Muss Trump 2.0 einen mitteleuropäischen politischen Blog dominieren?
Ich habs nachgezählt: 29, also ziemlich genau die Hälfte der letzten 61 Artikel, die ich seit dem 1. März auf meinem Blog publiziert habe, beschäftigen sich mit „Trump 2.0“, also mit dem US-Präsidenten und dem „System“, das er und seine Gefolgsleute etabliert haben. Ist das wirklich notwendig? Wird es nicht ermüdend und langweilig, immer die mehr oder weniger gleichen Vorwürfe zu lesen? Stumpft man da nicht ab und nimmt dann nichts mehr wahr? Reicht es nicht, sich auf die wirklich relevanten und gravierenden Ereignisse zu beschränken? Oder soll man über eine Präsidentschaft wie Trump 2.0 nicht lieber überhaupt den Mantel des Schweigens ausbreiten? Was geht mich überhaupt Trump 2.0 an? Ich bin Österreicher und sollte froh sein, dass uns Kickls FPÖ in der Regierung erspart geblieben ist.
Ich frage mich das immer wieder und habe die Frage am 18. März im Artikel „Wie tut man … / … wenn der Wahnsinn normal wird?“ auch explizit gestellt. Leider habe ich noch keine definitive Antwort gefunden. Was meinen Sie, liebe Leserin, lieber Leser?
Wegdrehen und Schweigen?
Im Artikel „Warum ‚Wegdrehen und totstellen‘ keine Strategie der Demokraten sein kann“, erschienen im Standard am 2. April, erwähnt der US-Politikmanager Reed Galen, der „altgediente demokratische Parteistratege James Carville“ habe den Demokraten, seiner Partei, die „Strategie“ des Wegdrehens und Schweigens empfohlen. Ja nicht nur „Schweigen“: laut Galen sprach Carville sogar von „Totstellen“.
Wer ist Reed Galen? Er ist ein republikanischer Politologe, der sich im „Lincoln Projekt“ um die Eindämmung von Schäden durch die Kandidatur Trumps kümmern wollte und zur Wahl von Joe Biden aufgerufen hatte.
Galen hält Schweigen nicht für eine effiziente Strategie gegen Trump 2.0.
Wenn sich die Demokraten entscheiden zuzusehen, wie das Land in Flammen aufgeht, weil sie hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler sie für den von Trump 2.0 angerichteten Schaden belohnen werden, heißt das, dass sie wirklich nichts gelernt haben.
Wie man sich irren kann …
Galen hat allerdings nicht immer recht. Am 14.3.2024 druckte der Standard schon seinen Artikel „Warum Trump nicht gewinnen kann und welche Rolle die Generation Z dabei spielt“ ab. Da meinte Galen:
Trumps unberechenbares Verhalten, seine antidemokratische Rhetorik und die Drohungen gegen seine Gegnerinnen und Gegner werden bei den Präsidentschaftswahlen im November zu seiner Niederlage beitragen. Aber es ist die demografische Zusammensetzung der Vereinigten Staaten, die Trump schließlich in den endgültigen Ruhestand schicken wird.
Die Analyse des Systems Trump war richtig, die Prognose leider falsch.
Aber was heißt Trump 2.0 für uns in Österreich, in Europa?
Es ist ohne Zweifel so, dass die Politik von Trump 2.0 auch uns in Österreich und in Deutschland und in der Schweiz und in ganz Europa betrifft. Ich schätze die Einflüsse aus den USA mindestens so hoch ein wie die Einflüsse unserer eigenen Regierungen. Wenn die USA aus dem Klimaschutzabkommen oder aus der WHO austreten, betrifft uns das direkt mit unserer eigenen Klimapolitik und unserer eigenen Gesundheitspolitik. Der menschengemachte Klimawandel kennt keine Staatsgrenzen – nicht einmal der Atlantik ist eine.
Trump 2.0 ist auch als Lehrbeispiel wichtig. Wir können auf der weltweit größten Bühne verfolgen, wie der Autoritarismus wirkt und funktioniert. Wir können auch bereits Strategien der Gegenwehr erahnen und für unsere Verhältnisse adaptieren.
Spätestens seit meinem Artikel am 7./8.3. über die Rede des französischen Senators Claude Malhuret stammen die 5 größten Gruppen meiner Leserinnen und Leser aus (1) Deutschland, (2) Österreich, (3) der Schweiz, (4) den USA und (5) Frankreich. (Dann folgen absteigend ca. 50 andere Länder der Erde, incl. Russland und China.) Es gibt da Menschen, die sich für europäische Sichtweisen und Analysen interessieren.
Ich glaube, wir müssen uns der neuen US-Realität aktiv stellen; sie betrifft uns direkter als wir das vielleicht noch wahrhaben wollen. Das System Trump 2.0 wird derzeit in etwa der Hälfte meiner Artikel behandelt. Ich glaube, das ist verantwortbar, vielleicht sogar notwendig. Vielleicht hilft es auch meinen Leserinnen und Lesern in den USA.
Ich bin allerdings sehr an der Meinung meiner Leserinnen und Leser interessiert. Bitte schreiben Sie!