Veröffentlicht in allgemein, Bildung

Ländliche Hochzeit

Am Wochenende Gast bei einer Hochzeit in Vorarlberg. Alles wunderbar: die Hochzeitsgemeinschaft bestens aufgelegt. Der Saal geschichtsträchtig. Die Braut natürlich „wunderschön“, in weißem Brautkleid mit langer Schleppe. Der Bräutigam auch sehr fesch, in dezent hellgrauem Anzug mit eleganter Krawatte und entsprechender Krawattennadel. Die Standesbeamtin in einem roten Kleid. Ebenso elegant Trauzeugin und Trauzeuge. Insgesamt sitzen vor der Standesbeamtin mit dem Brautpaar und den beiden Trauzeugen 4 ÖsterreicherInnen, davon einer mit jugoslawischem, einer mit türkischem und 2 mit „einheimisch“-deutschsprachigem „Hintergrund“. Sehr nett. Sehr! Ja: und Kinder, 2 Töchterchen, sind auch schon da.

Ja: Dialekt!

Das erste Überraschende für mich: die Standesbeamtin spricht mit dem Brautpaar, den Trauzeugen, der Gemeinde recht breiten Dialekt. Wenn man nicht aus Vorarlberg ist, versteht man nicht viel.

Das Mohnblumenfeld

Und dann erzählt die Standesbeamtin noch eine Geschichte. Von einem Mohnblumenfeld, in dem viele schöne Mohnblumen blühen, Mohnblumen wie das Brautpaar. Und man werde im Leben wie im Mohnblumenfeld noch viele schöne Frauen sehen und viele interessante Männer. Und dass es halt wichtig sei, sich von den vielen anderen nicht ablenken zu lassen.

Ich muss innerlich schmunzeln: schöne Frauen, interessante Männer. Da fasst die Frau Standesbeamtin die Klischees schön & interessant zusammen. Frauen müssen schön sein. Männer müssen interessant sein. (Was heißt da übrigens „interessant“? „Wohlhabend“? „Beruflich erfolgreich“?)

Ich hätte nicht gedacht, dass man im 21. Jahrhundert auf einer ländlich-kleinstädtischen Hochzeit die Rollenklischees von Mann und Frau so unreflektiert in offiziellem Rahmen daherbringen kann.

Aber man kann. Immer noch oder schon wieder?

Nach der Hochzeit

Nach der Hochzeit steht man zusammen. Ich schaffe es zum Bräutigam, gratuliere ihm und sage ihm, was die Standesbeamtin gesagt hat und dass es meiner Meinung nach auch für Männer kein Fehler sei, außer interessant noch schön zu sein.

Dann wende ich mich an die Braut. Ich fasse auch ihr das statement der Standesbeamtin zusammen und sage ihr, dass ich ihr jetzt das Gegenteil von dem sage, das ich ihrem Mann gesagt habe: dass es auch für eine Frau kein Fehler sei, außer schön noch interessant zu sein.

Beide scheinen sich geehrt zu fühlen.

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