Veröffentlicht in Bildung, Politik

verhüllen vermummen verschleiern

für Schwester Ingrid, mit Dank!

Ich bin heute angesprochen worden, was ich denn vom Verhüllungsverbot halte. Am 1. Oktober tritt es in Kraft; eines der letzten Projekte der SPÖ-ÖVP-Koalition, beschlossen vor dem Sommer.

früher

Ich kenne die Diskussion um das Verhüllungsverbot schon circa 40 Jahre. Damals, es war Mitte, Ende der 70er, fanden in Innsbruck „die 68er“ statt. Es gab noch kein Internet, keine Mobiltelefone, schon gar nicht smarte. Die jungen Menschen – wir junge Menschen – waren politisch sehr engagiert, überdurchschnittlich engagiert. Die Uni war noch nicht sehr reglementiert und bot uns viel Freiraum und Freiheit. (Ich z.B. brauchte für mein Deutsch-Lehramt nur 8 „Scheine“, eine Diplomarbeit und eine Lehramtsprüfung.)

Immer wieder fanden Demonstrationen statt. Ich war oft dabei. Die Polizei schützte intensiv unser Demonstrationsrecht, wir als DemonstrantInnen hingegen fühlten uns gefilmt, fotografiert und überwacht. Manche von uns vermummten sich, gerne mit „Palästinensertüchern“. Und das „Establishment“, die konservativen Medien, die Polizei diskutierte deswegen ein „Vermummungsverbot“. Außer einer Hausbesetzung – auch da war ich dabei – ist kaum je was Ernstes passiert; mir sind keine wirklichen großen Schäden bekannt, die durch vermummte DemonstrantInnen angerichtet wurden, aber weil ich mich nicht vermummte, wurde ich auch namentlich schnell aktenkundig. Aber es hat mir letztlich nicht geschadet, Österreich war und ist noch ein ziemlich freies Land.

Ja, wir waren vor 40 Jahren gegen ein Vermummungsverbot, denn das gefährdete in den Augen vieler von uns die Demonstrationsfreiheit.

Und heute?

Ich gebs zu: ich fühle mich ausgesprochen irritiert, wenn ich eine vollverschleierte Frau sehe, deren Burka oder Niqab gerade noch einen Augenschlitz erlaubt. Aber es gibt Religionsfreiheit, und da gehört der Islam (Achtung: nicht der Islamismus) dazu. Und es soll moslemische Frauen geben, die den Vollschleier tragen wollen.

Es steht für mich völlig außer Zweifel, dass es Situationen gibt, die einen Vollschleier verbieten. Z.B. Unterricht. Ich will als Lehrer die Reaktionen meiner Studierenden auf meinen Unterricht sehen. Ich will einen Zweifel erkennen, einen Aha-Effekt, ein Missverständnis. Das sind elementare Kommunikationen innerhalb des komplexen Kommunikationsgeschehens Unterricht. Dazu brauche ich die Mimik, die gesamte Mimik meiner Studierenden. Ich würde auch keinen Studenten in einem Vollvisierhelm unterrichten; ich ersuche auch, dunkle Sonnenbrillen abzunehmen, und ich habe junge Herrn auch schon gebeten, das Baseballkapperl aus dem Gesicht zu schieben. Ich würde von einer Frau mit Niqab in meinem Unterricht die Entfernung des Niqabs verlangen, und ich werde als Direktor alle KollegInnen decken und unterstützen, die das auch verlangen. (Noch ist es bei uns nicht vorgekommen.)

Es mag Unterrichtsformen geben, die keine Mimik von Schülern und Schülerinnen benötigt. Wenn ich einen langen Text in einer Fremdsprache auswendig lernen muss (z.B. in einer Koranschule den Koran auf Arabisch, denn nur in Arabisch ist er „echt“), dann brauche ich als Lehrer keine Mimik meiner Schüler, aber ich will zu so einer Form von Unterricht ganz sicher nicht zurück.

Ähnliches gilt vor Gericht, aber auch beim Einkauf, bei einer medizinischen Untersuchung. All das erfordert Kommunikationsprozesse mit Mimik und auch Gestik. Also: ein voll sichtbares Gesicht.

Anders herum: Wenn ich mit einem Vollvisierhelm auf dem Kopf in ein Juweliergeschäft gehe, darf ich mich nicht wundern, wenn mich der Juwelier für einen Kriminellen hält. Nehme ich den Vollvisierhelm unter den Arm, gibt es kein Problem.

Aber wie ist es, wenn beim Flanieren auf einer Straße gar kein besonderes Kommunikationsbedürfnis vorhanden ist? Darf eine Muslimin die Kommunikation verweigern? (So lange sie es selbst will … Aber wenn man(n) sie zwingt? Ich finde, Verschleierung ist eine Einschränkung von Kommunikation; als solche ist sie schade, denn Kommunikation, gerade interkulturelle, wäre wichtig.)

Es gibt österreichische Fremdenverkehrsorte, die sich sehr schnell an zahlungskräftige Kunden und Kundinnen aus dem arabischen Raum gewöhnt haben. In diesen Orten sind auch die strengeren Formen des Schleiers kein Problem. Hauptsache, die Kundin zahlt. Beim Geld vergisst unsere Gesellschaft sehr schnell hehre Grundsätze.

außer Streit stellen

Ich denke, man sollte außer Streit stellen, dass es Kommunikationssituationen gibt, die einen Vollschleier, aber auch ein Clownkostüm, ein Krampusgewand oder einen Vollvisierhelm unmöglich machen. Man kann auch Situationen definieren, in denen Vollschleier, Vollvisierhelm, Clownkostüm und Krampusgewand erlaubt oder sogar gefordert sind. Es mag Situationen geben, die ein Krampusgewand erlauben, aber den Krampus dann doch irgendwie identifizierbar machen, denn natürlich ist auch die Vollverhüllung einer Krampusgestalt oft genug enthemmend genug, um ernstliche Probleme zu schaffen.

Ich denke, jeder öffentliche geschlossene Raum verträgt keine Vollverschleierung: nicht Unterricht, nicht Gericht, nicht Klinik, nicht Verkaufsraum. Jeder private geschlossene Raum verträgt im Prinzip alles, denn er ist privat. Dort ist nur verboten, was nicht einvernehmlich ist. Jeder offene öffentliche Raum ist anders, finde ich. Wenn ich als Clown durch die Stadt gehen will, soll das an sich erlaubt sein. Aber sobald ich ein Geschäft betrete, muss ich bereit sein, mein Kostüm zu entfernen und mich erkennbar zu machen.

Das Gleiche gilt für Verhüllung aus religiösen Gründen oder aus traditionellen Gründen. Insofern geht mir die Regelung ab 1. Oktober einen Hauch zu weit. Der offene öffentliche Raum müsste nicht mit Strafen belegt werden.

Aber es gibt einen wesentlichen Fortschritt. „Zu unserer Zeit“, vor 40 Jahren, wurde ein Vermummungsverbot unter strafrechtlichen Aspekten diskutiert, denn vermummte Demonstranten wurden als potenzielle Terroristen missverstanden. Heute geht es lediglich um Verwaltungsstrafen, um Organstrafmandate. Das ist wesentlich anders.

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Whisker
Whisker
6 Jahre alt

> Jeder private geschlossene Raum verträgt im Prinzip alles, denn er ist privat. > Dort ist nur verboten, was nicht einvernehmlich ist. Grundsätzlich sehe ich das genauso: Religion ist Privatsache. D.h. ob und was man glaubt und wie man den eigenen Glauben praktiziert, ist eine rein persönliche Angelegenheit, solange man sich im Rahmen der Gesetze bewegt. Trifft letzteres nicht mehr zu, erreicht oder überschreitet man die Grenzen der Religionsfreiheit. Persönlich gehe ich da allerdings noch etwas weiter und bin der Meinung, dass z.B. Politik und Religion strikt und ausnahmslos getrennt zu sein haben. Eine Ausnahme dabei ist natürlich das Verhältnis… Mehr »

Whisker
Whisker
6 Jahre alt

Was allerdings spezielle Vorschriften wie eben zum Beispiel die im Islam gebräuchliche Verschleierung angeht – da muß man meiner Meinung sehr genau differenzieren. Persönlich hab ich damit ein Problem, wenn eine Frau z.B. in der Öffentlichkeit Hijab trägt, auch weil die Verschleierung im Islam eben nicht „nur“ ein religiöses Symbol ist, sondern auch eine Diskriminierung von Frauen darstellt. Denn einerseits wird das damit begründet, dass Männer angeblich zu sehr „hormongesteuert“ sind und beim Anblick einer unverschleierten Frau angeblich ihre Beherrschung verlieren könnten. Das finde ich einerseits zutiefst sexistisch gegenüber sowohl Männern als auch Frauen: Gegenüber Männern, weil diesen damit unterstellt… Mehr »