe.
    Denn nur weil mir jetzt dieses Ergebnis zusagt, bedeutet das noch lange nicht, dass ich die Methode, wie es zustandegekommen ist, ebenfalls für unbedenklich halte, weil das auch fürchterlich nach hinten losgehen hätte können.
    Man denke nur daran, wenn sich z.B. eine ausreichende Menge an FPÖ-affinen Wählern koordiniert als „temporäre Mitglieder“ registriert hätte und dazu noch jemand kandidiert hätte, der brav nach der Pfeife der FPÖ tanzen würde: Das wäre nicht nur für die Politik fatal gewesen, welche die selbst Grünen betreiben, sondern auch ein gewaltiger Imageschaden für die Wiener Grünen auf Jahre hinaus, mit dem sie quasi als „unreife Heidelbeeren“ dastehen hätten können: außen grün, innen blau.

    Und Basisdemokratie über Internet etc. ist für mich ohne jede Ausnahme ein absolutes No-Go, das unter wirklich keinen Umständen akzeptabel ist, da bin ich eisern. Denn damit öffnet man gleich einer ganzen Reihe von Manipulationen Tür und Tor und erleichtert diese so dermaßen, dass man sich Abstimmungen auch gleich ganz sparen könnte, denn das wäre dann zumindest noch ehrlich.

    Sei es, dass Menschen nicht nach ihrem Willen abstimmen, weil Partner, Freunde etc. ihnen über die Schulter schauen können, ob diese „eh richtig“ abstimmen – d.h. so wie es ihnen aufgetragen wird;
    Oder dass jemand mit entsprechenden technischen Fähigkeiten sich Zugangsdaten anderer Mitglieder „organisiert“ und dann für diese abstimmt – ein weiteres Problem dabei: selbst wenn sowas rauskommt, wären Abstimmungen über Internet damit praktisch auf ewig diskreditiert, weil man sich niemals mehr sicher sein könnte, dass das nicht wieder jemand probiert;
    Oder dass jemand im Nachhinein Ergebnisse manipuliert, was in digitaler Form wesentlich einfacher ist – denn schließlich reicht es da aus, einfach z.B. ein paar Zahlen in einer Datei zu ändern, was nur sehr schwer oder u.U. gar nicht mehr rückverfolgt werden kann, als z.B. eine ausreichende Anzahl an gefälschten „analogen“ Stimmzetteln einzuschmuggeln.
    (Der britische Linguist, YouTuber und Wissenschaftskommunikator Tom Scott schildert diese Probleme übrigens sehr ausführlich und anschaulich in einem Video des YouTube-Kanals „Computerphile: https://www.youtube.com/watch?v=w3_0x6oaDmI )

    Fazit (jetzt wirklich):
    1) Bei einem Delegiertensystem habe ich ein wenig Bauchweh, aber ich denke, das ließe sich eventuell brauchbar umsetzen. Da wäre allerdings meiner Meinung nach vorher sehr eingehend zu klären, ob sich der Aufwand, um Manipulationen zu vermeiden, im Verhältnis zum Nutzen eines solchen Systems auch tatsächlich lohnt.

    2) Basisdemokratie per Internet ist für mich vollkommen inakzeptabel, da sind die Risiken einfach zu groß und zum Teil schlichtweg nicht beherrschbar. Denn genau der Aufwand, den „analoge“ Demokratie verursacht, schützt diese vor Manipulationen und Mißbrauch.
    Und diejenigen, die sich z.B. um kleine Kinder oder demente Eltern kümmern müssen oder anderweitig verhindert sein können, die kann man genausogut anders unterstützen, so dass sie von ihrem Abstimmungsrecht Gebrauch machen und das notwendige „Sitzfleisch“ aufbringen können. Dazu ist es nicht nötig, die Integrität von Abstimmungen zu riskieren.

    Ja, Basisdemokratie ist aufwendig und bei weitem nicht perfekt; aber frei nach Winston Churchill denke ich, es ist eben „leider“ die beste Möglichkeit, die uns zur Verfügung steht.

    1. Avatar von Whisker
      Whisker

      Nachtrag:
      Ich bin allerdings auch ganz klar dagegen, dass es bei solchen Fragen Denk- oder Diskussionsverbote geben sollte (und meine Aussagen sind auch in keinster Weise als solche gedacht), und zwar aus zwei Gründen:
      Erstens muß es erlaubt und möglich sein, prinzipiell über alles zu diskutieren, denn das ist für freie und demokratisch organisierte Gesellschaften oder Gruppen absolut unverzichtbar.

      Und zweitens sieht es zwar für mich danach aus, dass gewisse Probleme bei diesen Fragen nicht zu lösen sind, aber das bedeutet eben nicht zwingend, dass das bis in alle Ewigkeit auch so bleibt. Und genau deswegen muß es erlaubt sein und akzeptiert werden, dass auch kontroverse Positionen geäußert und diskutiert werden dürfen.

      Denn wie katastrophal es nach hinten losgeht, wenn man kontroverse Positionen nicht mehr diskutieren „darf“, sondern nur noch jene mit Totschlagargumenten zum Schweigen gebracht werden, die solche Positionen auch nur andenken – das konnte und kann man (leider!) unter anderem genau an den Entwicklungen (und Wahlergebnissen) der Grünen in den letzten Jahren ganz klar erkennen.

      Das hatte nämlich mit freier Meinungsäußerung und Demokratie auch oft nichts mehr zu tun, sondern war nur noch quasi eine Diktatur jener, die selbstgerecht oder verblendet meinten (und teilweise noch immer meinen), als einzige Recht zu haben – und deswegen keinen Widerspruch mehr dulden oder sich auf Diskussionen einlassen zu müssen.

      Denn:
      Ja, man kann wohlmeinend und trotzdem autoritär sein, gegen diesen Irrtum ist niemand gefeit.

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