michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Veränderungen, Veränderungen …

2 ungleiche Nachrichten

[fette Formatierungen im Text und in den Zitaten sind von mir.]

a) Wachstum

Der ORF meldet: „Deutsche Wirtschaft schrumpfte im 2. Quartal um 0,3 Prozent“. Ist das dramatisch? Ja, nach allgemeiner Lehre ist eine Schrumpfung der Wirtschaft mit dem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. Die Wirtschaft soll nicht schrumpfen. WIR BRAUCHEN WACHSTUM, wird uns permanent vorgebetet.

b) Kipppunkt

t-online meldet: Kipppunkt in der Antarktis bald erreicht?/ Hunderte Millionen Menschen könnten betroffen sein“. Ist das dramatisch? Die Antarktis ist weit weg; was betrifft uns das, wenn dort das Eis schmilzt? Arbeitsplätze sind da nicht gefährdet.

Könnte man meinen. Ich sehe das anders. Nämlich …

1. Wachstumsideologie

Wir leben auf einem beschränkten Planeten und also in einem beschränkten System. In beschränkten Systemen ist permanentes Wachstum sowieso nicht möglich: irgendwann gehen die Ressourcen aus. (Man kann das in der Schule lernen, in Mathe, in Ökonomie, in Biologie. Man braucht dazu kein Studium.)

Es gibt „Grenzen des Wachstums“; so heißt auch ein sehr wichtiges Buch aus 1972 des Club of Rome: es rechnet mehrere Zukunftsszenarien durch und kommt zur Schlussfolgerung:

Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.

Und das hieße:

Das Erreichen der Wachstumsgrenzen könnte zu einem ziemlich raschen und nicht aufzuhaltenden Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität führen, wenn dadurch die Umwelt irreparabel zerstört oder die Rohstoffe weitgehend verbraucht würden.

Also: Milliarden Menschen werden sterben, die menschliche Produktion wird radikal sinken, die Umwelt wird irreparabel zerstört. Wenn wir so weiter machen, wie wir 1972 agierten, innerhalb von 100 Jahren.

Aber „Grenzen des Wachstums“ hat auch Alternativen berechnet und kommt zum Ergebnis:

Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen. Sie erfordern ein außergewöhnliches Maß von Verständnis, Vorstellungskraft und politischem und moralischem Mut. Wir glauben aber, daß diese Anstrengungen geleistet werden können, und hoffen, daß diese Veröffentlichung dazu beiträgt, die hierfür notwendigen Kräfte zu mobilisieren.

Es ist sehr die Frage, ob wir in den letzten 50 Jahren dieses „außergewöhnliche Maß von Verständnis, Vorstellungskraft und politischem und moralischem Mut“ zusammengebracht haben. Ein Teil der Menschheit schon, es gibt zweifellos Fortschritte; aber es gibt völlig unverantwortliche und dumme Führerfiguren, die nichts kapiert haben: nichts von Politik und nichts von Moral.

auf einer banalen Ebene

Man kann das auch auf eine banale Ebene hinunterbrechen. Wenn alle Menschen im Wesentlichen alles haben – jede:r hat eine Wohnung, die nötige Kleidung, zu essen, einen Job,  ein Handy, ein Auto usw. – dann hat weiteres Wachstum wenig Sinn. Dann geht es nur noch darum, Schäden auszubessern, Reparaturen zur Verfügung zu stellen, Ersatz zu leisten. Da „wächst“ dann kaum mehr was.

So weit sind wir aber noch nicht. Nicht in unserer industrialisierten, kapitalistischen Welt, im „globalen Norden“. Noch lange nicht jede:r „hat [hier, bei uns] eine Wohnung, die nötige Kleidung, zu essen, einen Job, ein Handy, ein Auto usw.“ – aber doch schon recht viele. Ich z.B. habe sehr viel: aber kein Auto. Job im engeren Sinn hab ich auch keinen mehr.

Global gesehen, jenseits des globalen Nordens, im globalen Süden gibt es aber noch riesige Lücken: in Afrika, Lateinamerika, Teilen Asiens. Da fehlt viel; da könnte Wachstum noch sinnvoll sein. Die Frage ist: brauchen wir global alle alles? Wohnung? Ja! Kleidung? Ja! Zu essen? Ja! Job? Kommt drauf an. Handy? Nicht unbedingt. Auto? Nein, es gibt bessere Alternativen. Man kann Dinge einsparen. Global!

Schluss 1

Also ein „Minuswachstum“ von 0,3% in Deutschland in einem Quartal schreckt mich gar nicht. Das wird normal werden! Kann schon sein, dass Arbeitsplätze wegfallen: dann muss man Arbeit halt besser und fairer verteilen.

2. Kipppunkt Antarktis

In der Antarktis zeichnen sich nach Einschätzung australischer Klimaforscher derzeit drastische Veränderungen ab. In einem am Mittwoch in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Artikel warnt eine Gruppe von Forschern vor „neuen Hinweisen auf abrupte Umweltveränderungen in der Antarktis“, die sie bei Feldeinsätzen beobachtet hätten.

Und:

Demnach nähert sich die globale Erwärmung einer kritischen Schwelle, bei deren Erreichen große Teile des antarktischen Eisschilds schmelzen könnten. Der Eisverlust habe sich seit den 1990er Jahren bereits versechsfacht. Allein der westantarktische Eisschild enthält genug Eismasse, um den globalen Meeresspiegel um mehr als fünf Meter steigen zu lassen.

[Nebenbemerkung: Die Arktis im Norden ist i.W. Eis, das auf Wasser schwimmt. Das Grönlandeis liegt aber auf Grönland. Wenn das Eis in der Wasser der Arktis schmilzt, hat das für den Pegelstand der Meere zunächst keinen Einfluss. Wenn das Grönlandeis schmilzt, rinnt aber zusätzliches Wasser ab und der Meeresspiegel steigt.]

Analog in der Antarktis. Die ist nicht nur Eis: die ist ein von Eis bedeckter Kontinent. Wenn das Eis auf diesem Kontinent abschmilzt, rinnt ebenfalls zusätzliches Wasser ab und der Meeresspiegel steigt. Das Eis bloß des „westantarktischen Eisschilds“ allein könnte den Meeresspiegel um 5 Meter steigen lassen. Wann? Das wissen wir nicht genau, aber es sieht sehr danach aus, dass das jetzt schnell gehen könnte. Hier kippt ein System; das führt zu nicht mehr umkehrbaren Folgen – und zwar global.

auf einer banalen Ebene

Wenn das Eis des westantarktischen Eisschildes durch die Klimaerwärmung schmilzt, heißt das für „mindestens 750 Millionen Menschen in niedrig gelegenen Küstenregionen“, dass sie sich einen anderen Ort suchen müssen. Wann? Das wissen wir nicht genau, aber es sieht sehr danach aus, dass das jetzt schnell gehen könnte. Welche Krisen wird das auslösen? Können wir uns das schon annähernd vorstellen?

Schluss 2

Das Erreichen der Klima-Kipppunkte in der Antarktis macht mir große Sorgen. Es betrifft auch mich; es betrifft die globale Wirtschaft überall, damit Arbeitsplätze überall, Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme überall.

3. Worauf will ich hinaus?

Ein an sich klitzekleines Problem wie ein Rückgang der Wirtschaftsleistung im Quartal um 0,3% macht uns Kopfzerbrechen. Ein riesiges Problem wie ein Kipppunkt des Klimawandels in der Antarktis scheint uns weit entfernt und irrelevant.

Wir könnten seit 1972 wissen, was auf uns zukommt. Wir haben aber die Maßstäbe verloren!


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