Veröffentlicht in Bildung, Politik

Ein vager Blick in die Zukunft

Es kam, wie es kommen musste: die österreichischen WählerInnen haben an ihren vermeintlichen Vorteil und ihren Besitzstand gedacht und jene Parteien in die Regierung gewählt, die von vornherein als Wahrer von Besitzstand angetreten sind. Jetzt haben wir Schwarz-Blau: die Steuern für Wohlhabende werden gesenkt; die Mindestsicherung wird gesenkt; Asylwerbern wird das Geld abgenommen, damit sie möglichst gar nicht kommen. Usw.

Die österreichische „Linke“ – gemeint sind SPÖ und Grüne, aber von mir aus auch KPÖ oder Liste Pilz – hat sich selbst beschädigt und tut das weiterhin. Eine glaubwürdige Alternative zu einer Politik, die die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufmacht, ist nicht formuliert. Vielleicht trägt die jetzige Regierung dazu bei, dass so etwas wieder entsteht. Aber nicht von selbst.

Die Migrationskrise als Ursache?

Ex-Bundeskanzler Christian Kern ortet in einem Essay im Standard („Die Sozialdemokratie hat eine große Zukunft“, 8.12.2017) die „Migrationskrise“ als Hauptursache: „Die Migrationskrise hat Europa nach rechts gerückt.“ Das mag stimmen und ist trotzdem nur ein Teil der Wahrheit. Denn die Migrationskrise ist nichts Anderes als der Vorbote einer weit fundamentaleren Krise: der globalen Krise zwischen Reich und Arm. Wir hier in Österreich leben in einem privilegierten Ortsteil des globalen Dorfs; uns geht es insgesamt relativ gut, und zwar darum, weil es in anderen Teilen dieses globalen Dorfs schlecht aussieht. Wenn wir für die Produkte aus aller Welt faire Preise zahlen müssten, würden sich viele von uns diese Produkte (Bananen, Orangen, Kaffee; Erdöl; „Seltene Erden“, die für smartphones gebraucht werden usw. usf.) nicht mehr leisten können. Unsere mittel-westeuropäisch-nordamerikanische Luxusgesellschaft lebt von der Ausbeutung großer Teile der Welt.

Und die Migrationskrise ist nichts Anderes als die Tatsache, dass viele Junge in Afrika, Nahost, Asien, Südamerika nicht mehr bereit sind, auf Wohlstand zu verzichten. Sie machen sich auf den Weg. Das ist die sogenannte Migrationskrise, aber sie ist nur der erste Reflex weltweiter Ungerechtigkeit in allem: bei Trinkwasser, bei Nahrung, bei Gesundheit, bei Bildung, bei sozialer Sicherheit.

Auch wenn es uns gelänge, Migrationsströme zu kanalisieren und die Kanäle danach zu verstopfen: das schiebt die Probleme nur auf, es löst sie nicht. Aber Aufschub reicht ja für Politiker, die in Amtsperioden von 4 Jahren denken.

Damit ich nicht missverstanden werde: nicht wir Österreicher, wir Europäer sind „die Ausbeuter“. Auch in Österreich und Europa gibt es genug Ausgebeutete. Aber denen geht es immer noch deutlich besser als den Ausgebeuteten in Afrika, Südamerika, Asien. Nicht die Afrikaner, die Südamerikaner, die Asiaten sind die Ausgebeuteten. Auch dort gibt es Ausbeuter – die sogenannten „lokalen Eliten“: Familiendynastien, die seit Jahrzehnten die politische Macht unter sich aufteilen und mit den westlichen Konzernen gute Geschäfte machen. 1% der Weltbevölkerung besitzt (bald) so viel wie die restlichen 99%. Diese Welt ist massiv ungerecht.

Und so kommt es, dass es in Österreich Menschen gibt, die letztlich Ausgebeutete eines weltweiten Wirtschaftskonglomerats sind, die aber trotzdem Angst haben, dass ihnen „die Migranten“, „die Asylwerber“ den Job, die Frau, das Auto, den „Platz“ nehmen könnten. Und die deshalb FPÖ oder ÖVP wählen. Um ihren „kleinen Besitzstand“ in Sicherheit zu bringen. In eine trügerische Sicherheit.

(Kleine Ergänzung: Diese Welt ist schon seit Jahrhunderten ungerecht. Bisher war es aber immer möglich, Ungerechtigkeiten aus dem eigenen Land in die Kolonien, das jeweilige „Imperium“ zu exportieren. Mit einer globalisierten Gesellschaft ist der Export von Ungerechtigkeit nicht mehr möglich.)

Warum ist Schwarz-Blau heute weniger Skandal als 2000?

Wir haben einen europaweiten Rechtstrend. Schwarz-Blau, Schüssel-Haider war 2000 in Europa ein Skandal. EU-Sanktionen!

Heute? Kurz-Strache? Kein Problem.

Kein Problem?

Schüssel-Haider war damals relativ neu. Es hat auch davor schon FPÖ-Regierungsbeteiligungen gegeben. Aber Haider war in seinem Irrsinn, seinem Populismus und seiner Popularität ein Pop-Star des Rechtspopulismus. Und ein Wegbereiter und ein Bahnbrecher. Das alles ist Strache nicht und nicht mehr.

Seit 2000 hat es in vielen europäischen Ländern Rechtsrucke gegeben; sie sind „normal“ geworden. Und ich fürchte, sie werden „normal“ bleiben und immer „normaler“ werden. Wir stehen – fürchte ich – am Beginn eines mittel-westeuropäisch-nordamerikanischen Rechtsrucks, der um die weltweite Vorherrschaft des Kapitalismus kämpft – gegen die Armen der Welt, die von Nahrung, Gesundheit und Bildung ferngehalten werden. Und die sich zu wehren beginnen. Mit Recht.

Österreich war mit Schüssel-Haider 2000 relativ früh. Damals war das noch Skandal. Kurz-Strache ist keinen Deut besser. Aber mittlerweile „normal“. Und ohne Popstar.

Versagt die Linke?

Es gab einen klassischen Gegenentwurf gegen den sich globalisierenden Kapitalismus: der Sozialismus. Der ist zusammengebrochen. Volkswirtschaften lassen sich nicht zentral lenken; besonders eine globalisierte Wirtschaft nicht. Das war der wesentliche Fehlansatz des sogenannten „realen Sozialismus“ sowjetischer Prägung. (Mit üblen Folgen; ich weiß.)

Zwischen dem realen Sozialismus und dem radikalen Kapitalismus gab es eine dritte Position, einen „dritten Weg“. Es war der der Sozialdemokratie, die „soziale Marktwirtschaft“. In einem staatlich durch Gesetze bestimmten Rahmen soll Markt seine Kräfte entfalten. Das Modell wurde als ökosoziale Marktwirtschaft noch adaptiert, als klar wurde, dass ökologische Probleme innerhalb eines Rahmens für Marktwirtschaft nicht ausreichend beherrschbar waren – weil sie langfristige Probleme sind. Man kann z.B. den Klimaschutz nicht dem Markt überlassen.

Allerdings haben die Sozialdemokratien diesen „dritten Weg“ weitgehend verlassen und sind zu liberalen Parteien geworden, die den staatlichen Rahmen immer weiter zurückbauten. Grüne Parteien sprangen ein und nahmen die Position des dritten Wegs ein.

Ja, eine globalisierte ökosoziale Marktwirtschaft wäre das richtige für den Planeten. Aber die Linke schafft es zu wenig, diese Position global zu formulieren. Wir haben die Globalisierung des Kapitals, aber nicht die der Arbeit, der Gewerkschaften, der Umweltbewegung. Wir haben zu wenig Globalisierung.

Ein Machtvakuum

In dieses Machtvakuum der fehlenden Alternative zum Kapitalismus stieß der Islamismus vor. Er hat es geschafft, vielen Völkern eine vermeintliche Alternative vorzuspielen. Er ist von Afrika bis in den mittleren Osten immer noch aktuell, auch wenn eine seiner schlimmsten Ausprägungen, der sog. „Islamische Staat“, derzeit besiegt erscheint. Als Staat ja: als weltweit tätiger Terrorismus nicht. Als Terrorismus wird er uns noch lange begleiten, wenn wir die globalen Ungerechtigkeiten nicht beseitigen.

Der Islamismus als Salafismus oder Djihadismus ist eine Strategie des Mittelalters. Er ist nicht die Lösung, er ist bloß das Spiegelbild des Problems.

Das lokale, historische Versagen der Grünen und der SPÖ

In dieser Situation bräuchte es starke Grüne und Rote, auch in Österreich. Aber beide Parteien haben im letzten Wahlkampf und auch schon davor möglichst viel falsch gemacht. Den Grünen hat das die parlamentarische Existenz gekostet – zu einem Zeitpunkt, an dem diese wirklich wichtig gewesen wäre. Die SPÖ hat sogar noch an Stimmen dazugewonnen, aber trotzdem gegen das Rechts-Rechts-Bündnis verloren. Auch sie hat im Wahlkampf möglichst viel falsch gemacht – von Silberstein angefangen …

Die Linke, zumindest die österreichische Linke, hat noch nicht gelernt, mit den Faktoren für den Rechtsruck umzugehen.

Dabei gäbe es Chancen. Laut heutigem Standard hat „ein Forscherteam der Universität Wien“ etwas Interessantes herausgefunden: „Die Daten der zu mehreren Zeitpunkten zwischen Juni und Oktober 2017 insgesamt rund 4000 Befragten […] zeigen, dass sich die Mehrheit in gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration und Zuwanderung Mitte-rechts positioniert. Wenn es aber um Sozial- und Wirtschaftspolitik geht, vertreten die Österreicher stärker linke Ansichten“. Ja, klar: gegen „die Ausländer“, aber auch für die eigene soziale Sicherheit.

 „Immer mehr Wähler positionieren sich ökonomisch links, aber gesellschaftspolitisch rechts oder konservativ“, sagt [Projektleiterin Sylvia] Kritzinger.

Die Lösung ist global

Die Konzerne, die Ausbeuter: sie handeln global. Das liegt in der Natur des Kapitalismus, dass er sich ausdehnt. Allerdings stößt er seit einigen Jahren an die Grenze. Eine Ausdehnung über den Planeten hinaus ist nicht möglich. Tja: wenn wir die Marsbevölkerung unterjochen und ausbeuten könnten … das wär noch eine Option.

Wir haben aber nicht zu viel Globalisierung: wir haben zu wenig. Die Gewerkschaften, die NGOs: auch sie müssen global denken und global und lokal handeln.

Es kann an vielen Orten beginnen, und es führt letztlich zum gleichen Ziel. Wir können und müssen für Flüchtlinge das Einhalten der Menschenrechtskonvention einfordern. (Das ist mit der neuen Regierung nicht gesichert.) Wir müssen Steuergerechtigkeit innerhalb Österreichs einfordern. (Das ist mit der neuen Regierung nicht gesichert.) Wir müssen Steuerhinterziehung der Besitzenden, der Konzerne bekämpfen. (Das ist mit der neuen Regierung gar nicht gesichert.) Wir müssen einen Ausbau einer Entwicklungshilfe einfordern, die nicht wirtschaftliche Außenposten generiert, sondern Hilfe zur Selbsthilfe ist. (Das ist mit der neuen Regierung ganz und gar nicht gesichert.)

Und nicht nur in Österreich, überall.

Oder wir gehen in eine Zeit, in der 1% besitzt, 1% bombt und 98% unter beiden leiden.


Lit.:

Christian Kern (2017): Die Sozialdemokratie hat eine große Zukunft. In: Der Standard vom 8.12.2017

Tanja Traxler (2017): FPÖ-Wähler stehen ökonomisch weiter links als die Partei. In: Der Standard vom 21.12.2017

Christoph Rottwilm (2015): 1 Prozent der Weltbevölkerung besitzt bald mehr als der gesamte Rest. In: manager-magazin vom 19.1.2015

Stefan Neuner, Hg. (o.J.): Teamglobo. Zugriff am 21.12.2017. Hier im Besonderen: Unser kleines Dorf.

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Jan Kees
Jan Kees
6 Jahre alt

Yes, more globalisation in terms of labourunions, NGO’s and environment would be helpfull. Today it seems that the mainstream of migrants comes out of Africa. No jobs and poverty drives the young people to Europe. Athough the continent is incredibly rich of resources, the main population is very poor. I say the main population, because (how cynical) the gap between the rich and the poor inside of Africa is rapidly growing. I think that the main problem is, the attitude of the leaders in these countries. Besides the conflicts, corruption and nepotism causes most of the damage. ( partially the… Mehr »