michael bürkle

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Michael Bürkle

Na endlich grüner „Widerstand“

Rückblick

Seit dem 7.1.2020 wird Österreich von einer Koalition aus ÖVP und Grünen regiert: als Kabinette Kurz II, Schallenberg und Nehammer. Seit dem 7.1.2020 erwarte ich mir von den Grünen, dass sie ÖVP-Vorschläge nicht einfach zur Kenntnis nehmen. Leonore Gewessler, Alma Zadic und (jetzt) Johannes Rauch machen als Minister*innen für Verkehr, Klimaschutz, Infrastruktur, Justiz, Gesundheit, Soziales eine an sich herzeigbare Politik: Klimaticket, CO2-Bepreisung, Straßen-(nicht-)Bau, Korruptionsbekämpfung, Pandemie, Arbeitslosigkeit.

Ich bin aber mit dem Grünen Regierungsteam nicht völlig zufrieden. Werner Kogler scheint sich – aus meiner Sicht – leider auf Koordination zu beschränken: ihn nehme ich inhaltlich kaum mehr wahr; er müsste seine früher oft nachgewiesene Kompetenz in Wirtschaftsfragen viel öfter einbringen. (Der Mann ist Volkswirt, nicht nur Sportminister.) Ministerin Gewessler scheint ihr Ministerium nicht wirklich im Griff zu haben: ich habe mich insgesamt 3 mal mit Fragen und Vorschlägen an das Ministerium gewendet und habe nie eine Antwort bekommen, nicht einmal eine formelle im Stil von: „wir danken für Ihr Schreiben und haben es weitergeleitet“. Offensichtlich lassen die Beamten die Ministerin auflaufen. Die Ministerin selbst wehrt sich gegen Tempo 100 auf Autobahnen mit dem Scheinargument, das stehe nicht im Regierungsübereinkommen. (Dass etwas nicht im Regierungsübereinkommen steht, hat Nehammer nicht am Reden gehindert.)

Endlich Gegenwehr

Der Kanzler hat in seiner Funktion als ÖVP-Obmann am 10. März eine „große Rede“ gehalten – naja: wenigstens eine „großspurig inszenierte Rede“. (Sie erinnerte allerdings auch schon an Wahlkampf.) In der hat er eindrücklich nachgewiesen, dass er die Klimakrise nicht verstanden hat; er hat darüber hinaus auch sehr konkrete Vorschläge gemacht: sinnvolle und unsinnige. Einer davon ist die Kürzung von Sozialleistungen für „Migranten“.

(By the way: der Kanzler schafft es wieder einmal nicht, zwischen Flucht und Migration zu unterscheiden. Das ist für ihn alles „ein Topf“ – oder „Eintopf“.)

Nehammer wörtlich (bei Zeitmarke ca. 52:30):

Mein Ziel ist es für 2030, dass wir die Sozialleistungen in Österreich so neu regeln, dass nur der, der dann zum vollen Sozialleistungsbezug berechtigt ist, der mindestens fünf Jahre durchgängig in Österreich lebt. Und wenn nicht, nur die Hälfte.

Er sagt nichts dazu, welche Sozialleistungen er meint. Er weiß nicht, dass manche Sozialleistungen gar nicht an eine Aufenthaltsdauer gebunden werden dürfen. Aber endlich regt sich Grüner Widerstand. Sozialminister Rauch stellt klar:

Den Bezug von Sozialleistungen für Zuwanderer und Zuwanderinnen in den ersten fünf Jahren zu beschränken wird nicht dazu führen, 10.000 Pflegekräfte aus dem Ausland für Österreich zu gewinnen, wie es Bundeskanzler Karl Nehammer in seiner Rede als Ziel formuliert hat. […]

Es findet sich dazu auch nichts im Regierungsprogramm, eine Umsetzung steht also nicht zur Diskussion. Wir gehen davon aus, dass solche Vorstöße weder vor den Höchstgerichten in Österreich noch vor jenen der EU haltbar wären. Wir erinnern hier etwa auch an die Indexierung der Familienbeihilfe, die vom EuGH aufgehoben wurde.

Der Kanzler weiß selbst, dass Österreich Zuwanderung braucht und fordert sie auch – einerseits. Andrerseits zieht er falsche Schlüsse aus seiner Einsicht.

Nehammer wörtlich (bei Zeitmarke ca. 50:50):

… wir haben die Situation in Österreich, dass 200.000 Stellen offen sind. Unternehmerinnen und Unternehmer suchen händeringend Arbeitskräfte.

Worauf will er hier aber hinaus: auf die Senkung des Arbeitslosengelds. Dass viele dieser Arbeitsplätze gar nicht mehr von „Einheimischen“ übernommen werden können, sieht er nicht.

Die Zukunft …

Den Grünen muss klar sein: sie haben in der Koalition mit der Bekämpfung des Klimawandels ein für die Zukunft extrem wichtiges Thema zu bearbeiten. Das ist für viele Menschen aber kein populäres Thema, weil die Bekämpfung der Klimawandels letztlich mit Veränderungen der Lebensbedingungen und des Lebensstils verbunden ist. Man kann da nicht viele Stimmen gewinnen, fürchte ich: meine schon, denn ich weiß, dass das nötig ist. Auch viele andere wissen das und wollen hier eine klare, eine klarere grüne Politik. Ich fürchte aber, dass es mehr sind, die meinen, es werde wohl nicht so schlimm werden und man müsse da nicht gar so viel tun. Ich sehe die grüne Bearbeitung des Themas als allzu unentschlossen; wir kommen da kaum weiter, offenbar „weil das nicht im Regierungsprogramm steht“.

Es ist also wichtig, dass die Grünen auch jenseits der Klimapolitik Erfolge vorweisen können. Die Bekämpfung der Korruption, die Unterstützung einer funktionierenden Justiz ist sehr wichtig; auch da kann man meine Stimme abholen. Aber auch dieses Thema macht ein grünes Wahlkampfkraut nicht fett.

Sozialminister Rauchs Aufzeigen gegen die sozialpolitischen Kurzschlüsse des Kanzlers ist vor diesem Hintergrund extrem wichtig. Aber noch zu wenig deutlich. Einschränkungen in der Sozialpolitik für „Migranten“ sind eine Bedrohung auch für Einheimische – das muss noch viel deutlicher werden. Es muss ausgesprochen werden, dass wir Zuwanderung wollen, weil wir sie brauchen – und weil sie in vielen Fällen einfach ein humanitäres Menschenrecht ist. Es muss klar werden, dass Teilzeitbeschäftigung nicht einen Verlust an Sozialleistungen bedeuten darf: Teilzeitbeschäftigung ist für viele Menschen kein Thema von „work-life-balance“, sondern ein notwendiger Kompromiss zwischen Existenzsicherung und Pflegeverpflichtungen.

Die ÖVP hätte eine Flanke offen: sie hat keine Bildungspolitik. Minister Polaschek kann kabarettreif formulieren, aber weder Fassmann noch Polaschek haben Substanzielles weitergebracht über die Verwaltung des Bestehenden hinaus. Digitalisierungsstaatssekretär Tursky geriert sich gelegentlich als Ersatz-Bildungsminister und hat einen äußerst eingeschränkten Begriff davon, was Bildung ist. Des Kanzlers Äußerungen in seiner Rede sind da – bescheiden. Aber ich sehe keine Grünen, die hier dagegen halten. Bildungssprecherin wäre eine Sybille Hamann. Aber Bildung ist für diese Regierung kein ernsthaftes Thema.


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[…] hoffen, dass die Koalition aus ÖVP und Grünen noch durchhält, auf dass die Grünen noch öfters Widerstand zeigen können und die Sozialdemokratie noch eine Art Programm für das 21. Jahrhundert […]

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