michael bürkle

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Michael Bürkle

Nachdenken über NATO-Mitgliedschaft?

Diplomat Brix auf Ö1

Auf ORF online ist derzeit ein kurzer Interviewausschnitt aus der Ö1-Sendung „Im Journal zu Gast“ zu sehen: Christian Linsinger befragt den Direktor der Diplomatischen Akademie Emil Brix und Brix zeigt sich nicht ganz abgeneigt gegenüber einer NATO-Mitgliedschaft für Österreich – also der Aufgabe der Neutralität. Aber er argumentiert differenziert:

Den Wortlaut, den Brix wählt, finde ich sehr interessant:

Brix: „Es kann Putin und Russland nicht als Gewinner aus diesem Krieg heraussteigen, sonst sind wir alle weit unsicherer in Europa.“
Linsinger: „Also jeder, der auf eine diplomatische Lösung in den letzten Monaten gehofft hat, wird eigentlich enttäuscht, weil es derzeit nicht möglich ist. Oder ist etwas möglich?“
Brix: „Das sehe ich genau so. Das ist auch eine Weisheit der Diplomatie: wenn zwei verhandeln sollen, dann müssen beide bereit sein zum Verhandeln. Da sind wir derzeit nicht. Russland macht nicht den Eindruck, dass es zu Verhandlungen bereit ist. Jeder Zweifel, der auch in der Europäischen Union bei den Mitgliedsstaaten entsteht – Soll man denn nach wie vor Sanktionen machen? Wie soll man mit Russland umgehen? Sollen wir nicht schon wieder beginnen, Beziehungen aufzubauen? Bis dahin zu gehen: Vielleicht sollen wir auch wieder über Energie auch aus Russland nachdenken? – hilft natürlich der Kriegsmaschinerie im wirklichen Sinne und hilft auch dem Narrativ, das Russland hat, dass es in Europa bestimmend auftreten möchte. Und zwar nicht nur in der Ukraine. Das geht darüber hinaus. Und ich bin nur froh, dass in Europa dieses Bewusstsein für Verteidigungsfähigkeit inzwischen stärker geworden ist. Österreich ist da noch weit hinten dran, würde ich sagen. Bei uns herrscht ja immer noch die Vorstellung, die Neutralität würde Österreich beschützen und sicher machen. Und das ist nicht der Fall. Je mehr wir von diesen weltweiten Konflikten sehen, desto mehr komme ich zur Überzeugung, wir sollten Teil eines westlich orientierten Sicherheitsbündnisses sein. Und da gibts halt nur derzeit nur ein Verteidigungsbündnis auf der Welt. Und ich glaube, um das Nachdenken über eine NATO-Mitgliedschaft werden wir in Österreich nicht herumkommen.“

Gegen „Nachdenken“ kann man m.E. nie etwas haben. Das geschieht in der Hohen Politik eh zu wenig, scheint mir oft.

Aber …

Aber wenn ich nachdenke, komme ich zum Schluss: eine NATO mit den USA unter Trump 2.0 ist keine sichere Sache. Da muss ich nicht hin; dort beizutreten würde uns nichts nützen. Meines Erachtens sollte die EU zusammen mit Großbritannien und Kanada ein eigenes Verteidigungsbündnis gründen – ohne die USA. Ja, wir „sollten Teil eines westlich [also: demokratisch] orientierten Sicherheitsbündnisses sein“ – da gebe ich dem „obersten Diplomaten“ schon recht, aber nicht eines Bündnisses, das von den USA dominiert wird. Es braucht ein zweites, damit es halt „derzeit nicht nur eines“ gibt. (Dass der Diplomat Brix da von „derzeit“ spricht, ist bedeutsam.)

Man hat schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar bemerkt, dass es jetzt 2 „Westen“ gibt: einen autoritaristischen, für den die Gewaltenteilung überholt und störend ist, und einen demokratischen, in dem die Gewaltenteilung ein leitendes Prinzip ist. Auch die Stellung zum Völkerrecht ist diametral verschieden, scheint mir.

Ich denke, die sauberste Lösung wäre eine Trennung der NATO in die USA einerseits und die restlichen NATO-Länder andrerseits (also EU, neutrale Länder, Großbritannien, Kanada). Wohin die Türkei und Ungarn gehen wollen? Ich muss sie nicht in „meinem“ Verteidigungsbündnis haben. Die können beide gut mit dem System Trump 2.0, denke ich.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Nachdenken über NATO-Mitgliedschaft?“

  1. Avatar von michael bürkle
    michael bürkle

    In der ZEIT vom 27.6. gibt es ein Interview mit Alexandra de Hoop Scheffer (https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-06/german-marshall-fund-nato-gipfel-donald-trump-usa-alexandra-de-hoop-scheffer), der Präsidentin des „German Marshall Fund“. Sie sieht manches ähnlich wie ich, macht aber keine so radikalen Vorschläge.

    Stellen:
    * Noch kurz vor dem Gipfel sagte Donald Trump auf die Frage, ob das Beistandsversprechen gelte, das hänge davon ab, wie man Artikel 5 definiere.
    * Die Europäer wiederum haben sich darauf verpflichtet, ihre Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen, bis 2035 auf fünf Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes. Auch da ist die Frage: Hält das – und ist es überhaupt machbar?
    * (Auf die Frage „Was denken Sie: Wird Donald Trumps Bekenntnis zu Artikel 5 halten?“): Die Ereignisse sind so stark im Fluss, dass Vorhersagen schwierig sind.

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