Veröffentlicht in allgemein, Bildung, Politik

Ein Vorfall von Gewalt an der Schule

Kurzer Bericht über einen kleinen Vorfall an meiner Schule:

Di 21.5., ca. 18 Uhr. Ein Lehrer der Tagesschule berichtet im Sekretariat, dass ihn eine aus dem Turnsaal kommende Dame darüber informiert habe, dass ein junger Mann (offensichtlich ein „Schüler“ von uns) einer jungen Frau (eine Schülerin von uns?) derartig „eine geschmiert“ habe, dass sie ihm (dem Tagesschullehrer) das gemeldet habe. Die beiden jungen Leute hätten aber das Schulgebäude bereits verlassen. Der Kollege der Tagesschule gibt ein charakteristisches äußeres styling-Merkmal des jungen Mannes an.

Anhand dieses Merkmals kommen mehrere KollegInnen und ich zum Schluss, dass es sich um Herrn X.Y handeln könnte, wundern uns aber, da dieser noch nie durch Gewalttätigkeit aufgefallen ist (sondern eher durch ausgeprägte Sanftmut).

Ich suche Herrn Y in unserer Lernplattform, finde ihn aber nicht. Das Verwaltungssystem hat aber eine Mail-Adresse von ihm verzeichnet.

*

Di 21.5., 21:13: ich schreibe Herrn X.Y folgendes Mail:

Sehr geehrter Herr Y,
ich bitte Sie um ein kurzes Gespräch zum Thema Kommunikation im weiteren Sinne. Bitte teilen Sie mir einen Terminvorschlag mit.
Im Übrigen habe ich Sie gerade in unserer Lernplattform nicht gefunden. Das macht mir ein bisschen Sorgen.
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle

Mi 22.5., 13:05

Ich bekomme von Herrn X.Y ein Retourmail, in dem er schreibt:

Sehr geehrter Herr Direktor!
Ich würde aufgrund der Situation wenn Sie Zeit haben gleich heute einen Termin vorschlagen. Haben Sie um 18:45 Uhr eventuell Zeit?
Mit freundlichen Grüßen
X.Y

und antworte um 13:49:

Sehr geehrter Herr Y,
vielen Dank, ja, das geht gut, ich werde da sein.
mfg
mb

*

Mi 22.5., 18:45

Herr X.Y und eine junge Frau betreten die Direktion. Ich bedanke mich für ihr Erscheinen und beginne das Gespräch mit der Frage an Herrn Y, ob er weiß, warum ich ihn eingeladen habe. Darauf erzählt er ohne Umschweife die gleiche Geschichte wie der Tagesschullehrer aus seiner Perspektive. Die Ohrfeige sei aber nur angetäuscht und im Spaß gewesen. Das bestätigt auch die Begleiterin von Herrn Y.

Ich erkläre Herrn Y noch, dass ich froh bin, dass die Dame die Zivilcourage besessen hat, den von ihr beobachteten Vorfall zu melden und mache die beiden darauf aufmerksam, dass auch der Anschein von Gewaltanwendung Probleme schaffen kann.

*

Do 23.5., 13:04

Ich schreibe Herrn X.Y noch ein zusammenfassendes Mail:

Sehr geehrter Herr Y,
vielen Dank, dass Sie (und Ihre Partnerin) mir gestern die Möglichkeit geboten haben, den von einer Dame beobachteten und an einen Lehrer der Tagesschule gemeldeten Vorfall aufzuklären. Es handelte sich nach Ihren übereinstimmenden Angaben offensichtlich nicht um eine „Ohrfeige“, sondern um eine spielerische Andeutung einer solchen. Ich habe viel aus dem Vorfall gelernt und möchte das mit Ihnen teilen.

1. Auch der Anschein von Gewalt kann beunruhigen … ich bin diesbezüglich der Dame dankbar, dass sie die Zivilcourage besessen hat, ihre Wahrnehmungen zu melden
2. Auch der Anschein von Gewalt beeinflusst Toleranzschwellen (in die eine oder andere Richtung: Je mehr man Gewalt sieht, desto alltäglicher und „normaler“ wird sie. Das würde ich gar nicht wollen. Je mehr man Gewalt sieht, desto mehr kann und sollte sich freilich auch Zivilcourage entwickeln. Das muss man aber gezielt unterstützen.)
3. Ich kann also als Direktor auch dem Anschein von Gewalt an „meiner“ Schule nicht gleichgültig gegenüber stehen. Ich kann ja nicht davon ausgehen, dass es sich bei einem beobachteten Vorfall nur um den „Anschein“ dreht. Insofern war es nötig und richtig zu reagieren.
4. Erster Schritt einer Reaktion muss immer die Anhörung des „anderen“ Teils sein, sonst können Dinge nicht aufgeklärt werden („audiatur et altera pars“). Das haben Sie mir ermöglicht; vielen Dank!

5. Die „Aufklärung“ wäre an sich schwierig gewesen. Die Beschreibung Ihrer äußeren Erscheinung hat mehrere von uns aber unabhängig von einander relativ schnell zu Ihnen geführt und auch zu Ihrem Namen. Andererseits waren wir über den Vorfall in Verbindung mit Ihnen verwundert, da wir Sie bisher nie auch nur im Entferntesten mit Gewaltanwendung verbinden mussten.

Mit herzlichen Grüßen
michael bürkle

PS: in unserer Lernplattform sind Sie – so weit ich sehe – noch nicht angekommen. Brauchen Sie technische Hilfe?
mb

*

Das ist der Stand der Dinge. Bisserl Kenntnis der Studierenden, bisserl Detektei, bisserl Psychologie – hoffentlich passts.

Ist damit die Sache geklärt? Nicht zu 100 Prozent. Die Begleitung Herrn Ys beim Gespräch muss ja nicht die von der „Ohrfeige“ betroffene gewesen sein. Womöglich wars doch keine „spielerische Andeutung“? Andrerseits: der junge Mann hat ohne besondere Vorhaltungen (und ohne jeden „Beweis“ meinerseits) ein „umfassendes Geständnis“ abgegeben. Das macht ihn ziemlich glaubwürdig.

Also ich hoffe das Beste.

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