michael bürkle

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Michael Bürkle

Doskozil statt Babler

Gestern wählte der SPÖ-Parteitag – um mit den Worten der Nationalratsabgeordneten Julia Herr zu sprechen – mit dem Kopf Hans Peter Doskozil zum Vorsitzenden statt mit Herz und Bauch Andreas Babler.

Ja, das kommt gut hin. Die politischen Positionen der beiden sind nicht allzu weit entfernt: das muss alles in einer großen Partei Platz haben.

Doskozil

Aber Doskozil hat eine nüchterne Rede gehalten: „die Partei ist am wichtigsten“; man müsse in die Bevölkerung „hineinhören“; es gehe um Glaubwürdigkeit, auch in der Umsetzung von Ideen. Einen guten Teil der Rede widmete Doskozil dem Thema Pflege und Gesundheitsversorgung; auch die Gleichberechtigung der Frauen kam noch vor. Auf die Warnung des Präsidiums, es seien nur mehr 4 Minuten Zeit, nannte Doskozil Klima und Migration als Themen, die er nun auslassen müsse.

Babler

Babler hielt eine kämpferische, inhaltlich vielfältige Rede. Das begann bei der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung, nach Lohntransparenz und „gleichem Lohn für gleichartige Arbeit“. Auch Babler thematisierte Pflege – und sah sich da einig mit Doskozil. Besonders für die Pflege forderte er eine Verkürzung der Arbeitszeit und bessere Personalquoten. Babler forderte mehr Mitbestimmung für „Gastarbeiter“ und stellte für Österreich die Notwendigkeit der Arbeitsmigration fest. In Bezug auf die Erderhitzung erinnerte Babler an die Kipp-Punkte des Klimawandels, die Veränderungen irreversibel machen und sah das Klimathema unter dem Aspekt des Verteilungskampfs – sowohl weltweit als auch in Bezug auf Generationen. Babler benannte Gierflation, er forderte eine Energiegrundsicherung und Leerstandsabgaben zur Mobilisierung des Wohnungsmarkts. Er nannte die Zahl von 350.000 Kindern in Armut, was ihn zu einer Kindergrundsicherung führte: „allen Kindern alle Rechte“. Auf die Frage nach der Finanzierung forderte Babler eine „Steuerpolitik, die wirklich steuert“ und Vermögenssteuern; er wolle „a bissl den Vermögenszuwachs begrenzen“. Eine Koalition mit der FPÖ lehnte er ab; die ÖVP kam nicht vor.

Ergebnis

Trotzdem gewann Doskozil relativ knapp mit 316 : 279 Stimmen (oder 53,1% zu 46,9% der gültigen Stimmen). Nach seiner Wahl hielt Doskozil noch eine kurze Ansprache. Da ging er auf die FPÖ ein: er versprach eine bessere und fairere Migrationspolitik und lehnte eine Koalition mit den Freiheitlichen ab, aber „wir brauchen die freiheitlichen Wähler“. Auch einer Koalition mit der ÖVP erteilte er eine Absage.

Bei aller Ähnlichkeit der politischen Positionen wählte der Parteitag den Kandidaten, der die Partei in den Augen der Beobachter eher in die politische „Mitte“ rückte und eine Wählerwanderung von FPÖ zu SPÖ eher als möglich zeichnete.

Und die Nichtwähler*innen?

Mir ist sehr abgegangen, dass beide Kandidaten nur auf die FPÖ als Wählerpotenzial eingingen. Das größte Potenzial an Wähler*innen waren bei der letzten Nationalratswahl aber fast 1,7 Millionen Menschen, die gar nicht oder ungültig wählten – fast so viele, wie die Kurz-ÖVP gewählt hatten.

Das ist eine heterogene Gruppe. Zu den Nichtwähler*innen gehört eine schmale Schicht, der es sehr gut geht und der es im Wesentlichen egal ist, wer regiert. Zu den Nichtwähler*innen zählen auch Menschen, die im wahrsten Sinn des Wortes arm sind, denen es sehr schlecht geht und die keine Hoffnung mehr in die Politik oder die Regierung irgendeiner Partei haben. Ich nehme aber an, dass es bei den Nichtwähler*innen auch eine große Gruppe an Menschen gibt, die man mit einer vernünftigen, glaubwürdigen, „ehrlichen“ Politik erreichen könnte – eine Politik, wie sie Doskozil und Babler gefordert haben – und wie sie in einer Parteiendemokratie wie unserer, in der sehr viele nur bis zur nächsten Wahl und an ihren Wahlerfolg denken, offenbar kaum möglich ist.

Eine einzige Diskutantin ging – so weit ich das gesehen habe – auf diese Gruppe ein: die burgenländische Nationalratsageordnete Julia Herr. Sie warb für Babler und versprach sich von dessen Wahl ein Ansprechen der Nichtwähler*innen. Auch eine Linkspartei sei „abgefrühstückt mit Andi Babler“.

Ich glaube, das wäre falsch. Und nun ist es sowieso nicht Babler geworden.


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