michael bürkle

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Michael Bürkle

Minderheitenfeststellungen

Bei Wahlen wird festgestellt, wer die Mehrheit hat. Aber man kann auch Minderheiten feststellen.

Wie viele Nazis hat Österreich z.B.?

NSDAP-Mitglieder hat Österreich ja keine mehr, es git ja keine NSDAP mehr. Was ist heute ein „Nazi“? Ich schlage vor: jemand, der bereit ist, rassistische Ideologien (z.B. Antisemitismus, Islamophobie etc.) in eine gewalttätige Praxis umzusetzen, und zwar nicht nur in eine akut-gewalttätige, sondern auch „nur“ in eine strukturell-gewalttätige. Damit wäre jeder Nazi Rassist, aber noch nicht jeder Rassist Nazi.

Ich bin weit davon entfernt, alle FPÖ-WählerInnen oder etwa alle FPÖ-FunktionärInnen für Nazis zu halten. Sicher nicht! Es gibt sicher einige Nazis in der FPÖ, aber nicht ein gutes Sechstel (17,2%) aller WählerInnen (die der FPÖ bei der EU-Wahl waren 650.114) sind Nazis.

Es hat einmal eine Minderheitenfeststellung gegeben: 1980, bei der Wahl des Bundespräsidenten. Da haben 3 Personen kandidiert: der amtierende Präsident Rudolf Kirchschläger, der von SPÖ und sogar ÖVP unterstützt wurde, der FPÖ-Politiker Willfried Gredler und NDP-Obmann Norbert Burger.

Die NDP – ihr fehlte m.E. zur NSDAP hauptsächlich ein S und ein A bzw. eine SA – wurde 1988 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung tatsächlich aufgelöst. Das waren wohl Nazis. Aber wie viele Stimmen bekam Burger?

Kirchschläger erreichte fast 80% aller Stimmen; der FPÖ-Kandidat Gredler immerhin damals schon knappe 17%. Und da blieben 3,2% oder 140.741 WählerInnen für Burger. Ich halte diese Zahl für eine gute Schätzung der Zahl der Nazis, jedenfalls für damals.

Heute, 39 Jahre später, sind es da mehr? Vermutlich schon: das Geschichtsbewusstsein ist in Summe eher im Sinken begriffen. 200.000 wird man wohl annehmen können. Ein Drittel aller FPÖ-Wähler bei der EU-Wahl? Nein, ich glaube nicht. Ich denke, es gibt Nazis, die die FPÖ nicht wählen, weil ihnen Leute wie Hofer viel zu seicht sind.

Noch eine Minderheit:

Ex-FPÖ-Parteiobmann / Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat bei der EU-Wahl 44.570 Vorzugsstimmen bekommen. (Die haben ihm ein Vorzugsstimmen-Mandat beschert.) Und das, obwohl sich Strache in einem Video, das 2017 auf Ibiza aufgenommen worden war, eigentlich um seinen politischen Kopf samt Kragen geredet hat. So sehr, dass er danach aus allen Ämtern zurücktreten musste. Er hätte – im Video gut hörbar – gegen russisches Geld für illegale Parteienfinanzierung österreichische Wasserrechte verkauft, die Pressefreiheit eingeschränkt, Bauaufträge in großem Stil verschoben und und und.

Trotzdem eine Woche später fast 45.000 Vorzugsstimmen! Welche Minderheit ist denn das? Die österreichischen Vodka-Red-Bull-Trinker? Die österreichischen Voll-Vollkoffer? Der Teil der FPÖ, der mit Strache vor allem Mitleid hatte? Der Teil der österreichischen Nazis, die nicht vor allem „3 Bier“, sondern Vodka-Red-Bull trinken?

Ich weiß es nicht.

*

Irgendwie hab ich jetzt das Gefühl, dass man nicht alle Minderheiten schützen muss. Jedenfalls nicht jene, vor denen man sich schützen muss.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Minderheitenfeststellungen“

  1. Avatar von Whisker
    Whisker

    „Trotzdem eine Woche später fast 45.000 Vorzugsstimmen! Welche Minderheit ist denn das?“
    Ich denke, „Die österreichischen Voll-Vollkoffer“ trifft da zumindest für den Großteil der 45.000 Vorzugsstimmen recht genau zu.
    Denn bei Gesprächen und Diskussionen mit FPÖ-Anhängern (oder auch nur -Wählern) habe ich gerade in den letzten Jahren zunehmend bemerkt, dass diese zum Teil sogar offensichtlichste Tatsachen mal eben einfach so wegzuplappern(*) versuchen, wenn sie ihnen nicht passen.

    Allerdings ist das kein Problem, das nur bei FPÖ-Wählern auftritt, sondern sich gerade in den letzten Jahren generell zu einer veritablen Pest ausgeweitet hat – und zwar eben über das gesamte politische Spektrum verteilt.
    D.h. ja, es gibt mittlerweile leider auch bei den Linken und den Grünen genauso feste Trotteln, die ohne mit der Wimper zu zucken die Realität für falsch halten, wenn sich diese nicht an ihren persönlichen Wünschen orientiert. (Okay, bei Linken und Grünen kommt es mir zumindest vor, dass besagte feste Trottel deutlich dünner gesät sind, aber in bedenklicher Zahl vorhanden sind sie dort genauso).

    Allerdings glaube ich weniger, dass die Menschen in den letzten Jahren dümmer geworden sind, sondern ich denke eher, dass das unter anderem auch durch Dinge wie die sogenannten „sozialen“ Medien begünstigt wurde.
    Einfach ausgedrückt: Früher waren die Dorftrottel meist nur im eigenen Dorf oder vielleicht noch im Nachbardorf bekannt, aber heutzutage können sich selbige dank Social Media weltweit als geistige Nackerbatzln outen, und damit verbreitet sich halt auch deren Unsinn schneller und breiter.

    (*) „wegzudiskutieren“ passt da nicht, weil dabei in der Regel unbedingt notwendige Voraussetzungen für eine Diskussion schlichtweg ignoriert oder teilweise sogar bewußt abgelehnt werden.

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