Veröffentlicht in Bildung, Politik

Gewalt im Video, Verantwortung in der Schule

Eine gute Freundin besucht uns: meine Frau und mich. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in einer Institution, in der Frauen in Krisensituationen mit ihren Kindern betreut werden.

Im Verlauf des Gesprächs erzählt sie mir folgendes:

Der „Fall“

Der 12-jährige Sohn einer Klientin ist in der Schule, einem Gymnasium, von Mitschülern mit einem Gewaltvideo konfrontiert worden. Das Video zeigt, wie ein Kind ermordet wird. Offenbar ist das Video zunächst noch in einer WhatsApp-Gruppe kursiert und wurde dann dem Kind der Klientin gezeigt. Das Kind ist in großer Unruhe und Angst; die Mutter weiß sich nicht zu helfen; die Sozialarbeiterin wendet sich an den Direktor der Schule. Der erklärt sich für nicht zuständig. Zuständig sei ein Schulsozialarbeiter, den unsere Freundin vom Elternabend an sich in guter Erinnerung hat: er hat dort über Cyber Mobbing und Ähnliches referiert. Unsere Freundin ruft ihn an: er erklärt ihr, dass er wisse, was zu machen sei, könne es aber nicht tun.

Für mich erscheint die Geschichte glaubwürdig. Sie wird sehr sachlich erzählt.

Wir rätseln zuerst darüber, wie 12-jährige zu so einem Video kommen können. Spontane Theorie: ein großer Bruder eines Schülers hat Zugang zum DarkNet und hat seine Beute dem kleinen Bruder für seine WhatsApp-Gruppe überlassen. Jeder kann ein bisschen angeben: der große Bruder gegenüber dem kleinen, der kleine gegenüber seinen WhatsApp-Kollegen. Und insgesamt kann man ein paar Außenseiter (oder Menschen, die man zu solchen machen will) in Angst versetzen.

In welcher Gesellschaft leben wir? Was wird aus diesen Kindern?

2 Fragen

Aber wie solche Videos verbreitet werden, ist die eine Frage. Die andere: ist ein Schuldirektor zuständig, sich darum zu kümmern, wenn er Nachricht davon bekommt?

Ein paar Tage später

Ich weiß mittlerweile, dass man kein DarkNet braucht, um ziemlich echt wirkende Morde im Internet zu sehen. Man muss nur richtig suchen. Man braucht keine geheimen oder halbgeheimen Passwörter: das ist alles öffentlich und steht auch Kindern zum download zur Verfügung. Ich kenne mittlerweile einige Adressen, an denen man sogenannte „snuff videos“ ansehen und herunterladen kann: ohne jede Zugangsbeschränkung, ohne jede Alterskontrolle. Ich habe aber bisher nur snuff videos mit Frauen als Opfern gesehen: Männer und Kinder sind mir als Opfer noch nicht untergekommen. Meistens ist eine Art Pornographie damit verknüpft. Aber ich müsste die widerliche Suche vermutlich nur etwas spezifizieren, dann käme alles zum Vorschein.

(Ganz abgesehen davon: wir sehen täglich ziemlich echt wirkende Morde. In jedem Krimi. Aber im Krimi glauben wir halt zu wissen, dass der Schauspieler aufsteht und weiterlebt, wenn die Spielfigur tot ist. Dieses Wissen beruhigt ausreichend. In den Videos steht niemand wieder auf – doch, auch das kommt vor! – und uns fehlt die Sicherheit …)

Die Wikipedia behauptet, für echte „snuff videos“ (Tötungsvideos) gebe es noch keinen Beweis. Der Artikel listet Filme auf, in denen vermeintlich echte Tötungen vorkommen, die aber keine waren. Auch die Gewaltpornos aus dem Internet behaupten oft, dass den Darstellern nichts geschehen sei:

This movie is a work of fiction, fantasy entertainment for adults and in no way based on real-life events. Names, characters, places and incidents either are products of the author‘s imagination or are used fictitiously. Any resemblance to actual events or locales or persons, living or dead, is entirely coincidental. No people or animals were harmed during the making of this movie.“

Oft behaupten sie das aber auch nicht.

Gewaltvideos werden im Internet als Genre von „Fantasy“ bzw. „Horror“ vertrieben. „Fantasy Horror“, „for Adult Entertainment“. Krank, aber es ist so.

Verantwortung in der Schule?

Aber das können wir dahingestellt lassen. Es wird die Abfilmungen echter Morde schon geben, und es wird oft schwer sein, zwischem „echtem Mord“ und „glaubwürdiger Inszenierung“ zu unterscheiden. Und man wird im DarkNet womöglich noch Extremeres finden als im „normalen“ Netz.

Die Frage für mich ist: Ist ein Direktor einer österreichischen Schule wirklich nicht zuständig, wenn in einer WhatsApp-Gruppe unter seinen Schülern Gewaltvideos herumgehen? Kann es ihm egal sein, wenn sich Kinder da bedroht fühlen?

Ich meine: Nein. Er ist zuständig. Es ist nicht egal. Es ist nicht nur Sache des Schulsozialarbeiters – so wichtig solche Menschen auch sind. Bzw. wären, denn oft gibt es sie gar nicht.

Aber was kann ein Direktor tun?

Meine „Schüler“ sind (bzw. gelten) als Erwachsene. Wenn so was wäre, würde ich mich drum kümmern. Ich würde die Betroffenen zu Gesprächen herholen. Ich würde Schulverweise androhen und bei Wiederholung auch betreiben.

Das muss auch ein Direktor eines Gymnasiums mit Kindern. Wenn er einen Schulsozialarbeiter hat: gut – den kann er als Sachverständigen zuziehen. Aber ich würde mit dem „Vertreiber“ des Videos und dem Verwalter der WhatsApp-Gruppe Klartext reden. Ich würde Schulausschluss androhen und im Wiederholungsfall auch betreiben. Das schließt eine sachliche Darstellung der Problematik nicht aus. Vielleicht ist Kindern noch nicht klar, was da alles Fake sein kann. Vielleicht ist manchen nicht klar, dass es gar nicht cool ist, andere mit Gewaltvideos zu bedrohen. Vielleicht müssen auch Eltern zum Gespräch kommen, damit sie wissen, mit welchen Dingen sich ihre Kinder beschäftigen. In Anwesenheit betroffener Eltern werden auch 12-jährige Angeber unter Umständen einsichtig.

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