Veröffentlicht in Bildung, Politik

Variablen und Konstanten


Vor 10 Jahren sah die Welt noch anders aus. Österreich war noch nicht Mitglied der EU (es gab noch keine EU!). Deutschland war getrennt in BRD und DDR. Die Sowjetunion war ein mächtiger Staat. Und Elfriede Hammerl schrieb im profil den Artikel „Frauenberuf mit Direktoren“.

In den letzten 10 Jahren hat sich viel geändert. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, sie zerfiel in 1000 Teile (und mit ihr der real regierende Kommunismus). Deutschland ist vereinigt (wenn auch nicht unbedingt geeint), und Österreich wird in Kürze den Schilling durch den Euro ersetzen. Und Monika Tessadri-Wackerle redigiert eine Zeitung zu Gleichberechtigungsfragen.

Natürlich ist auch einiges gleichgeblieben. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum beträgt noch immer etwa 300 000 km/sec. Die Summe aus Masse und Energie im Kosmos ist immer noch konstant. Die Erdanziehung wirkt noch immer wie zuvor.

1988 musste Elfriede Hammerl feststellen: „Fast 70 Prozent der österreichischen Pflichtschullehrer(innen) sind Frauen, trotzdem besetzen sie nur ein Drittel der Chefposten.“

1998 erscheint anlässlich des 150jährigen Bestehens des Unterichtsministeriums ein kleiner Falter mit dem Titel „Auf dem Weg zur Chancengleichheit…“, der u.a. ein bisschen Schulstatistik auf der Basis des Schuljahrs 95/96 versammelt. Daraus geht hervor, dass heute – quer über alle Schulen Österreichs – etwa 65% aller Lehrer(innen) Frauen sind, aber nur etwa 38% aller Direktor(inn)en.

Es lässt sich aus den Daten herausrechnen, dass im Pflichtschulbereich (Volksschule, Hauptschule, Sonderschule) mittlerweile immerhin ca. 41% aller Direktorsstellen von Frauen ausgefüllt werden: was nicht unbedingt ein Fortschritt ist, wenn man berücksichtigt, dass mittlerweile der Frauenanteil bei den Pflichtschullehrer(inne)n insgesamt auf etwa 80% gestiegen ist.

Es zeigt sich, dass die Unterschiede nach Bundesländern ganz erheblich sind. Die Stadt Wien hat bei ca. 72% Frauenanteil bei den Lehrer(inne)n und bei ca. 58% Frauenanteil bei den Direktor(inne)n fast schon den „break even“ erreicht. Vorarlberg und Tirol – mit den Verhältniszahlen 57% zu 4% (!!!) bzw. 57% zu 23% – hinken hinten nach.

(Vorarlberg liegt sogar weit abgeschlagen hinten. Vielleicht ist die damalige Landesrätin und jetzige Frau Minister deshalb nach Wien gegangen? Weil in Wien das Klima frauenfreundlicher ist? Weil sie´s in Vorarlberg nicht mehr ausgehalten hat? Oder weil sie in Vorarlberg gesehen hat, dass man was ändern muss? Oder weil die ÖVP eine Quotenministerin gesucht und sie in der Frau Landesrätin gefunden hat? Wir werden´s nicht erfahren.)

Es scheint also ein Ost-West-Gefälle der Gleichberechtigung zu geben. Nun sind die Verhältnisse in Städten anders als auf dem Land. Dass Wien als Stadt sich mit der Gleichberechtigung „leichter“ tut als die Länder Vorarlberg und Tirol, könnte also auch so erklärt werden. Dem widerspricht allenfalls, dass – was die Durchführung der Gleichberechtigung von Frau und Mann im Schuldienst begrifft – das ländliche Burgenland an zweiter Stelle liegt. Am Ende handelt es sich um einen SPÖ-ÖVP-Gegensatz? Je höher der ÖVP-Anteil, desto mehr Männer in Führungspositionen? (Außer an der Spitze des Ministeriums…)

Der Falter des Ministeriums listet penibel den Frauenanteil am Lehrpersonal nach Schularten und Bundesländern auf und zieht Differenzen. Meistens sind sie negativ: der Frauenanteil am Lehrpersonal ist höher als bei den Direktorenstellen. Es gibt aber Ausnahmen. Fast alle sind sie leicht interpretierbar. So liegt im Burgenland der Prozentsatz der Lehrerinnen an „lehrerbildenden höheren Schulen“ bei 66%, der Anteil der Direktorinnen aber bei 100%. Ich nehme deshalb an, es gibt dort nur eine solche Schule und die wird von einer Frau geleitet.

Auch die Schultypen spielen eine Rolle. Am wenigsten ist das Prinzip Gleichberechtigung bei den Hauptschulen verwirklicht (64% des Lehrpersonals, aber nur etwa 15% des Direktionsposten). Darauf folgen die kaufmännischen Schulen – hier scheint der Begriff kaufmännisch besonders berechtigt – und die Gymnasien. (Ich sehe hier davon ab, dass im Bereich der technischen Schulen der Frauenanteil am Lehrpersonal insgesamt noch sehr gering ist.)

Wenn ich freilich daran denke, wie man in der Schule Karriere machen kann – dann weiß ich nicht, ob es immer so wünschenswert ist, den Anteil der Direktorinnen zu heben. Ich kenne den Fall des Geografielehrers, der vom einfachen Lehrer direkt zum Inspektor wurde. Er war als Lehrer besonders dafür bekannt, dass er eine laute Stimme hatte – man hörte ihn im gesamten Schulgebäude, wenn er brüllte, und er brüllte oft. Seiner Qualifikation zum Inspektor schadete sicher nicht seine jahrelange Tätigkeit als Oppositionsführer der Landes-Mehrheitspartei im städtischen Gemeinderat. Seine Beförderung zum Inspektor schuf Platz für einen guten Junglehrer, wahrscheinlicher aber für eine engagierte Junglehrerin. Wäre es besser gewesen, diesen profunden Pädagogen weiterhin auf Kinder loszulassen und statt ihm eine Inspektorin zu bestellen?

Liegt die Lösung der Misere in einer radikalen Bevorzugung von Frauen? Sollen Frauen, wenn sie qualifiziert sind, auch besser qualifizierten Männern vorgezogen werden? Ich tu mir da schwer und glaube schon, dass die oder der am besten qualifizierte einen Leitungsjob übernehmen sollte. (Es muss ja auch für eine Frau unangenehm sein, einen Job als „Quotenfrau“ bekommen zu haben.)

Was die Schule (und nicht nur sie!) aber sowieso braucht, sind „flachere“ Hierarchien. Ein Teil einer „schnellen“ Lösung liegt für mich auch darin, die scharfe Grenze zwischen dem Lehrpersonal und der Ebene der Direktoren und Inspektoren aufzuweichen. Ich sehe nicht ein, warum man Direktor und Inspektor bis zur Pensionierung sein soll. Der Direktor, die Direktorin, die Inspektorin, der Inspektor: sie sollten Lehrer(innen) in zeitlich befristeter Spezialverwendung sein. Flache Hierarchien! Viel flachere als jetzt! Es gibt Direktoren (auch männliche!), die das im Innenverhältnis einer Schule schon ganz gut und erfolgreich praktizieren. Ein guter Teil der Arbeit eines modernen Lehrers oder einer modernen Lehrerin besteht in Dingen, die weit über den konkreten Unterricht und seine Vor- und Nachbereitung hinausgehen, und es gibt viele Lehrerinnen und Lehrer, die täglich zeigen, dass sie mehr können, als „bloß“ unterrichten.

Flache Hierarchien hätten viele Vorteile. Die Direktor(inn)en und Inspektor(inn)en würden den Kontakt zur sich schnell ändernden Schulrealität nicht so gründlich verlieren. Viele Lehrer(innen) könnten sich mit ihrer Schule leichter identifizieren. Flache Hierarchien in diesem Sinn haben aber zunächst nichts mit der Forderung nach Gleichberechtigung zu tun. Aber sie würden außerdem dazu beitragen, dass der offensichtlich vorhandene strukturelle Widerstand gegen Frauen in Leitungspositionen schneller schwinden könnte.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im österreichischen Schuldienst ist in den letzten 10 Jahren nicht sehr weit fortgeschritten (wenn überhaupt). Das österreichische Schulsystem ist diesbezüglich weit stabiler als weltpolitische Verhältnisse, wenn auch vielleicht nicht ganz so konstant wie die Naturgesetze.


erschienen in: AGI. Zeitschrift des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der Universität Innsbruck. Nr. 0/98. S. 9-10.

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