Veröffentlicht in Bildung, Politik

Klimawandel und Artenvielfalt; Mobilität

Klimawandel

Das Klima ändert sich: es wir kontinuierlich und scheinbar unaufhaltsam immer heißer. Laut UN-Generalsekretär Guterres ist die Ära der globalen Erwärmung vorbei; die Ära des globalen Kochens habe begonnen.

Mit dem Klima ändern sich auch die Arten der Lebewesen, die die Biosphäre bevölkern. Manche Tiere und Pflanzen sterben aus, manche vermehren sich und nehmen womöglich überhand. Klimawandel und Artenvielfalt (oder „Biodiversität“) sind also direkt miteinander verknüpft. Der Kampf gegen den Klimawandel ist auch ein Kampf für die Artenvielfalt und für den Erhalt der Biodiversität.

Das geht auch umgekehrt: mit der Belebung der Biosphäre ist auch ein bestimmtes Klima verbunden. Wenn Tierarten aussterben, sterben auch Pflanzen aus; wenn Tiere und Pflanzen aussterben, ändert sich das Klima. Das Klima hat die Biosphäre hervorgebracht und die Biosphäre dieses Klima. Beide bedingen einander.

Der Kampf gegen den Klimawandel und der für die Artenvielfalt sind also zwei Handlungsalternativen für das gleiche Ding.

Welche Folgen das Aussterben einer einzigen Art haben kann, hat der Schweizer Großmeister des literarischen Kabaretts Franz Hohler schon 1983 in einem Kabaretttext namens „Weltuntergang“ überzeugend dargelegt. Das ist nun bereits 40 Jahre her!

Es geht aber noch komplizierter

Mit dem Kampf gegen den Klimawandel ist unmittelbar ein Kampf gegen CO2-Emissionen verbunden, also auch und vor allem gegen Verbrennungsmotoren – nicht nur bei Kraftfahrzeugen, sondern auch bei Maschinen in Industrie und Gewerbe. Wenn wir nicht die gesamte Mobilität unserer Gesellschaft umdenken wollen, brauchen wir dafür sehr viel nicht-fossile Energie, also Wasserkraft, Solarenergie und Windenergie (und Biomasse). Wir brauchen also unter Umständen neue Wasserkraftwerke.

Neue Wasserkraftwerke zu bauen stößt aber an Grenzen, die auch durch den Schutz der Artenvielfalt gesetzt werden. Wir haben in Tirol ein Tal, in dem der lokale Großwasserkrafterzeuger ein Kraftwerk bauen will; dieses Tal ist aber durch eine besondere Biodiversität gekennzeichnet. (Viele scheinbar unnütze Pflanzen und Tiere.) Jetzt gibt es Klimaschützer*innen, die der Meinung sind, dass wir jede – aber auch wirklich jede – Kilowattstunde an nicht-fossilem Strom brauchen, wenn wir aus den CO2-Emissionen aussteigen müssen oder wollen. Es gibt aber auch Klimaschützer*innen, die nicht jede Kilowattstunde an nicht-fossilem Strom akzeptieren, wenn die dafür nötigen Kraftwerke die Artenvielfalt beschädigen.

Ja: Klimaschutz-Maßnahmen für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen können die Artenvielfalt gefährden.

Es gibt also Klimaschützer*innen für neue Kraftwerke und gegen neue Kraftwerke – und welche, die zwischen diesen Fronten aufgerieben werden – so wie ich längere Zeit. (Im konkreten Tiroler Fall bin ich mittlerweile gegen das Kraftwerk. Das kann eh erst spät fertig werden und bis dann werden wir es vielleicht / hoffentlich / unter Umständen / mit viel Anstrengung nicht mehr benötigen, wenn wir andere Klimaschutzmaßnahmen treffen: Planung bis 2024, Baubeginn nicht vor 2028, Betrieb nicht vor 2034.)

Zuspitzung

Vor allem in den USA hat sich innerhalb der Klimabewegung eine Strömung bemerkbar gemacht, die meint, das Klima nicht mehr mit „klassischem“ Klima- und Umweltschutz retten zu können, sondern mit einem Mehr an Technologie und Industrialisierung. Die Bewegung nennt sich „Ökomodernismus“ oder „Ökopragmatismus“. Die Anhänger sind auch für „Geoengineering“ zu haben und für „grüne Atomkraft“, für e-Fuels usw. (Einer ihrer Vertreter, ein gewisser Herr Shellenberger, hat Bundeskanzler Nehammer für e-Fuels „inspiriert“.)

Geoengineering sind Technologien, die mit der Erde als ganzer experimentieren. Es gibt sie vor allem als SRM (Solar Radidation Management, indem man die Sonneneinstrahlung manipuliert) oder als CDR (Carbon Dioxide Removal, indem man der Atmosphäre in großem Stil CO2 entzieht). Ich kenne keine dieser Technologien, die nicht mit unklaren globalen Folgen verbunden wäre. Das ist alles brandgefährlich: weltbrandgefährlich.

Ein wiederkehrendes Motiv der Ökomodernisten ist der Vorwurf des doomism an die Klimabewegung klassischen Zuschnitts. Man mache Angst mit einem Weltuntergang; Angst sei ein schlechter Ratgeber; man müsse mit Optimismus an die Sache herangehen. Dieser Vorwurf trifft auch mich; ich bringe jeden Tag weniger Optimismus auf. Dabei mache ich keine Angst mit dem Weltuntergang: ich glaube nicht an die Zerstörung des Planeten oder an ein Weltgericht, eine Apokalypse biblischen Zuschnitts. Ich sehe aber die schweren Belastungen für die Biosphäre des Planeten, das ist die schmale Schicht, in der Leben, wie wir es gewohnt sind, möglich ist.

Was ich sehe ist, dass sich Krisen über Krisen häufen, die alle zusammenhängen: auch die Wirtschaftskrise und die Inflation haben mit dem Klimawandel zu tun, die Krise der Artenvielfalt sowieso. Ich lese, dass die UNO vor einem „Massensterben biblischen Ausmaßes“ warnt; ich sehe, dass der Klimawandel globale Ungerechtigkeiten kontinuierlich verschärft – und nationale und regionale Ungerechtigkeiten ebenfalls. Ich sehe zunehmende Migrationsströme aus Erdteilen, die unbewohnbar werden – der Klimawandel belastet vor allem Afrika und Asien. Ich sehe, dass Politiker in einer Zeit multipler Krisen Angst vor Maßnahmen und Angst vor Ehrlichkeit haben – mehr als je zuvor.

Alternativen?

„Wenn wir nicht die gesamte Mobilität unserer Gesellschaft umdenken wollen …“ hieß es oben. Aber vielleicht müssen wir genau das! Vielleicht ist die gesamte Mobilität unserer Gesellschaft einfach ein hypertrophes Monster, das es zu zähmen gilt. Individuell und politisch.

Das aber würde in uralte Erziehungsmuster eingreifen. Es sind vor allem die Männer des globalen Nordens, die den Verbrennungsmotor scheinbar für ihr männliches Ego „brauchen“. Darüber spricht Physiker und Philosoph Harald Lesch in einem Video über e-Fuels (ab 21:30), wenn er erzählt, dass nach einem seiner Vorträge ein älterer Herr zu ihm gekommen sei: „Sie können mir erzählen, was Sie wollen, Herr Lesch: ich bin ein Hirsch; bei mir muss es röhren.“ Darüber spreche auch ich, wenn ich erkläre, wie und warum Länder wie Tschechien und Italien überlegen, Tempo 150 auf Autobahnen einzuführen.

Aber es geht auch um globale Mobilität im Sinne des Welthandels: um den Anspruch des globalen Nordens, alle Produkte des globalen Südens jederzeit in Anspruch nehmen zu können: Ananas, Bananen, Computerchips, Datteln usw. Das trifft nicht nur Männer: das trifft auch Frauen und Kinder. Wir müssten lernen, das, was für unsere Gesellschaft wesentlich ist, nicht nur international zuzukaufen, sondern in gewissem Ausmaß auch selbst zu produzieren. (Das müssten wir an sich schon aus der Pandemie gelernt haben.) Wir müssten lernen, dass das, was wir selbst nicht produzieren können, so wesentlich nicht sein darf. Und wenn, dass es dann nicht ganz billig sein kann.

Es gibt selbstverständlich eine Lösung für eine ökologisch sinnvolle Mobilität unserer Gesellschaft: Fahrrad & Öffi & E-Auto (incl. Fahrgemeinschaften). Und E-Mobilität im Sinne virtueller Realität: man muss nicht mehr überall real sein, wo man etwas bewirken will. Man kann sich viel reale Mobilität sparen.

Aber da müssten sich extrem viele Menschen umstellen – und zwar schnell. Es ist sehr die Frage, ob sich so viele Menschen umstellen wollen & können – nur für eine per se ungewisse Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder (denn eine Zukunft ist immer ungewiss). Oder ob sie bei den nächsten demokratischen Wahlen jene Parteien wählen werden, die ihnen einen kurzfristigen Erhalt ihres Lebensstandards inclusive aller Bequemlichkeiten (!) versprechen. Und denen die Artenvielfalt völlig egal ist, weil sie den Wegfall von Arten an sich nicht bedauerlich oder bedrohlich finden.

Ich werde jeden Tag skeptischer, dass wir das noch schaffen. Ich bin für mich einigermaßen optimistisch, dass ich in dieser Gesellschaft noch 10, 20 Jahre halbwegs menschenwürdig überleben und dann abtreten kann. Aber für meine Nachkommen …

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