Veröffentlicht in Bildung, Politik

Bildungsministerin Hammerschmid in Innsbruck

Gestern war Bildungsminsiterin Sonja Hammerschmid in Innsbruck. Auf Einladung des Renner-Instituts der SPÖ hielt sie vor etwa 50 BesucherInnen ein Referat über „Die Zukunft der Schule“ im Cafe Katzung.

Die Ministerin

Der Auftritt der Ministerin war sehr respektabel: ein Referat über die nächsten bildungspolitischen Schritte, das fast (!) alles Wichtige umfasste. Völlig frei gesprochen, ohne in Unterlagen nachzublättern, gut verständlich und nachvollziehbar. Ich glaub, die kann was weiterbringen.

Themen waren zunächst die ganztägigen Schulformen, die es durchzusetzen gelte: Hammerschmid bekannte sich dabei zur Formenvielfalt:  die ganztägige Schule könne als „verschränkte“ kommen oder als Vormittagsunterricht mit Nachmittagsbetreuung. Es brauche dazu Infrastruktur: Räume für Kinder und Jugendliche, aber auch Arbeitsräume für LehrerInnen; es brauche dazu zusätzliches Personal: FreizeitpädagogInnen, Lehrpersonen für Lernbetreuung usw. Das Geld dazu habe sie sich gesichert.

Das nächste Thema war das sogenannte Autonomiepaket. Die Ministerin warb für eine Stärkung des Projektunterrichts, „weg vom Kanon“, für die Delegierung an Verantwortung an die DirektorInnen. Die Bildung von Schulclustern sei ein Angebot; es liege in der Verantwortung der Schulen, die sich zu clustern zusammenschließen wollen, um Ressourcen (Infrastruktur, aber auch Personal) gemeinsam zu nutzen. Sie sah die Rolle der Schulaufsicht als „sparring partner“ in der Autonomisierung. Die Ministerin sprach davon, dass es sich dabei um einen begleiteten Prozess ab 2018 über 5-10 Jahre handle.

Dritter großer Themenbereich war die Digitalisierung: es brauche Breitband-Internet für die Schulen, tablets als Endgeräte, dazu aber auch Fortbildung für LehrerInnen in Bezug auf das Umgehen mit Cybermobbing, Hasspostings, fake-news. Digitalisierung sei außerdem eine Vorbedingung für die Individualisierung von Unterricht.

So weit so beeindruckend.

Das Publikum

In der Diskussion wurde schnell nach dem ausgelassenen Punkt gefragt: der gemeinsamen Schule der 10- bis 14-jährigen (auch: „Gesamtschule“). Ob dieses Ziel einer sozialdemokratischen Bildungspolitik aus den Augen verloren sei.

Eine große Rolle in der Diskussion spielte die Inklusion. Offensichtlich ist in der SPÖ die Haltung sehr geteilt: es gibt klare Befürworter, aber auch vehemente Gegner. Mehrere DiskutantInnen äußerten, dass die Volksschulen mit Inklusion niemals ein den „Sonderschulen“ bzw. „Sonderpädagogischen Zentren“ vergleichbares Angebot für „Kinder mit besonderen Bedürfnissen“ bieten könnten; auch die Modellregion Außerfern wurde in Frage gestellt.

Weitere Themen in der Diskussion waren vor allem Sinn und Unsinn der Zentralmatura mit deutlich vernehmbarer Kritik an den neuen Prüfungsformaten und die Belastung der Lehrpersonen durch unbezahlte und frustrierende Arbeit in Schulentwicklung.

Die Ministerin bekannte sich zur Gesamtschule; diese bleibe Ziel. Sie wolle aber zunächst Erreichbares umsetzen. Zu den Modellregionen erfolgte keine klare Aussage: offensichtlich spießt es sich da noch sehr mit dem Koalitionspartner.

Im Bereich der Inklusion ist die Ministerin wohl eher auf der Seite der InklusionsbefürworterInnen. Sie schwärmte – etwas irritierend – von einer ehemaligen Privat-Sonderschule der Caritas („Am Himmel“ in Wien), die sich jetzt für andere Kinder (ohne „besondere Bedürfnisse“) geöffnet habe; sie schwärmte auch von den Erfolgen der Inklusion, die sie in Südtirol gesehen habe.

Ein Resümee

Insgesamt macht mir Ministerin Hammerschmid Hoffnung darauf, dass sich in Österreich Schulentwicklung in etwa in die richtige Richtung spürbar weiterbewegt. Sonja Hammerschmid macht einen wirklich kompetenten Eindruck; sie kennt die Themen, um die es geht, offensichtlich nicht nur aus der Ferne. Sie weicht Fragen kaum aus. (Sie verteilt allerdings auch kleinere Mogelpackungen, wenn sie unter Schulautonomie auch Projektunterricht verkauft. Das ist nichts Neues; dazu leistet Schulautonomie höchstens eine Verbesserung von Bedingungen, nicht mehr.)

Hammerschmid trifft allerdings auch in den „eigenen Reihen“ auf Zerrissenheit, wenn nicht auf Widerspruch. Sie ist pragmatisch im Umgang mit dem Koalitionspartner – hoffentlich nicht zu pragmatisch. Ich persönlich möchte mir z.B. eine Ganztagsschule nur verschränkt vorstellen: als Schulform, die Lernphasen, kreative Phasen, Sportphasen, Ruhephasen über den Tag verteilt. Das 5- bis 6-stündige Abfüllen von Kindern mit Inhalten am Vormittag und eine anschließende „Nachmittagsbetreuung“ ist für mich keine Lösung. Hier setzt die Ministerin (zu?) sehr auf Kompromiss; und die Gesamtschule wird einstweilen völlig ausgeklammert.

Bildungspolitisch „zerrissen“ ist in meinen Augen allerdings auch der Koalitionspartner der SPÖ. Es gibt Teile in der ÖVP, die durchaus eine Gesamtschule ernsthaft ausprobieren wollen; es gibt Teile in der ÖVP, die immer noch betonieren gegen alles, was irgendwie „modern“ aussieht und scheinbar „wohlerworbene“ Besitzstände in Frage stellt. Es gibt Teile in der ÖVP, die für einen notwendigen Ethikunterricht zu gewinnen wären, und es gibt Teile in der ÖVP, die sich ausschließlich konfessionellen Religionsunterricht vorstellen wollen und können. Und so weiter.

Vielleicht ist diese beiderseitige Zerrissenheit Chance.

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