Veröffentlicht in Bildung, Politik

Corona-Ampeln. Und die Welt

Die Ampel

Die österreichische Bundesregierung hat eine Corona-Ampel eingeführt. Bezirksweise wird bekannt gegeben, ob („grün“) nur „geringes Risiko“, ob „mittleres Risiko“ („gelb“), ob „hohes Risiko“ („orange“) oder ob „sehr hohes Risiko“ („rot“) im Bezirk herrsche. Diese Ampelfarben werden pro Bezirk wöchentlich verlautbart.

Die Ampelfarben werden von einer Corona-Ampel-Kommission definiert; diese Kommission besteht aus 19 Personen: 5 FachexpertInnen, 5 VertreterInnen der Regierung und 9 VertreterInnen („ExpertInnen“) der 9 Bundesländer. Diese handeln die Farbgebung aus. Die Kommission empfiehlt, der Minister stimmt sich mit den Landeshauptleuten ab. So sieht die Theorie aus:

???

Das kann nicht vernünftig sein; das ist für niemanden außerhalb der 19 Kommissionsmitglieder nachvollziehbar. Niemand weiß, warum es zu den betreffenden Farbgebungen kommt. Es ist eine Ampel nicht nachvollziehbar gebildeter Einschätzungen. Kompromiss². Oder Kompromiss³.

(Abgesehen davon: es sind noch nicht einmal die Gesetze für diese Ampel und ihre Folgerungen gemacht.)

So sieht der Anfangszustand dieser Ampel aus:

Das ist wie von der Tourismus-Lobby bestellt. In Österreich steht die Ampel grün: nur geringes Risiko. Bis auf Wien, Graz, Linz und den Bezirk Kufstein, in denen „mittleres“ Risiko herrsche. Nirgends sehen wir offizielle Zahlen: keine einzige!

Ich kann mir die Telefonate vorstellen:

Franz: „Du Sebastian, des mit der Ampel isch a guade Idee. Aber miar braucheten sie grean. Bitte richtets des so ein“
Sebastian: „Franz, i werd drauf schau’n. Die Elli hats mir eh scho g’sagt“

Corona-Risiken lassen sich durchaus „im Schnitt“ auf Gegenden beziehen. Manche Bezirke, manche Staaten, manche Orte sind deutlich stärker betroffen als andere. Insofern ist die Idee hinter so einer Ampel nicht falsch. Aber die viel größeren Risiken bestehen im Verhalten der Menschen. Wer sich mit vielen mehr oder weniger Unbekannten in dicht besetzten Innenräumen lange aufhält, geht hohe Risiken ein. Überall.

Dass diese Ampel sofort Kritik erfahren hat, ist klar. Der Linzer Bürgermeister wehrt sich, der oberösterreichische Landeshauptmann ebenfalls. Na klar: die sehen den Ampelstand als geschäftsschädigend. Andrerseits: wer Österreich derartig grün einfärbt, läuft Gefahr, eine Sorglosigkeit zu erzeugen, die sich rächen kann.

Eine andere Ampel

Es gibt in Österreich noch eine andere Ampel: die des „Complexity Science Hub Vienna“. Dieser „CSH“ ist eine gemeinsame Plattform einiger österreichischer (vor allem Wiener) Universitäten und anderer Organisationen. Es handelt sich um eine Initiative, die es immerhin zu einer offiziellen akademisch-österreichischen Web-Adresse gebracht hat, die also über eine gewisse universitäre Anerkennung verfügt.

So sieht die CSH-Ampel heute aus …

… also zum gleichen Zeitpunkt, an dem die Ampel des Ministeriums fast nur grün zeigt.

Hier geht es um objektive Daten. Es geht um die „positiv getesten“ Personen des jeweiligen Bezirks innerhalb der letzten 14 Tage pro 10.000 EinwohnerInnen. Es geht nicht um Einschätzungen. Es geht nicht um politisch ausgehandelte Farbgebungen, sondern um reale Gegebenheiten.

Wir sehen hier, dass zahlreiche v.a. ländliche Bezirke „grün“ sind im Sinne von weniger als einer Infektion pro 10.000 Einwohnern in den letzten 14 Tagen; wir sehen viel gelbes Gebiet im Sinne von weniger als 10 Infektionen pro 10.000 Einwohnern in den letzten 14 Tagen und wir sehen derzeit nur 2 rote Bezirke (im Sinne von mehr als 10 Infektionen pro 10.000 Einwohnern in den letzten 14 Tagen): die Bezirke Kufstein und Innsbruck-Stadt.

Durch Anklicken der Bezirke kann man noch deutlich genauere Daten erhalten.

Klar: als touristisches Werbeinstrument ist diese Ampel nicht so gut brauchbar. Sie hat den Nachteil, dass sie objektive Zahlen veranschaulicht, nicht politisch Ausverhandeltes.

(Übrigens: der CSH Vienna stellt auch eine Ampelkarte für die Staaten der Erde zur Verfügung.)


Aber …

Aber: es wäre gut und höchst an der Zeit, sich nicht nur um Corona zu kümmern. Es gibt eine Klimakrise und sie raubt uns – nur zum Beispiel – mit den letzten Gletschern eine sichere Trinkwasserversorgung für unsere Gebirgstäler. Und sie bringt weltweit größere Katastrophen als Corona. Wir haben immer noch gigantische Fluchtbewegungen auf dem Globus und unhaltbare Zustände in Flüchtlingslagern überall auf der Welt, auch auf griechischen Inseln innerhalb der EU: mit Hunger und einer miserablen Gesundheitsversorgung (und natürlich auch Corona-Infektionen). Wir haben weltweit massive Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Wohlstand, Bildung, Gesundheit. Es gäbe so viel zu tun – aber wir schlagen uns mit einem harmlos-lebensgefährlichen Virus herum.

Ja: das Virus steht als unsichtbarer Elefant im Raum: man muss sich drum kümmern. Eine kluge, verhältnismäßige Politik einerseits und eine allgemeine Einsicht in die Notwendigkeit von Maßnahmen andrerseits (statt Verschwörungstheorien anzuhängen) würde Vieles erleichtern.

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michael bürkle
michael bürkle
3 Jahre alt

Auch eine, meine „Verschwörungstheorie“: es gibt ein Coronavirus; es macht manche Leute krank, und manche bringt es sogar um. Es ist deshalb hervorragend als Angstmacher und als Thema für eine Beschäftigung geeignet. Wer sich mit Corona beschäftigt, kommt nicht auf die Idee, unangenehme Fragen zur Klimapolitik, zu Flucht, zu Umweltpolitik an sich zu stellen. Wer eine Schule unter Corona führen muss, hat keine Zeit mehr, dringend nötige Schulreformen einzufordern; die gehen sich dann ja gar nicht aus. Ich unterstelle niemandem, das bewusst zu planen – aber Corona kann für eine bestimmte Sorte Politiker eigentlich ganz angenehm sein. Alle sind beschäftigt:… Mehr »