Veröffentlicht in Bildung

Unterricht individualisieren? Oder standardisieren? Oder beides?

Pläne

Als Leiter eines Gymnasiums bekomme ich mit, wie die Republik Österreich auf die Entwicklung ihrer Schulen Einfluss nimmt. Z.B. über Entwicklungspläne. Es gibt einen für den Bund: den Bundesentwicklungsplan BEP; einen für jedes Land: den Landesentwicklungsplan LEP. Und jede Schule hat ihren SEP. Die Einhaltung dieser Pläne wird in „Bilanz- und Zielvereinbarungsgesprächen“ (BZG) durch die jeweilig übergeordnete Ebene evaluiert. Im Gegensatz zu den Fünfjahresplänen im früheren „realen Sozialismus“ beziehen sich die Schulentwicklungspläne nur auf 1-2 Jahre.

Derzeit ist im BEP, im LEP Tirol und in unserem SEP „Individualisierung“ von Unterricht ein zentrales Thema. Ja: Österreich, Tirol und auch wir als Schule denken nach, wie man Unterricht auf Individuen zuschneiden könnte.

Das ist an sich ein nicht ganz leichtes Thema. Unterricht findet ja im Normalfall in einer 1:n-Situation statt: eine Lehrperson steht einer Gruppe von 15, 20, 25 SchülerInnen gegenüber und man kann nicht gleichzeitig 15, 20, 25 Individualgespräche führen. Die Versuchung für Lehrpersonen, im Frontalunterricht mit „der Klasse“ als einer Einheit zu sprechen, liegt nahe. „Die Klasse“ ist aber eben kein Individuum, sondern besteht aus 15, 20, 25 Einzelpersonen, die im Prinzip alle verschieden denken und verschiedene Bedürfnisse haben können; „die Klasse“ ist nicht homogen. Manchmal mag die Kommunikation „mit der Klasse“ möglich sein; aber generell stehen Lehrpersonen vor der Anforderung, sowohl mit den vielen als auch mit den einzelnen kommunizieren zu sollen. Nein, das ist nicht immer leicht.

Andrerseits wird Schule standardisiert: es werden Unterrichtsinhalte und Prüfungsinhalte standardisiert und Prüfungsverfahren zentralisiert. Wie passt das zusammen? Wie passen Standardisierung – für alle das Gleiche – und Individualisierung – jeder / jedem individuell – zusammen? Oder ist das ein Widerspruch an sich?

Standard und Individuum

Die Problematik standardisierter Unterricht(sinhalt)e für individuell verschiedene Studierende zeigt der klassische cartoon von Hans Traxler, den ich endlich wiedergefunden habe:

 

Wirklich „klettern“ könnte nur der 2. Kandidat, der Affe. Der erste Kandidat wär noch schneller auf dem Baum, aber wäre seine Methode zugelassen? Beim 3. Kandidaten sieht es ähnlich aus. Der 4. Kandidat, der Elefant, reicht mit seinem Rüssel noch schneller an eine Stelle auf dem Baum – aber „klettern“ wär das wohl noch nicht.

Der cartoon zeigt die Problematik von Standardisierung und Individualisierung. Wollen wir, dass wirklich alle das Gleiche können? Muss der Fisch im Glas das Gleiche können wie der Affe? Und der Affe das Gleiche wie der Fisch im Glas?

Wir haben im letzten Semester eine Fortbildung zum Thema Individualisierung für alle unsere Lehrpersonen angeboten. Wir wollten ausleuchten, inwieweit wir im Unterricht noch individueller auf unsere Studierenden eingehen könnten. (Leider ist die Fortbildung nicht optimal verlaufen.) Uns ist aber / dabei klar geworden, wo wir – als Abendgymnasium Innsbruck – schon individualisiert arbeiten, um für möglichst viele einen Standard zu erreichen. Wir beginnen schon vor dem Studium: bei der individuellen Einstufung, bei der festgestellt wird, wo der einzelne Bewerber / die einzelne Bewerberin in jedem Fach steht. Das geht weiter bei der individuellen Wahl der Module und damit der Zusammenstellung eines individuellen Stundenplans. (Im Prinzip haben alle unsere ca. 780 Studierenden ihren eigenen.) Das reicht bis zur individuellen Gestaltung eines Reifeprüfungsprozesses, der mit dem (halbwegs) standardisierten Abschluss Matura beendet wird.

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