Veröffentlicht in Bildung, Politik

Keine Siege

Bei der Landtagswahl haben sich (fast) alle Parteien gefreut. Die ÖVP über ein „sensationelles“ Wahlergebnis von 44%; die SPÖ über den 2. Platz und den „Aufwärtstrend“; die FPÖ über die relativ größte Zunahme seit der letzten Landtagswahl, die Grünen ebenfalls über die Trendwende und die Neos darüber, im Landtag zu sein.

Alles paletti?

Das „Potenzial“

Woran muss man einen Wahlerfolg messen? Am ehesten doch an dem, was erreichbar gewesen wäre. Am „Potenzial“. Und zwar in Stimmen. Ich schlage vor, dieses Potenzial zu schätzen anhand der letzten Wahlergebnisse in der betreffenden Region. Nehmen wir das beste Wahlergebnis an Stimmen jeder Partei und geben noch 10% dazu. Dann bekommen wir eine Zahl, die ungefähr das sagt, was für die betreffende Partei derzeit in der Region maximal, im „Idealfall“ erreichbar wäre.

Die ÖVP

Die ÖVP feiert ihre 44%. Was sind diese 44% wert? Bei der Nationalratswahl 2017 wählten 158.092 TirolerInnen die Partei. Das war an Stimmen das beste Ergebnis der letzten 5 Jahre. Als „Potenzial“ gibt das ca. 174.000 im „Idealfall“ erreichbare Stimmen.

Erreicht hat die ÖVP davon lediglich 141.691. Das sind etwa 81%. Nicht schlecht, aber da fehlt einiges.

Die ÖVP ist in Tirol traditionell stark. Wenn sie schwächelt, liegt das oft an Konkurrenz, die aus den eigenen Reihen kommt. Der ehemalige AK-Präsident Fritz Dinkhauser mit seiner Liste Fritz; der ÖAAB-Funktionär Fritz Gurgiser mit seiner Liste Gurgiser; die ehemalige ÖVP-Landesparteisekretärin Anna Hosp mit „Vorwärts Tirol“. Herwig van Staa in Innsbruck mit „Für Innsbruck“. Usw. Die haben der ÖVP immer wieder Stimmen gekostet. 44% zusammenzubringen ohne jede (ernstzunehmende) innerparteiliche Konkurrenz und damit nur gut 80% des Potenzials auszuschöpfen – das ist kein „Sieg“. Das ist allenfalls eine Rückkehr in eine bescheidene Tiroler „Normalität“.

Die SPÖ

Die SPÖ hat in Tirol schon viele Wahlen verloren. Ihr Potenzial liegt aufgrund des Nationalratswahlergebnisses 2017 (85.650 Stimmen) auf etwa 94.000 Stimmen. Erreicht davon hat sie mit 55.223 Stimmen bei der Landtagswahl etwa 58%. Das ist wenig; sehr wenig. Das ist kein Sieg, auch wenn es nach dem schlechtesten aller Landtagswahlergebnisse ein bisschen aufwärts geht. Hier ist die Krise immer noch manifest.

Die FPÖ

Ihr Potenzial liegt aufgrund der 102.610 TirolerInnen, die bei der NRW 2017 die FPÖ angekreuzt haben, bei etwa 113.000 Stimmen. Davon hat sie bei der LTW mit 49.727 nicht einmal die Hälfte erzielt: etwa 44%. Das ist extrem wenig. Das ist eigentlich eine fulminante Niederlage. Das müsste eigentlich peinlich sein.

Die Grünen

Deren Ergebnis hab ich schon gestern behandelt. 53.910 Stimmen aus der NRW 2013 deuten auf ein Potenzial von derzeit etwa 59.000 Stimmen hin. Davon wurden mit den 34.168 Stimmen gestern lediglich etwa 58% erreicht. (Angesichts des Katastrophenjahrs 2017 eh nicht schlecht.) Etwa so wie bei der SPÖ.

Die Neos

Sie kamen in Tirol bei der NRW 2017 schon auf 23.537 Stimmen. Das wäre ein Potenzial von ca. 26.000. Erreicht wurden gerade einmal 16.670 oder ca. 64%. Nein: ein wirklicher Erfolg sieht anders aus.

Die Daten

So sieht die Gesamtheit der Daten aus, die ich hier verwende:

LTW18 NRW17 NRW13 LTW13 max Potenzial
ca.
erreicht bei LTW18
ÖVP 141.691 158.092 114.754 124.689 158.092 174.000 81 %
SPÖ 55.223 85.650 64.923 43.469 85.650 94.000 59 %
Grüne 34.168 18.367 53.910 39.904 53.910 59.000 58 %
FPÖ 49.727 102.610 68.761 29.594 102.610 113.000 44 %
Neos 16.670 23.537 17.344 23.537 26.000 64 %

*

Ich bin kein Politikwissenschaftler und weiß nicht, ob meine Definition von Potenzial so ähnlich schon irgendwo existiert. Mir ist klar, dass man Wahlergebnisse von Nationalrats- und Landtagswahlen nicht ohne Weiteres vergleichen kann. Aber ich denke, die Idee ist diskussionswürdig. Ich würd mich über Diskussionsbeiträge freuen.

 

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ha_23
ha_23
6 Jahre alt

Mir gefällt die Zahlenjongliererei und das mit dem Potenzial hat Potenzial, man müsste aber noch direkte Zusammenhänge zu den gesellschaftlichen Entwicklungen herstellen. Inwieweit lassen sich die Zahlen mit dem zunehmenden Mit-sich-selbst-Beschäftigtsein – nicht nur der Einzelnen, sondern auch der Parteien – in Verbindung bringen?