Veröffentlicht in Bildung

Geschenk angekommen, Geschenk angenommen

Ende Schuljahr 2010/2011 habe ich in meinem alten Gymnasium eine Deutsch-Klasse verlassen. In den Deutschunterricht ist viel Herzblut oder auch einfach nur Begeisterung geflossen – von beiden Seiten. Wir haben gemeinsam 3 Jahre lang an Texten „öffentlich“ gearbeitet – ich habe in einem Artikel über Fehlertoleranz darüber berichtet.

Das Geschenk

2014, drei Jahre später, haben die jungen Leute dann maturiert und haben mich, ihren ehemaligen Deutschlehrer, zu ihrer Maturafeier eingeladen. Und ich hab ihnen da ein Geschenk gemacht: jedem / jeder eine „Textkorrektur“, ein Text-feedback – zu irgendeinem Text, der ihnen wichtig ist. Bewerbungsschreiben, Seminararbeit, Dissertation: egal. Hintergrund: ich gebe gern Text-feedback; ich kann das auch gut, glaube ich – sowohl was Rechtschreibung, Grammatik, Ausdruck, aber auch was Aufbau, Argumentationsstruktur, Inhalt betrifft. (Nur benoten tu ich nicht gern.) Ich wollte den jungen Leuten, die gerade dabei waren, sich in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen, eine fixe Kontaktadresse bieten; ich wollte etwas über ihre Laufbahnen und Wege erfahren, denn sie haben mich interessiert.

„Sendepause“

Dann hab ich längere Zeit nichts mehr von ihnen gehört. Zwei von ihnen habe ich einmal beim Begräbnis einer ehemaligen Kollegin getroffen. Ich habe ihnen meine Irritation darüber mitgeteilt, dass niemand das Geschenk in Anspruch nimmt. Sie haben mich angegrinst und mir gesagt, dass sie das sicher nicht für irgendeinen Text verschwenden werden, sondern sich das für einen besonderen aufbewahren.

Geschenk angekommen …

Vor etwa 10 Tagen ist nun die erste Anfrage gekommen:

„[…] Einige Jahre sind vergangen aber ich würde gerne auf ein Angebot zurückkommen, das du unserer Klasse […] gemacht hast. Damals meintest du, dass du uns ein Korrekturlesen einer Arbeit zum Abschluss der Matura schenken würdest. Auf dieses sehr großzügige Geschenk würde ich gerne zurückkommen, da ich momentan im Endstadium meiner Bachelorarbeit für das Studium Erziehungswissenschaften bin. Es ist bestimmt kein Meisterwerk, dennoch wollte ich dich fragen, ob du überhaupt Zeit dazu hast und das Angebot noch steht? […]“

Selbstverständlich stand das Angebot noch: am 19. hab ich den Stand der Arbeit bekommen – über 60 Seiten; am 21. haben wir ihn besprochen. Es ist eine sehr interessante Arbeit, die neue psychotherapeutische Ansätze auf ihre Anwendbarkeit auf nicht so ganz klassische Familienprobleme abklopft. Mir sind noch kleinere Zusatzaspekte eingefallen, die mit dem Zerfall des gesellschaftlichen Grundmodells Familie und mit Entwicklungen in den „neuen Medien“ zu tun haben und die man im Fazit noch ergänzen könnte.

Gestern nun:

„Dein Feedback hat mir wirklich sehr geholfen und ich bin jetzt auch schon fleißig am Ausbessern ;)“

… und  angenommen

*

Ich weiß jetzt ungefähr, wie sich eine meiner Schülerinnen, die ich 2005 als 10-jährige kennengelernt und 2011 als 16-jährige „verlassen“ habe, in den letzten 7 Jahren entwickelt hat, was sie beschäftigt, in welche Richtung sie geht. Ich sehe, dass gescheite junge Leute nachwachsen; ich bemerke, dass sie ähnliche Probleme sehen in der Gesellschaft und in ihrem Fach wie ich; ich sehe, dass das gemeinsame Lernen Positives bewirkt hat.

Ich bin selbst mindestens genau so Beschenkter.

Ich hoffe auf viele weitere Geschenksannahmen. Es könnte manchmal arbeitsintensiv werden: wenn das ganze Dissertationen werden … Dann brauch ich halt ein bisschen mehr Zeit.

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