Veröffentlicht in Bildung, Politik

Corona, Grippe und die Normalität

Immunität

Gestern und heute die Nachricht: gestern hat sich offenbar ein Mensch aus Hongkong, der schon eine Covid-19-Infektion hinter sich hatte, in Spanien noch einmal angesteckt. Mit einer anderen Version des Virus. Es entsteht also durch eine Infektion keine Immunität, jedenfalls keine langfristige. Heute die gleichen Meldungen aus Belgien und den Niederlanden. Eine Sensation? Der Zusammenbruch aller Träume von Heilung?

Ach wo! Corona ist ein Virus, das meistens eh nix tut und kaum bemerkt wird, das manchmal durchaus lästig und gefährlich wird, manchmal sogar tödlich,  und, – das ist relativ neu – das lästige Folgeschäden im ganzen Körper hinterlassen kann. Corona ist diesbezüglich ähnlich wie „die Grippe“, also das, was von Influenza-Viren erzeugt wird. Auch die machen meistens nicht wahnsinnig viel, können lästig werden und verursachen sogar Todesfälle.

Mein „Schwager“, ein guter Freund, hat das mit vielen anderen gemeinsam zum Anlass genommen, um Covid-19 als „bloß eine neue Grippe“ aufzufassen. Damit ist natürlich die Kritik an den Corona-Maßnahmen verbunden. Müssen wir wirklich ganze Wirtschaftszweige hinunterfahren, um uns vor einer „neuen Grippe“ zu schützen? Die Grippe habe 2018 in Holland über 8.000 Tote gefordert, die Krankenhäuser seien hoffnungslos überlastet gewesen – und niemand sei deswegen auf die Idee gekommen, das Wirtschaftssystem hinunterzufahren.

(Abgesehen davon, dass die unbestrittenen Gefahren einer heftigen Grippewelle nicht einfach hingenommen werden müssten: wenn eine Grippeepidemie das Gesundheitssystem eines modernen, westlichen Industriestaats an den Rand fahren kann, müsste man das nicht einfach hinnehmen, sondern sollte sich um Verbesserungen dieses Gesundheitssystems bemühen.)

Unterschiede

Ich sehe wesentliche Unterschiede zwischen einer heftigen Grippewelle und der Corona-Pandemie.

  1. Die Grippe ist uns bekannt und vertraut; das kann man von Covid-19 noch nicht wirklich behaupten
  2. Gegen die Grippe gibt es Medikamente. Gegen Corona immer noch nicht.
  3. Viele Probleme der Grippe sind keine der Grippe, sondern Folgen bakterieller Folgeinfektionen, die man – im Prinzip – mit Antibiotika kontrollieren kann. Das ist bei Covid-19 nicht so.
  4. Wirklich gravierende Folgeschäden sind bei der Grippe ungewöhnlich, bei Corona nicht.

Wenig Unterschied sehe ich in der Frage nach der Immunität. Offenbar – wenn die Meldungen von gestern und heute stimmen – gibt es keine dauernde Immunität gegen Coronaviren. Na eh klar: es gibt auch gegen die Grippe keine dauernde Immunität. Warum soll das bei Corona anders sein? Jedes Jahr kann man sich gegen die gerade aktuellen Influenza-Stämme impfen lassen – aber niemand bildet sich deswegen ein, ab dem Impfzeitpunkt gegen jede Art von Grippe auf Dauer immun zu sein. Gleiches bei Corona. Wenn wir gegen einen Stamm eine Impfung oder Antikörper hätten (oder haben), sichert uns das keine bleibende Immunität zu. Wie denn auch? Diese Hoffnung war unrealistisch. Wir werden mit Corona leben müssen, wir können auch daran sterben, vor allem, wenn wir uns dumm verhalten.

Lernprozesse

Corona ist als Krankheit kein Jahr alt. Wir haben insgesamt schon viel gelernt. Wir haben auch gelernt, was Corona begünstigt und was nichts gegen Corona nützt. Auf der Straße, im Freien Masken tragen? Das ist nicht nötig; das bringt nichts. Ja, das mussten wir lernen. In geschlossenen Räumen, bei Veranstaltungen, bei denen gesprochen oder gar gesungen wird, Masken tragen? Ja, das ist sinnvoll. Damit schützt man sich und andere. Auch das mussten wir lernen. Abstand halten gegenüber Menschen, deren Gesundheitszustand wir nicht sehr genau kennen: ja, das ist vernünftig. Die Großeltern wegsperren? – Nein, das ist es nicht wert.

Die österreichische türkis-grüne Bundesregierung hat sehr viel richtig gemacht; insgesamt war sie vielleicht einen Hauch zu vorsichtig in manchen Dingen, aber die Erfolge geben ihr i.W. recht. Wir stehen heute sehr viel besser da als viele andere vergleichbare Länder. Ja, der Staat hat Schulden gemacht und wird das über Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen langfristig ausgleichen müssen. Nein, ich bin nicht der Ansicht, dass jedem Unternehmen, das durch Corona oder die Corona-Politik Schaden genommen hat, aus Steuergeldern Unterstützungen gezahlt werden müssen. Sondern nur denen, die gesellschaftlich nützlich sind. (Ja: Kunst ist gesellschaftlich nützlich. Apres-ski ist es nicht. Klimaschädliches muss nicht unterstützt werden; Klimanützliches schon.)

Die österreichische türkis-grüne Bundesregierung macht derzeit einiges falsch. Man versucht, Kompromisse mit „der Wirtschaft“ zu schließen, mit „dem Tourismus“. Man ist in der Bekämpfung des Virus nicht mehr einig. Die anfängliche Panik ist bei manchen einem eiskalten Kalkül gewichen, das für den wirtschaftlichen Erfolg auch „Opfer“ zu bringen bereit ist.

Verschwörungen

Das für mich Beunruhigendste bei Corona sind die vielen Menschen, die offenbar glauben, dass Corona das Ergebnis von Verschwörungen sei. Dabei sind die Verschwörungstheoretiker für mich nicht das wirklich Beunruhigende. Wirklich beunruhigend für mich ist, dass viele (durchaus zu Recht) verängstigte und verstörte Menschen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen instrumentalisiert werden können und auch werden.

Nein: eine Pandemie kann niemand planen – auch nicht ein Bill Gates, auch nicht Microsoft oder die WHO. Das ist widersinnig. Der Gedanke an eine Verschwörung erklärt auch nichts, was nicht weit einfacher erklärbar ist. Das Coronavirus hat es schon lange gegeben; es ist vom Tierreich auf den Menschen übergesprungen; es macht eine neue Krankheit. So what? Das Normalste der Welt, dass ein Virus mutiert.

Warum Verschwörung? Im Gegensatz zu bisher bekannten Krankheiten hat Corona besondere, beängstigende Elemente. Viele haben die Krankheit, ohne Symptome zu zeigen. Auch wenn man keine Symptome zeigt, kann man die Infektion verbreiten. Corona ist eine harmlose Krankheit: die meisten Betroffenen bemerken nicht einmal, dass sie erkrankt sind. Gleichzeitig ist Corona eine sehr gefährliche Krankheit: man kann daran sterben, und es gibt noch keine Medikamente. Und gar nicht wenige insgesamt sterben: in Österreich nur ca. 730 Personen bisher; in anderen Ländern Tausende. (Ich würde das Virus in seiner Wirkung durchaus mit der Spanischen Grippe 1918-1920 vergleichen wollen. An der sind zwar verhältnismäßig viel mehr Menschen gestorben – aber in Wirklichkeit nicht an ihr, sondern an den bakteriellen Begleit- und Folgeinfektionen, gegen die es damals noch keine Antibiotika gab.)

Die Gemengelage von Corona ist definitiv eine andere als bei der Grippe. Corona hat etwas Unheimliches: man kann ohne Symptome andere anstecken. Da gibt es noch eine Infektion, die das hat: HIV. Auch HIV war sehr unheimlich am Beginn, aber man konnte es im Gegensatz zu Corona auf einzelne Gruppen eingeschränkt sehen: auf Schwule, auf Drogensüchtige, auf Bluter. Das hielt zwar nicht lange und stelltes sich bald als falsch heraus, aber heute haben wir gegen HIV Medikamente. Gegen Corona noch nicht.

Unheimliches, Unerklärbares erzeugt den Wunsch nach Erklärung. Die Verschwörungstheorie erklärt. Die Erklärung ist zwar Humbug, aber sie ist da. Sie vernünftig zu widerlegen ist fast nicht möglich, denn sie ist nicht durch Vernunft geleitet. Der Humbug beruhigt: wir bekommen Schuldige; auf die kann man hinhauen.

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