Veröffentlicht in allgemein, Bildung

Demenz im Film

Vorgestern im Leokino: „The Leisure Seeker“, oder, auf Deutsch: „Das Leuchten der Erinnerung“. Wieder einmal ein Film über Demenz und wie man damit umgehen kann und soll oder nicht kann und nicht soll. Womit man rechnen muss. Diesmal in Form eines road movie.

Ein sehr schöner Film, ein sehr interessanter Film, ein absolut empfehlenswerter Film. Aber auch eine problematische Botschaft.

Der Plot des Films

John und Ella Spencer, er ehemaliger Literaturprofessor, machen sich mit einem alten Wohnmobil auf dem Weg von Boston die Ostküste entlang nach Florida. Sie wissen beide, dass John an Alzheimer leidet und wollen der Fürsorge ihrer Kinder entkommen und noch etwas erleben. In Florida muss Ella erkennen, dass sie selbst schwer an Krebs erkrankt ist; sie leitet darauf den gemeinsamen Selbstmord des Paares ein.

Demenz als Thema

Dass Demenz ein Thema für Filme ist und bleibt, ist klar – nachdem spätestens 1985 mit „Vergesst die Liebe nicht“ / „Do You Remember Love“ (von Jeff Bleckner, mit Joanne Woodward, Richard Kiley) das Themen-Tabu gebrochen wurde. Die Demenz alter Menschen als Belastung für sie selbst und ihre Umgebung wird ein Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben und damit ein Thema für Filme. Ich erinnere u.a. an „Still Alice“ (2014, von Richard Glatzer und Wash Westmoreland, mit Julianne Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart) oder auch die österreichischen Filme „Die Auslöschung“ (2013, von Nikolaus Leytner, mit Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck) oder „Der letzte Tanz“ (2014, von Houchang Allahyari, mit Erni Mangold).

Die meisten der einschlägigen Filme, die ich gesehen habe, erzählen von Demenz anhand von Paarstrukturen, in denen sich ein Teil um den anderen, den dementen, kümmert. Das kann auch Demenz als Umstand des sich-gegenseitig-Findens zeigen. Schwierig zu verfilmen wird ein Stoff sein, in dem es keine funktionierende Paarstruktur mehr gibt … Das wären dann die wirklich tragisch-traurigen Varianten. Aber wer berichtet davon?

In den Filmen über Demenz wird ein Prinzip des klassischen Theaters oft wiederbelebt: (intellektuelle)  „Fallhöhe“ spielt  eine wesentliche Rolle. Überaus gescheite und fähige Menschen – eine Literaturwissenschaftlerin in „Vergesst die Liebe nicht“, eine Psycholinguistin in „Still Alice“, ein Kunsthistoriker in der „Auslöschung“, noch einmal ein Literaturwissenschaftler im „Leisure Seeker“ – verlieren ihre großen geistigen Fähigkeiten, ihre Brillanz. Die Demenz der „normalen“, „kleinen“ Leute ist noch nicht so sehr Thema geworden.

Der Film

Der Film ist prominent besetzt: Ella wird gespielt von Oscar-Preisträgerin Helen Mirren, John von Ehrenoscar-Preisträger Donald Sutherland. Die beiden geben ein faszinierendes Paar ab. Regie: Paolo Virzi, nach einem Roman von Michael Zadoorian (2009).

Ella und John Spencer machen sich in ihrem alten Wohnmobil, genannt „The Leisure Seeker“ (also deutsch etwa: „Freizeitsucher“), auf den Weg. Ihre Kinder, Sohn Will und Tochter Jane, werden umgangen. Will ist aufgebracht und entsetzt – er trug einen Teil der Last der Pflege. Jane, die nicht in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, hat eher Verständnis für ihre Eltern.

Ella ist geistig fit, körperlich aber schon mitgenommen. John ist körperlich fit, aber seine Demenz hat – auch für ihn selbst schon und noch wahrnehmbar – bereits eingesetzt. Zusammen sind sie stark: John fährt das Wohnmobil, Ella coacht ihn. Sie versucht mit Fragen zur gemeinsamen Vergangenheit Johns Gedächtnis zu stimulieren und zu trainieren. Ziel der Reise ist Hemigways Haus in Florida, da John, der als Literaturwissenschaftler über Hemingway gearbeitet hatte, dort immer schon hin wollte.

John spricht Ella immer wieder auf eine ihrer früheren Beziehungen an, manchmal durchaus dement-aggressiv. In Florida erkennt Ella aber in einem Gespräch mit John, dass er sie vor Jahrzehnten mit einer Freundin Ellas „betrogen“ hatte – John spricht Ella plötzlich als Lillian an und meint, dass er die Beziehung aufgrund zur Liebe seiner Frau beenden müsse. (Dabei spricht John von der Beziehung zu Lillian nur als „Freundschaft“.) Daraufhin bringt Ella voller Zorn John vorübergehend sogar in ein Seniorenheim.

Kurze Zeit später erleidet Ella einen Zusammenbruch und wird in ein Krankenhaus eingeliefert, in dem festgestellt wird, dass ihr Körper von Metastasen durchsetzt ist und sie nicht mehr lange zu leben hat. John besucht sie im Krankenhaus, sie verlassen dieses heimlich, retten sich zu ihrem Wohnmobil zurück und Ella leitet die gemeinsame Tötung ein. Sie gibt John und sich ein Schlafmittel, startet den Motor und lenkt die Abgase ins Wageninnere.

Es gibt ausgesprochen berührende Szenen: die, in der John, der alte Literaturwissenschaftler, einer Kellnerin Feinheiten von Hemingways Literatur erklären möchte und er die junge Dame sichtlich inhaltlich, in ihren Interessen und ihrem Zeitbudget als Kellnerin hoffnungslos überfordert. Aber auch die, in der John einer anderen Kellnerin Feinheiten von Hemingways Literatur erklären möchte und die junge Dame höchst begeistert darauf einsteigt, weil sie ihre Diplomarbeit über Hemingway geschrieben hat – und damit bei John Begeisterung auslöst. Die Szene, in der John in einem Park von einer ehemaligen Studentin als ihr alter, begeisternder Lehrer erkannt wird – und er sofort fähig ist, sich an sie zu erinnern.

Der deutsche Titel – „Das Leuchten der Erinnerung“ – ist kein schlechter Titel. Er hat zwar mit dem amerikanischen Titel nichts zu tun; das Wohnmobil spielt auch keine wirkliche Rolle im Film, es ist zwar Instrument zunächst der Freiheit und dann auch (der Freiheit) des Todes. Aber das „Leuchten der Erinnerung“ ist im Film immer wieder spürbar, auch in den abendlichen Dia-Shows, die sich Ella und John immer wieder geben.

Lehren aus dem Film?

Man kann einige Botschaften aus dem Film entnehmen. Sicher steckt drin: „Nimm dir die Freizeit, die dir noch bleibt“. (Darauf spielt auch der amerikanische Titel an.) Es steckt auch drin: „Nimm nicht zu viele Rücksichten“, „Lass dich nicht von deinen Kindern bevormunden“. Es steckt auch drin: „Demenz muss nicht nur schrecklich sein“. Es steckt auch drin: „Achtung: Demenz erzeugt Erinnerungen, die nicht unbedingt angenehm sind“.

„Frag mich nicht, wie ich heiße“. Ja, das ist auch drin. Und: „Wenn du dement bist, kannst du leicht in einen begeisterten Trump-Umzug geraten“ auch.

Die Freiheit beim Sterben

Eine Botschaft, die man auch entnehmen könnte, wär mir persönlich sehr unangenehm: „Wenn du schwer krank und tapfer bist, mach mit einem Selbstmord den Weg frei und deinen Kindern das Leben nicht unnötig schwer.“ Ja, ich möchte mein Leben am Schluss selbst steuern können; die Vorstellung eines langen Sterbeprozesses, den ich selbst nicht beeinflussen kann, ist Horror für mich. Aber ich würde nicht den Druck spüren wollen, gehen zu sollen.

Die Frage nach der Freiheit im eigenen Sterben ist diffizil. Ich werde diese Freiheit auch für mich einfordern; ich kann mir auch vorstellen, Hilfestellung zu erbitten. Aber die Freiheit beim Sterben vermischt sich schnell mit Fragen der Verantwortlichkeit für andere.

Subscribe
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
ältesten
neuesten am meisten bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
peppone
peppone
6 Jahre alt

Ja, die Frage nach der Freiheit im eigenen Sterben ist diffizil. Ich für meinen Teil bin ausreichend „gelernter Egoist“ als dass ich es als mein ureigenstes Thema und meine ureigenste Entscheidung sehe. Im Grunde genommen hat man – ist man erst in dieser Situation – keine Verantwortung. Weder sich noch anderen gegenüber. Es ist – zumindest in meinen Augen – die absolut einzige Entscheidungsfreiheit welche unnehmbar die unsrige ist. Ob man diese für sich in Anspruch nehmen möchte oder nicht, das kann und muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen. Sehr sehr viele auf diesem Planeten gehen nicht erst zum… Mehr »