michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Mataranten, Matarantinnen …

Ein Brief des Direktors

Liebe Studierende,

ein langer Maturatermin ist abgeschlossen. 10 Tage lang haben wir geprüft, an 19 Prüfungshalbtagen standen 264 mündliche Prüfungen auf dem Plan.

36 Studierende haben die Matura abgeschlossen: 18 Frauen, 18 Männer; 4 mit ausgezeichnetem Erfolg, 5 mit gutem Erfolg, 27 normale „bestanden“; 30 WirtschaftskundlerInnen, 5 RealgymnasiastInnen, eine Gymnasiastin (mit der ersten Matura in Latein seit Langem!). Die jüngste ist 18,4 Jahre alt – mit dem ersten Geburtsdatum aus dem Jahr 2000; der älteste mit 48 mehr als doppelt so alt. Durchschnittsalter der AbsolventInnen 22,7, Altersmedian 21,6.

Herzlichen Glückwunsch an alle unsere neuen AbsolventInnen und an alle, die wichtige Schritte „vorgezogen“ gemeistert haben.

In diesem Schuljahr sind damit 88 Maturazeugnisse erstanden, die drittgrößte Anzahl seit 2011. 45 Frauen haben maturiert, 43 Männer, Altersspektrum zwischen 18,4 und 57,6. Zum ersten Mal hatten wir in GWK auch standardisierte Reifeprüfungen: alle 8 gingen positiv aus.

Trotzdem…

Ich bin mit diesem Maturatermin gar nicht zufrieden. Zu viele KandidatInnen haben es nicht geschafft. Weitere 20 hätten abschließen können, das sind über ein Drittel der Angemeldeten. Das ist eine sehr hohe Zahl, und ich frage mich, welche Gründe das hat; das muss ich. Ist es Zufall? War das halt ein Termin „mit viel Pech“? Oder müssen wir irgendwo ansetzen? (Zwischendurch, am Fr 22.6. abends, stand es mit 20:16 noch schlimmer, aber dann kamen mit 16:4 noch ein paar recht erfolgreiche Prüfungshalbtage. Die vorgezogenen mündlichen Reifeprüfungen der 2. bis 7. Semester waren dann mit einem einzigen 5er, Notenverteilung 15 – 11 – 6 – 5 – 1, in Summe noch erfolgreicher.)

Die 20 KandidatInnen, die nicht durchgekommen sind, sind zu insgesamt 9 Prüfungen gar nicht angetreten und haben insgesamt 33 Prüfungen nicht bestanden – und zwar aufgestreut auf fast alle Fächer. Eine Kandidatin geht mit 4 „Nicht genügend“ heim, 5 KandidatInnen mit jeweils 3 negativen Noten.

Waren die Aufgaben zu schwierig? Ich glaube nicht: mir wären keine Aufgaben aufgefallen, die außerhalb des gewohnten Schwierigkeitsbereichs lagen. Ich glaube auch, dass unsere PrüferInnen sehr wohlwollend, kompetent und mäeutisch geprüft haben. Diesbezüglich kann ich nichts Ungewöhnliches feststellen: ich habe alle Aufgabenstellungen gesehen und ca. 200 Prüfungen selbst erlebt.

Auch die Verteilung der mündlichen Noten innerhalb des Haupttermins lässt – außer der relativ hohen Anzahl der 5er – nichts Besonderes vermuten: relativ wenige 4er, mehr 2er als 3er. Insgesamt eigentlich ganz gut – bis auf die 5er.

1 2  3  4  5 n.a.
20 31 21 18 33 9

Mittelwert bei 3,1, Median bei 3.

Was mir besonders aufgefallen ist: eine Kandidatin hat während ihrer (einzigen!) negativen Prüfung insgesamt 4 mal versichert, dass sie dieses oder jenes Wort „auch schon einmal gelesen“ hat.

Erklärungsversuche:

Es gibt unter den MaturantInnen einige wenige KandidatInnen, die nur sehr kurze Zeit: ein, zwei Semester bei uns waren, z.T. schon mit angefangenen Reifeprüfungen aus anderen Schulen zu uns gekommen sind und bei uns praktisch keinen Unterricht besucht haben, sondern „freihändig“, auf der Basis ihres Wissens aus der verlassenen Schule, zur Reifeprüfung angetreten sind. Ich hatte da Gastbesuche empfohlen, aber zu denen ist es nur in sehr geringem Ausmaß gekommen. (Klar: „Gastbesuche“ sind keine Pflicht.) Tatsächlich glaube ich, dass man sich auf eine Reifeprüfung gründlich vorbereiten muss und dass man sich auf das Wissen aus der früheren Schule, dessen Erwerb zum Teil schon „etwas länger her ist“, nicht absolut verlassen kann. Es gibt Vergessenskurven, und auch, wenn man in der früheren Schule da „ganz gut war“, wär‘s doch nützlich, vor der Prüfung Unterricht zu besuchen. Und tatsächlich sind einige dieser Reifeprüfungen schief gegangen. (Und ich habe auch bereits vor der Reifeprüfung angefangen, die Anrechnungen aus früheren Schulen nicht mehr so umfangreich vorzunehmen, sodass keine Gastbesuche mehr entstehen, sondern wenigstens das Modul aus dem 8. Semester besucht werden muss.)

Die Tatsache, dass sich die 5er bei einigen KandidatInnen häufen, und die Aussage, etwas „auch schon einmal gelesen“ zu haben, bringen mich aber auf eine andere Idee.

Vor 11 Jahren, 2007, brachte Apple das iPhone heraus: das erste wirklich moderne smartphone. Andere Firmen folgten; heutzutage hat fast jede und jeder so ein Ding. (Ich übrigens nicht.) Die Generation, die in dieser Zeit in die Schule ging, hat gelernt, dass alles jederzeit nachgeschaut werden kann, wenn man etwas nicht weiß. Unsere heute im Durchschnitt 21-jährigen MaturantInnen waren damals 10.

Es stimmt: mit einem smartphone kann man jederzeit nachschauen. Cosinussatz? Kein Problem. Atommodell? Sofort da. Eine englische Vokabel? Nichts leichter als das. Was dabei übersehen wird, ist, dass das extrem kurze „Lernprozesse“ sind, die keine Nachhaltigkeit haben. Um etwas wirklich nachschauen zu können und das Nachgeschaute dann auch behalten und verwenden zu können, braucht man bereits vorhandenes Wissen im Gehirn. Man braucht Dinge, mit denen man das Neue, Gefundene verbinden und vernetzen kann. Man muss einige Dinge „auswendig“ (auf Englisch ist das viel netter: „by heart“) wissen, um frisch gefundenes Wissen nutzbar machen zu können. Nachschauen ist nicht lernen. Auch Durchlesen ist nicht lernen. Lernen ist zu einem gewissen Teil Arbeit, die durch ein smartphone nicht ersetzt werden kann.

Es könnte sein, dass dieser Maturatermin von einigen Ausläufern des smartphone-Zeitalters betroffen ist. Das geht auch anderen Schulen so. Maturaformate, Prüfungsformate ändern sich nicht so schnell.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ihr smartphone ist nicht „schuld“. Und die smartphone-Generation ist nicht „dümmer“. Aber durch die immer verfügbaren Kleincomputer verändert sich zwangsläufig der Zugang zum und das Umgehen mit dem Wissen. Ich habe den Verdacht, ja den Eindruck, dass es für viele junge Leute immer schwieriger wird, einen komplexen Stoff von – sagen wir – 50, 60 Seiten zu „lernen“. Das sind mittel- bis langfristige Lernprozesse. Da geht es darum, einen Stoff, der zunächst umfangreich erscheint, zu portionieren und zu strukturieren. Es geht darum zu erkennen, was die absolut wesentlichen Elemente sind, die man „by heart“ haben sollte, weil das andere, der Rest sonst nicht sinnvoll eingeordnet werden kann.

In den Schulfächern kommt man nicht immer zu diesen stundenübergreifenden Lern- und Stoffstrukturen, weil man sehr oft im Tagesgeschäft steckt, in Detailproblemen. Und ein Fach wie LPK kann das mit seiner einzigen Semesterwochenstunde nicht leisten, Stoffgebiete aufzubereiten, zu strukturieren, lernbar zu machen.

Klar sind in Anbetracht der dauernden Verfügbarkeit der gesamten Stoffgebiete auch didaktische und methodische Reformschritte angesagt. Wir sind da auch aktiv tätig, manche mehr, manche weniger, manche sehr intensiv. Und ist es ein Zufall, dass die Fernstudierenden bei der Matura deutlich positiver abgeschnitten haben als die Präsenztermine?

Ein Lösungsschritt?

Ich möchte in den nächsten Semestern versuchen, in einem Förderkurs (zu LPK) an Beispielen aus allen möglichen Fächern zu zeigen, wie man komplexe Stoffe strukturieren und lernbar machen kann. Ich möchte dazu FachkollegInnen bitten, jeweils innerhalb von ca. 60 bis 90 Minuten ein Beispiel aus ihren Fächern aufzubereiten. Ich glaube, das könnte ein sinnvoller Schritt sein. Bitte nützen Sie ihn, wenn Sie betroffen sind!

Schöne Grüße
michael bürkle


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Kommentare

4 Antworten zu „Mataranten, Matarantinnen …“

  1. Avatar von Whisker
    Whisker

    „Nachschauen ist nicht lernen. Auch Durchlesen ist nicht lernen. Lernen ist zu einem gewissen Teil Arbeit, die durch ein smartphone nicht ersetzt werden kann.“
    Ja, das ist allerdings richtig, das „durfte“ ich am eigenen Leib erfahren (sprich: durch Erfahrung lernen).

    Ich habe seinerzeit um 2000 herum in Wien gewohnt und dort bei der Maturaschule Dr. Roland begonnen, die Matura nachzuholen. „Jung und dumm“, wie ich damals war (mittlerweile sag ich gern, jetzt bin ich nur noch „und“…), hab ich nach Lust und Laune immer wieder den Unterricht geschwänzt, das Lernen zuhause vernachlässigt (weil ich „das ja eh schon in der Schule kapiert hab“), und mich unter anderem auch in Mathematik darauf verlassen, dass ich „ja eh die Formelsammlung verwenden darf“ – d.h. halt einfach nachschaue, wenn mir was nicht einfällt.

    Ja, und dann kam die schriftliche Zulassungsprüfung in Mathematik (d.h. mein erster Versuch), und ich hab sie aber sowas von versemmelt – mit Bomben, Granaten, SIlvesterraketen, und fliegenden Fahnen sowieso. Nicht nur ein Bauchfleck wie aus dem Lehrbuch, sondern so formvollendet, als hätte ich das Lehrbuch dafür selbst geschrieben. Weil mein ach so genialer Plan von vorne bis hinten nicht funktioniert hat.
    Warum? Weil Dinge wie z.B. Formelsamlungen oder auch Smartphones auschließlich Werkzeuge sind, und keine „universellen Problemlöser“, die einem jegliche Arbeit abnehmen.
    Den Gebrauch eines Werkzeuges muß man aber eben erlernen, bevor man damit arbeitet; und je komplexer und mächtiger das Werkzeug ist, desto höher ist in der Regel der Lernaufwand.

    Sonst kommt im besten Fall „nur“ nicht das gewünschte Ergebnis heraus – und im schlimmsten Fall verliert man dabei Körperteile.

    Das war für mich ein Schock, der aber mittelfristig dahingehend eine „heilsame“ Wirkung zeigte, dass ich dann doch „richtig“ zu lernen begonnen habe und meine Matura etwa sechs Monate vor dem Zeitpunkt ablegte, an dem ich doppelt so alt gewesen wäre wie „normale“ Maturanten (also vor meinem 36er).
    Und als angenehme Nebenwirkung habe ich dabei unter anderem entdeckt, wie faszinierend (und vor allem auch fundamental für etliche Dinge) „richtige“ Mathematik eigentlich ist. 🙂

  2. Avatar von Whisker
    Whisker

    Noch ein Nachtrag zu dem Posting, das ich gerade geschrieben habe…
    Der Kabarettist Günther Paal a.k.a. Gunkl (den ich unter anderem sehr für seinen messerscharfen intellektuellen Stil und seine Fähigkeitet schätze, Sachverhalte sehr schön und verständlich zu erklären) hat das in seinem ersten Programm wunderbar auf den Punkt gebracht:

    „Erfahrungen sind das, was wir uns durch Beobachtung hätten ersparen können.“

    Ich bin mir jetzt zwar nicht ganz sicher, ob er da nicht „nur“ jemand anderen zitiert hat (zumindest habe ich dunkel in Erinnerung, das schon von irgendjemandem zu kennen, der früher dran war).

    Aber selbst wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, dann hat der werte Gunkl zumindest den durchaus lobenswerten Grundatz „man klaut nur von den Besten“ beherzigt – und das ist dann schon okay, denn damit hat er zumindest dafür gesorgt, dass dieser Grundsatz bekannter wird. 🙂

  3. Avatar von michael bürkle
    michael bürkle

    Erläuterung für Menschen, die mit dem Abendgymnasium nicht so sehr vertraut sind:
    Wir haben in unserer Stundentafel ein Pflichtfach „LPK“: „Lernen, Präsentieren, Kommunizieren“ im Ausmaß von einer Semesterwochenstunde. In dem Fach geht es natürlich ebenfalls um Lernmethoden prinzipiell, um Präsentationstechniken, aber auch um Kommunikation an sich. 1 Semesterwochenstunde sind ungefähr 20 Einheiten zu je 45 Minuten: da gehen sich keine besonderen Extratouren aus.

  4. Avatar von michael bürkle
    michael bürkle

    wenn meine beobachtung bzw. vermutung, dass unser maturaergebnis auf vorläufern des smartphone-zeitalters beruht, dann wird das wohl kein einzelfall bleiben. dann müssen wir uns einiges überlegen, das über förderkurse hinausgeht.

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