Veröffentlicht in allgemein, Bildung

„Die Jüdin von Toledo“ am TLT

Theaterabend

Auf Initiative einer Kollegin hatte ich heute die Chance, im Tiroler Landestheater „Die Jüdin von Toledo“ von Franz Grillparzer zu sehen. Die Inszenierung hat Aufsehen erregt, v.a. weil ein Mann die Titelrolle spielt: Florian Granzner spielt die Jüdin Rahel.

Die Inszenierung bringt die Geschichte aus dem 13. Jahrhundert in eine zeitlose Gegenwart. Die Kostüme sind zeitlich schwer zuzuordnen; das Bühnenbild ist mehr oder minder ein Wald aus Scheinwerferstangen, die alles darstellen müssen: Hallen, Räume, Gärten.

Die Rolle der Rahel ist eigentlich eine starke weibliche Rolle. Rahel lenkt den schwächlichen König Alfonso von seinen Amtsgeschäften ab: er sollte eigentlich Krieg gegen die heranrückenden Mauren führen. Bei Rahel lernt Alfonso das Leben lieben; sie ist ein Sturmwind, „tänzelnd-impulsiv und neckisch“ (TLT). Die Königin hält derweil den Staat am Laufen.

Es kommt, wie es kommen muss: Rahel wird von der Königin beseitigt und Alfonso kehrt geläutert zu seiner Ehefrau und Mitregentin zurück. Alfonso hält als Wiedererstarkter noch eine schuldbewusste Rede gegen das Anstürmen der Horden aus Afrika. (!!!, ???)

Kritik

Das TLT besetzt eine starke Frauenrolle mit einem Mann. Regisseur Frey begebe sich „selbstbewusst auf ‚LGBTQ‘-freundliches Terrain“, verkündet dss TLT. Das ist natürlich Unsinn, völlig verfehlt, aber es wirkt – und zwar als zugkräftiger PR-Gag. Eine wichtige Frauenrolle der Literatur wird dem Nachhecheln nach billiger, opportuner Publicity geopfert. Granzner schafft es leider nicht, eine starke Frau darzustellen; es bringt auch nichts für ein Verständnis des Stücks.

Die Inszenierung hat sehr vieles verändert und adaptiert; neben dem Mann in der Frauenrolle hat sie versucht, das Stück auf eine Bühne des 21. Jahrhunderts zu stellen. Was sie nicht tut: sie verändert am beamteten Deutsch des k.k. Archivdirektor Grillparzer praktisch nichts. Wir hören gute 2 Stunden in gespreizten, ans Unverständliche grenzenden Blankversen. Schrecklich; so spricht kein Mensch; so sprach nie ein Mensch. Da nützt auch Patti Smith im Hintergrund nichts.

Das funktioniert so nicht. Man kann nicht das Umfeld eines Stückes ins 21. Jahrhundert versetzen und die Sprache aus der Mitte des 19. Jahrhunderts unverändert lassen.

Ich glaube zu wissen, woran das liegt. Ein Bühnenbild des 21. Jahrhunderts mit Kostümen des 21. Jahrhunderts herzustellen, ist – vergleichsweise – einfach. Einen ca. 170 Jahre alten Text für ein heutiges Publikum aufzubereiten: das wäre Arbeit. Viel Arbeit. (Mir ist das als Deutschlehrer manchmal ganz gut gelungen.)

Das Stück

Ein paar Worte noch zum Stück. Es wird heute selten gespielt. Das hat seine guten Gründe. Es ermöglicht stockkonservative Lesarten: von der Pflicht zur Kriegsführung gegen die Horden aus Afrika; von den jüdischen Verführungskünsten, denen auch Könige erliegen. Es ruft zur Pflichterfüllung, ohne die Pflichten zu hinterfragen.

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