Veröffentlicht in Bildung, Politik

Wie man als Erfolgloser prominent wird

Diese Woche war ich kurze Zeit prominent. Ein Artikel der Tiroler Tageszeitung machte am Freitag (gestern) auf Seite 5 die Ampelfarbe GELB für Schulen am Beispiel des Abendgymnasiums, „meiner“ Schule, groß zum Thema.

Wie war es dazu gekommen? Am Vortag, Donnerstag, hatte mich der Redakteur mittags in der Schule angerufen. Es kam zu einem Gespräch, einer Art Telefon-Interview, das etwa 15 Minuten dauerte. Der Redakteur erwies sich dabei als ausgezeichnet vorinformiert; er stellte hauptsächlich Vergewisserungsfragen: ob dies und jenes schon so sei, wie er recherchiert habe. Mehr als Nuancen hatte ich nicht beizutragen. Und am nächsten Tag war der Artikel in der Zeitung – mit einem Teaser auf Seite 1. Das Abendgymnasium auf Seite 1 der TT!

Woher kamen die Infos?

Woher der Redakteur seine Informationen hatte? Ich habe keine Ahnung. Oder doch Ahnungen. Von mir hatte er sie nicht; wir hatten als Schule keine Pressearbeit gemacht. Aber unsere Studierendenvertretung war an die Presse gegangen – hatte aber von der TT zunächst keine Antwort bekommen. Ich habe den Verdacht, dass es noch einen Weg zu den Informationen gab, will diesen Verdacht hier aber nicht weiter erklären.

Die Sachlage

Die österreichische Bundesregierung „lügt“. Sie führt eine Corona-Ampel ein, die Gefahrenlagen anzeigen soll – und stellt für die Schule die Ampelfarbe auf GELB, unabhängig von der Ampelfarbe der Umgebung. Das ist natürlich verlogen, aber es ist auch verständlich: man will den Anschein eines zweiten Lockdowns vermeiden, indem man verhindert, dass Eltern zur Betreuung coronakranker Kinder zuhause bleiben müssen. Ampelfarbe GELB sichert Unterricht, also dürfen und müssen Kinder in die Schule und Eltern zum Arbeitsplatz.

Dass das für die Abendgymnasien völlig kontraproduktiv ist – geradezu irrsinnig, hat im Bildungsministerium offensichtlich niemand bemerkt. Studierende am Abendgymnasium könnten ohne Weiteres zuhause lernen – sie brauchen keine Betreuung zuhause; die Lernunterstützung bekommen sie durch die Schule per Internet. Studierende an Abendgymnasien sind berufstätig, und Präsenzunterricht gefährdet viele in ihrer beruflichen Existenz. Und Studierende an Abendgymnasien gehen nicht in „Klassen“ in die Schule, sondern in ein modulares Schulsystem, das viele verschiedene Kontakte pro Abend erzeugt. (Ich führe das hier nicht weiter aus; man kann die Argumente auf der homepage des Abendgymnasiums Innsbruck ausführlich nachlesen; mittlerweile.)

Ich hatte als Direktor das erkannt und „ortsungebundenen Unterricht“ vorgeschlagen. Zunächst bei der Landesbildungsdirektion. Schriftlich, auch mündlich in einer Videokonferenz der Gymnasiumsdirektoren. Es stimmt, was im TT-Artikel steht: man hat mir das mehrfach, mündlich und schriftlich, untersagt. Begründung immer: Ampelfarbe GELB. Meine letzte Hoffnung kam aus Wien: ich bekam die Information, dass die Landesgesundheitsbehörden für Schulstandorte je nach Gefahrenlage die Ampelfarbe anders vergeben können – und schickte am Montag einen entsprechenden Antrag an die Landessanitätsdirektion Tirol … Ich warte bis heute auf eine Antwort von dort. (Eine Antwort kam per TT-Artikel: dem Journalisten wurde offenbar erklärt, dass auch die Landessanitätsdirektion da nichts machen könne.)

Eine der Antworten eines hohen Beamten der Landesbildungsdirektion stellte mir sogar eine Antwort aus dem Bildungsministerium zur Verfügung. Ein Papier, ohne Geschäftszahl (!), ohne Nennung eines Sachbearbeiters (!) – very strange. Aber der Inhalt war völlig klar:

Zur Interpretation Anwendung der C-SchVO 2020/21 auf „Abendschulen“

  1. Anwendungsbereich der Verordnung

Die C-SchVO 2020/21 ist auf alle Schulen des SchOG anzuwenden, somit auch auf Sonderformen, auf welche das SchUG-BKV Anwendung findet. Die VO differenziert hier nicht und eine unterschiedliche Vorgangsweise wurde auch nie besprochen oder auch nur angedacht.

Daraus ergibt sich, dass die VO für alle Schulen (Schularten, Schulformen und Fachrichtungen) gleich anzuwenden ist. Einer Veränderung der Sozialphase sind insbesondere durch § 45 SchUG-BKV enge Grenzen gesetzt. Bei der derzeitigen Sachlage besteht auch kein sachlicher Grund hier anders als bisher und in der Regelform vorzugehen.

  1. Individualphase und Sozialphase

Die Lehrpläne legen derzeit fest, dass die Zahl der Stunden in der Individualphase jene in der Sozialphase nicht übertreffen dürfen, d.h. max. 50% dürfen Individualphase sein. Da das System auf Semester aufbaut und nicht auf Schuljahren muss diese Bedingung in jedem Semester erfüllt werden.

  1. Schlussfolgerung

Es besteht keine Möglichkeit für eine Änderung des derzeitigen Vollzuges, insbesondere keine Möglichkeit die Sozialphase in „distance learing“ durchzuführen.

Wer immer im Ministerium dieses Papier verfasst hat: er (oder sie, aber vermutlich er) hat keine Ahnung, KEINE AHNUNG, von der Situation und vom Betrieb der Abendgymnasien. „[…] eine unterschiedliche Vorgangsweise wurde auch nie besprochen oder auch nur angedacht“ – ja haben sie die noch alle? Ein großer Rest des Papiers geht überhaupt an der Problemlage vorbei – es geht schlicht und einfach nicht um eine Umgestaltung des an den Abendgymnasien an sich schon seit vielen Jahren etablierten Fernstudiums (das eben kein reines „distance learning“ ist). Da ist das Thema verfehlt.

Aber es ist natürlich klar: ich kann von Beamten der Bildungsdirektion nicht verlangen, dass sie sich gegen ministerielle Papiere verhalten. Auch, wenn die dumm sind. DUMM! Strohdumm. (Der TT-Redakteur hatte das Wort schräg verwendet.)

Eine „Vorgabe der Politik“?

Ein anderer Beamter der Bildungsdirektion hatte geäußert, dass es eine „Vorgabe der Politik“ sei, dass keine Schulen geschlossen werden.

Ganz offensichtlich hat das Bildungsministerium festgelegt, dass keine Schulen „geschlossen“ werden, und zwar egal, was passiert. Das ist extrem gefährlich. Ich verstehe, dass Eltern im Arbeitsprozess gehalten werden sollen und Schulen deshalb als Aufbewahrungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche gebraucht werden, aber das trifft für die Abendgymnasien eben überhaupt nicht zu: hier sollten die Studierenden im Arbeitsprozess gehalten werden, damit ihre berufliche Existenz nicht gefährdet wird.

Wer hat das im Bildungsministerium so festgelegt? Wer definiert diese „Vorgabe der Politik“?

Wundern wir uns, warum die Infektionszahlen derzeit derart steigen? Dass in der Zweiten Welle der Infektion mittlerweile mehr als doppelt so viele Menschen erkrankt sind als in der Ersten Welle? Nein: das Bildungsministerium provoziert, erzeugt (!) geradezu Virencluster. Die Kinder holen sich das Virus in der Schule ab und bringen es nach Hause. Von dort wird es weiter verbreitet – über die Eltern an Verwandte und in die Betriebe. (Die Studierenden der Abendgymnasien können es direkt in den Betrieben abliefern, so lange sie am Abend Präsenzunterricht besuchen müssen.)

Wer hat das festgelegt, „dass die VO für alle Schulen (Schularten, Schulformen und Fachrichtungen) gleich anzuwenden ist“? Das würde ich zu gerne wissen.

Ist es der Minister selbst? Ihm traue ich das nicht zu. Ich habe jemand anderen im Verdacht.

Résumé

Ich war kurze Zeit prominent, obwohl ich bisher erfolglos war. Ich war als Direktor erfolglos beim Versuch, für „meine“ Schule, unseren Schultyp einfach eine völlig auf der Hand liegende vernünftige Lösung umzusetzen, die Virencluster verhindert, die Gesundheit von Studierenden und Lehrenden schützt und auch den Wirtschaftsstandort Tirol (oder Österreich), indem eben die Erzeugung von Virenclustern verhindert wird. Wir wüssten, wie es geht, aber wir dürfen nicht, weil die Ampel es so sagt.

Wenn es mir darum gegangen wäre, für kurze Zeit prominent zu werden, wäre ich da sehr erfolgreich gewesen. Aber das ist mir wurscht; darum geht es nicht. Ich will wirkliche Lösungen für reale Probleme, schwerwiegende Probleme.

Ich habe dabei in den letzten Tagen viel Unterstützung erfahren. Mündlich und schriftlich. Ein Kollege, selber Schuldirektor, schreibt mir:

Lieber Michael,
ich darf dir herzlich zum Auftritt deiner Schule in der heutigen Tiroler Tageszeitung gratulieren. Ich kann dich – auch aus Kenntnis meiner Tätigkeit an deiner Schule – nur allzugut verstehen und  dein Anliegen vollinhaltlich nachvollziehen.
Bleib dran!
LG

Eine Kollegin schreibt mir:

Lieber Michael,
nach einigen anerkennenden Anrufen, die mir zu meinem mutigen Chef gratulierten, habe ich mich selbst auf die Zeitung gestürzt und möchte dir für deine Courage danken!
Schade, dass dein Engagement für unsere Schule (und darüber hinaus!) von behördlicher Seite nicht entsprechend geschätzt wird, wenigstens deinen Lehrkörper weißt du felsenfest hinter dir!
Ich wünsche dir ein Wochenende in erholsamer Distanz,

Ja, ich weiß „meinen“ Lehrkörper hinter mir, und wenn das felsenfest ist, ist das wunderbar.

Es kann gut sein, dass ich diese Solidarität noch brauchen werde.

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