Veröffentlicht in Bildung

Lehrer light? Lehrer-Sein zwischen Volkes Stimme und Internet

Ich bin Lehrer und habe gute Freunde, von denen ich immer wieder hören kann: „Lehrer? Alles G’sindel!“ Manchmal, wenn ich Glück habe, nehmen meine Freunde Anwesende aus. Er ist übrigens Universitätsassistent, also Hochschullehrer; sie ist Sekretärin an der Uni und Lehrbeauftragte.

Als ich vor vier Jahren aus meinem Assistentendienstvertrag an der Uni ausstieg und Lehrer wurde, habe ich zunächst befürchtet, daß man mich meinen gesellschaftlichen „Abstieg“ spüren lassen werde. Es ist nicht so schlimm gekommen wie befürchtet, und meine Lehrtätigkeit am Abendgymnasium hat mich so ausgefüllt (mit Arbeit und auch mit „Sinn“), daß ich mir letztlich nicht sehr viele Gedanken über die Meinung anderer Leute gemacht habe. Tatsache ist aber, daß man immer wieder erfahren kann, daß viele Menschen vom Lehrberuf nicht viel halten. Einerseits kommt man leicht zur Meinung, daß Lehrer nicht viel oder fast nichts arbeiten. Andrerseits kommen Eltern, Großeltern, Onkels und Tanten oft genug in Situationen, in denen sie zum Schluß kommen, daß Lehrer, wenn sie schon tätig werden, das gegen jede Vernunft und sicher nicht zum Wohl der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen tun.

Es gibt faule Lehrer. Es gibt Lehrer, die ihre Unterrichtsstunden herunterbiegen und sonst gar nichts tun, weder für die Schule, noch für die Kinder. Es gibt Lehrer, die seit Jahren immer dasselbe unterrichten, die sich in ihrer Vorbereitung keinen Haxen ausreißen. Es gibt den Mathematik-Lehrer, der den sehr fleißigen, intelligenten und eigentlich auch recht belastbaren zwölfjährigen Sohn von (anderen) guten Freunden zu Tränen treibt und der jedes Gespräch, das besorgte Eltern mit ihm führen wollen, als persönlichen Angriff wertet. Es gibt anscheinend die junge Philosophie-Lehrerin, die wortlos die Klasse ihrer Siebzehnjärigen betritt und einen Zettel austeilt, der die „Regeln für den Philosophieunterricht“ enthält: „Die Schüler haben nach dem Läuten vollständig in der Klasse zu sein. Der Klassensprecher teilt der Lehrperson unaufgefordert die Abwesenden mit.“ usw. usf. Es gibt den Lehrergewerkschaftler, der für 4 gehaltene Wochenstunden 40.000 kassiert.

Wußten Sie, daß es 3 Sorten Lehrer gibt: den Autodidakt, den Schwellendidakt und den Hammerdidakt. Alles klar? Nein? Ganz einfach: Der Autodidakt überlegt im Auto, was er heute im Unterricht macht. Der Schwellendidakt überlegt dasselbe an der Schwelle. Und der Hammerdidakt fragt: „Was hammer denn letzte Stunde gemacht?“

Das gibt es alles. Es gibt aber auch faule und unengagierte und kommunikativ gestörte Schlosser, Schneider, Rechtsanwälte, Ärzte, Landvermesser, Universitätsprofessoren und Straßenkehrer. Ich glaube nicht, daß sich im Lehrberuf signifikant mehr Versager finden als in anderen Berufen; allerdings machen sich die Versager vielleicht deutlicher bemerkbar. Am Leiden der eigenen Kinder leidet man mit.

Früher hat man sich mit schlechten Lehrern abgefunden, abfinden müssen. Heute läßt man sich nicht mehr alles gefallen, und das ist gut so. Es stellt sich darüber hinaus allerdings die Frage, ob man Lehrer heute überhaupt noch braucht. Und wenn ja: welche Lehrer braucht man? Die Lehrerrolle wandelt sich; ihr Wandel ist spürbar wohl für fast alle, die im Lehrberuf stehen. Der Wandel der Lehrerrolle wird aber – oft vielleicht noch nicht so bewußt – auch von vielen wahrgenommen, die selbst nicht direkt mit Schule zu tun haben. Sogenannte „Neue Medien“ – Lernsoftware für Multimedia-Computer, das Internet als für alle zugängliche Quelle des gesamten Weltwissens – erwecken den Eindruck, daß man alles auch ohne die blöden Lehrer lernen kann. Sogar „meine“ Schule (das Abendgymnasium), in der seit Jahren viel Wert auf die Fortbildung der Lehrer in Richtung Teamfähigkeit und Kommunikativität gelegt wird, widmete die letzte Pädagogische Konferenz, zwei volle Halbtage!, zur Gänze dem Technologieeinsatz, den Neuen Medien. Ich durfte Kolleginnen und Kollegen 3 Stunden lang in die Bedienung des Internet einführen.

Es stellt sich bald heraus – man möge die entsprechende Software ruhig käuflich erwerben – daß der Multimedia-PC ein zeitweilig interessantes Spielzeug sein kann. Als Lernmaschine und Lehrerersatz taugt er noch nicht. Als Lernmaschine taugt er noch nicht, denn es gibt kaum wirklich gute Lernsoftware. (Es gibt interessante Lexika auf CD-ROM, es gibt reizvolle Atlanten, es gibt nette Spiele mit und über fremde(n) Sprachen. Aber die CD-Lexika sind genau so sinnvoll wie das Lexikon auf Papier. Der Weltatlas des Softwaregiganten spielt auch Musik und auch sonst einige Stückeln, aber er ist im Detail derart unzuverlässig, willkürlich und schlampig – ja: schlampig! -, daß man sich nur mehr an den Kopf greifen kann. Und der treffendste englische oder italienische Dialog wird beim dritten Abhören einfach fad.) Als Lernmaschine taugt der Multimedia-PC noch nicht; als Lehrerersatz – behaupte ich – wird er nie taugen, wenn man Lehrertätigkeit nicht nur als das Einpauken von Faktenwissen versteht.

So weit zum Multimedia-PC. Etwas anders sieht es beim Internet aus. Man kann sich vielfach des Eindrucks nicht erwehren, daß ein Lehrer heute nur noch zeitgemäß sein kann, wenn er das Internet beherrscht und verwendet. Der Multimedia-PC und das Internet scheinen zu einer Wiedergeburt des Programmierten Unterrichts (unter neuen Vorzeichen) zu führen. Muß ein moderner Lehrer heute eine Mail-Adresse haben, muß er seine Unterrichtsmaterialien aus dem World Wide Web beziehen? Braucht eine moderne Schule eine Home-Page?

Ich bin selbst ein eifriger Verwender des Internets. Tägliche empfange und versende ich E-Mail. Immer wieder schaue ich mich im WWW um. In regelmäßigen Abständen übertrage ich die aktuelle Anti-Viren-Software über FTP auf meinen Computer. Ich schätze das Internet als Medium, mit dem ich schnell, deutlich und verbindlich kommunizieren kann und das mir zu Informationen verhilft, an die ich sonst nie gelangt wäre: so weiß ich seit einer Konsultation der Internet-Version der Encyclopaedia Britannica, daß ich meinen Geburtstag unter anderem mit Charlie Chaplin, dem berühmten Phonologen Nikolay Sergejewitsch Trubetzkoy (ich selbst habe als Wissenschaftler in der dieser Disziplin gearbeitet), dem Entdecker der Nordwestpassage (und der Langsamkeit) Sir John Franklin und dem deutschen Kommunisten Ernst „Teddy“ Thälmann teile (während mein Sohn mit Erich Kästner teilen darf und meine Tochter mit Robert Stevenson, dem Autor der „Schatzinsel“). Ich gebe gerne zu, daß ich auch schon sinnvollere Informationen aus dem Internet bezogen habe, daß z.B. die deutsche „Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e. V.“ (http://www.zum.de) wertvolles Material „für Lehrer, Schüler und Eltern“ bietet – aber bisher habe ich meine Unterrichtsmaterialien noch immer selbst gemacht. (Autodidakt bin ich übrigens trotzdem, denn beim Auto- und Radfahren habe ich tatsächlich viele gute Ideen für meinen Unterricht. Ich oute mich hier außerdem auch als Schwellendidakt insofern, als sich das Wie meines Unterrichts oft erst im letzten Moment ergibt, ich sogar Stundenplanungen immer wieder im Lauf der betreffenden Stunde völlig umschmeiße. Nur die hammerdidaktische Frage habe ich meiner Erinnerung nach noch nie gestellt.)

Trotzdem halte ich das Internet für das derzeit am meisten überschätzte Medium. Der sogenannte Daten-„Highway“ (die „Autobahn“) ist vielfach eine Schotterstraße mit unglaublichen Schlaglöchern. Und wenn der Datenverkehr tatsächlich einmal schneller funktionieren sollte, stellt sich das Problem, aus der tatsächlich bisweilen ungeheuren Fülle von Material in akzeptabler Zeit Sinnvolles herauszufiltern und Schrott (und „Schund“) auszuscheiden, erst recht. Es zeigt sich schnell, daß Texte und Bilder aus dem Internet nicht per se Qualität haben, daß sie nicht unbedingt zutreffend, wahr oder relevant sind.

Andrerseits muß man sich darüber im Klaren sein, daß ein einigermaßen geschickter Schüler bei einigem Glück aus dem Netz heute schnell Material für Referate und Redeübungen beziehen kann, das aktueller ist als alles, was einem österreichischen Lehrer außerhalb des Internets zur Verfügung steht. Es ist auch deshalb sinnvoll, Lehrpersonen in das Internet einzuführen (und ich tu es deshalb auch); es ist sinnvoll, Lehrpersonen kostengünstige Zugänge zum Netz der Netze zu schaffen. Es kann sinnvoll sein, mit Schülern oder Studierenden Teile des Unterrichtsgeschehens (Hausaufgabenkorrekturen, Facharbeits-besprechungen o.ä.) über Mail abzuwickeln. Ich stelle aber fest, daß z.B. meine Fernstudienklasse, die ich im Fach Informatik betreue, lediglich 3 Studierende enthält, die bereits über eine Mail-Adresse verfügen. Dabei besteht diese Schulklasse aus Menschen, die im Berufsleben stehen und als Computer-Forgeschrittene in meine Gruppe geraten sind; es ist anzunehmen, daß sie dem Medium gegenüber überdurchschnittlich aufgeschlossen gegenüberstehen. Ich habe mit diesen Studierenden durchaus schon über den Unterricht Mails ausgetauscht – aber typischerweise eben über den Unterricht, kaum als Teil des Unterrichtsgeschehens.

Ich bin natürlich schon für den wohldosierten Einsatz der Neuen Medien. Das Internet kann im Rahmen eines Schulprojekts ein hervorragendes Medium sein für das „Gespräch“ (naja: letztlich ist alles geschrieben) mit Schülern anderer Länder: irische, finnische oder griechische Schüler könnten mit österreichischen fast direkt in Englisch kommunizieren. Materialien aus dem Internet können den Unterricht ungemein bereichern (- wie jedes interessante Material aus anderen Quellen auch). Lehrpersonen sollten fähig sein, solche Materialien zu „evaluieren“, sie sollten also ihre Bedeutung und ihre Qualität einschätzen zu können. Ich bin aber nicht der Ansicht, daß nur ein (derart) vernetzter Lehrer ein guter Lehrer ist (wie auch ein internetter Lehrer allein deshalb weder gut noch nett sein muß.) Es ist gut, wenn ein Lehrer das Netz benützen kann; es ist auch gut, wenn er eine Videokamera benützen kann. Wenn er keine Videokamera benützen kann, ist er deshalb noch kein schlechter Lehrer.

Leider sitzen auch gescheite Leute dem Medien-Hype der Softwarekonzerne auf, die im Verkauf von Netzhardware und Netzsoftware eine neue Möglichkeit des Absahnens wittern. Wird aus dem Einsatz der Neuen Medien eine Neuauflage des Programmierten Unterrichts, so wird sich das Mode herausstellen und auch als solche überleben – da bin Optimist und meiner Sache sehr sicher. Auch die letzten beiden Phasen des Programmierten und / oder computergestützten Unterrichts waren Moden. Es ist Aufgabe der Mode, durch die Propagierung von Neuem Umsatz zu schaffen: das gilt auch für pädagogische Moden.

Die Rolle des Lehrers wandelt sich. Tatsächlich wird das Vermitteln eines Kanons von Wissen über Fakten immer weniger wichtig. Erstens, weil das Wissen über Fakten in einer Art und Weise anschwillt, dem kein Lehrplan mehr folgen kann, und zweitens, weil es – z.B. durch das Internet – viele neue Wege zum Wissen über die Fakten gibt. Die Wege zum Wissen zu zeigen wird immer wichtiger; Methoden des Erwerbs von Wissen und von Fähigkeiten zu vermitteln wird immer wichtiger.

Die Aufgabe des Lehrers wird dadurch nicht leichter. Es wird wieder wichtiger werden, kein Fachidiot, sondern gut ausgebildet zu sein. Es wird an Bedeutung gewinnen, das Wichtige seines Faches sehen zu können; es wird noch wichtiger werden, Kommunikation herstellen zu können, und zwar gute Kommunikation ohne kommunikative Einbahnstraßen und Sackgassen. Es ist deshalb besonders ärgerlich – und ich gestatte mir hier einen kurzen Exkurs ins Akademische -, wenn der österreichische Erziehungswissenschaftler Peter Baumgartner, der den Wandel der Lehrerrolle an sich gut beschreibt, den modernen Lehrer einen Tutor und den Lehrer der Zukunft einen Coach nennt und damit Begriffe verwendet, die besetzt sind für nieder(st)e akademische bzw. für sportliche Dienste. Hier – in dieser Begriffsbildung – irrt Baumgartner!

Die Frau Minister hat schon recht, wenn sie von der zunehmenden Bedeutung der Schlüsselqualifikationen spricht. Ihre Botschaft hör ich wohl: allein – was darf es kosten? Wo wird gespart? Nicht zuletzt, sondern vor allem im Bildungsbereich. Deshalb zum Schluß ein weiterer Lehrer-Witz:

Frau Minister Gehrer geht ins Ministerium. Sie kommt an einem Straßenkehrer vorbei, der freundlich „Grüß Gott, Frau Minister“ grüßt. Die Ministerin fragt erstaunt: „Woher kennen Sie mich?“ Der Straßenkehrer: „Wissen Sie nicht? Ich war Lehrer unter Ihnen.“ Die Ministerin will wissen, wie es dem Manne jetzt geht. „Gut“, sagt er, „ich habe einen tollen Job, bin viel an der frischen Luft, werde gut bezahlt. Mir geht es blendend.“

Einige Straßen weiter grüßt ein Bauarbeiter vom Gerüst herab. Die Ministerin fragt ebenfalls nach dem Grund ihrer Bekanntheit. Der Bauarbeiter: „Wissen Sie nicht mehr? Ich war früher Direktor unter Ihnen.“ Auf die ministerielle Frage nach dem Wohlergehen meint der Arbeiter: „Sehr gut. Ich habe eine sinnerfüllte Arbeit, sehe das Ergebnis meiner Anstrengung, werde gut bezahlt und meine Arbeit wird überall anerkannt.“

Frau Minister biegt in die Gasse zum Ministerium ein. Ein Bettler sitzt vor der Tür des Ministeriums und grüßt schüchtern. Die Ministerin will wissen, ob er am Ende auch Lehrer war. „Nein“, sagt der Bettler, „ich bin Lehrer. Ich hab grad eine Freistunde.“


Lit.:

Baumgartner, Peter, Sabine Payr (1994): Lernen mit Software. Innsbruck (=Digitales Lernen 1).

Baumgartner, Peter (1991): From Teacher to Tutor to Coach. In: Peter Baumgartner, Anthony Hall, Hg.: Language Learning with Computers. Klagenfurt. S. 10-32.

Volksmund (1997).


erschienen in: erziehung heute 1997/H.4. S. 24-26.

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