Veröffentlicht in Bildung, Politik

Prof. Schellnhuber im Stern-Interview

Der STERN kündigt an: „Ein Klimaforscher hat Antworten“.

Schellnhuber war bzw. ist IPCC-Autor und er war Berater der detuschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihm ist klar, dass das Pariser 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichbar ist; es sind für ihn die Klimaziele trotzdem nicht hinfällig, sondern notwendig. Schellhunber sieht verschiedene Rollen für Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen; und er bezeichnet die Methoden des Geoengineering unverhohlen als das, was sie sind: „großtechnische Planetenklempnerei“. (Besser kann man es nicht ausdrücken.)

Bitte lesen Sie selbst!


Eine Studie im Fachblatt „Nature Climate Science“ kam zu dem Ergebnis, dass wir die 1,5-Grad-Grenze schon längst überschritten haben. Ist es für unseren Planeten schon zu spät, Herr Schellnhuber?
Ich habe mich von Anfang an für die Zwei-Grad-Leitplanke eingesetzt. Das 1,5-Grad-Ziel war keine wissenschaftliche, sondern eine politische Entscheidung. Mir und meinen Kollegen schien das unrealistisch. In den letzten zwölf Monaten sind wir bereits über diese rote Linie hinausgeschossen.

Sie hatten wohl Recht.
Leider. Allerdings befinden wir uns mit dem mittelstarken El Nino-Ereignis im Pazifik derzeit in einer Sondersituation. Es kann sein, dass die Temperaturen in den kommenden Jahren wieder etwas sinken. Trotzdem ist die 1,5-Grad-Grenze nicht mehr zu halten. Die Frage ist nun: Wann erreichen wir die zwei Grad und wie weit überschreiten wir auch diese Leitplanke?

Hätten Sie 1990 erwartet, dass es so kommt?
Nein. Grundlegendes Wissen zum Treibhauseffekt gab es schon lange. Die entscheidende Berechnung wurde bereits 1896 durchgeführt. Aber über die Folgen der Erderwärmung wurde Anfang der 1990er Jahre allenfalls spekuliert und an einen Temperaturanstieg von über zwei Grad hat niemand wirklich geglaubt. Als ich 1992 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gründete, rechnete ich fest damit, dass es nach 25 bis 30 Jahren wieder eingestampft würde, weil dann das Klimaproblem gelöst wäre.

Waren Sie naiv?
Das war plausibler Zweckoptimismus. Wir dachten, es geht immerhin um das Überleben unserer Zivilisation, die Menschheit kann gar nicht so verbohrt und gleichgültig sein, dass sie hier nicht entschlossen gegensteuert. Dass man zum kollektiven Selbstmord aus Bequemlichkeit bereit ist, ging über unsere Vorstellungskraft.

Wann kam die Einsicht?
Endgültig verstanden habe ich es ein, zwei Jahre nach dem gefeierten Pariser Abkommen von 2015. Das war aber ein Papiertiger, mit dem sich nahezu 200 Nationen völkerrechtlich auf die Zwei-Grad-Leitplanke festgelegt haben. Aber wie? Jeder kann seinen Beitrag selbst bestimmen; es gibt keinerlei Sanktionen. Am Ende war das ein globaler Persilschein für alle Länder der Erde.

Haben Sie das Gefühl als Berater von Angela Merkel, aber auch bei den Klimakonferenzen versagt zu haben?
Jeder von uns versagt jeden Tag auf die eine oder andere Weise. Gegen die verlogene Debatte, die dafür sorgt, dass das fossile Geschäft weitergeht, steht die Forschung auf verlorenem Posten. Das ist eine tragische Erfahrung. Ich denke schon, dass die Klimawissenschaft ihre Erkenntnisse inzwischen richtig gut kommuniziert. Doch der Sender hat ein Problem, wenn der Empfänger einfach ausgeschaltet wird, was heute immer öfter geschieht. Manchmal hätten wir uns jedoch klarer ausdrücken können.

Zum Beispiel?
Der IPCC-Bericht ist etwa 3000 Seiten lang und seine Zusammenfassung wird mit den Regierungen Zeile für Zeile ausgehandelt. Da hätte man längst andere Formate finden müssen, um auch die Bevölkerung direkt zu erreichen. Aber es gibt unter den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern viele, die überhaupt nicht oder nur gelangweilt zuhören, ja, die uns ihre Verachtung deutlich spüren lassen. Trump ist da nur die Spitze des Eisberges.

Und wie lief es mit Frau Merkel?
Als ihr offizieller Berater bin ich oft mit einem Stapel Grafiken ins Kanzleramt gegangen und wir sind die Dokumente gemeinsam durchgegangen. Angela Merkels Bereitschaft und Verständnis waren beispielhaft. Aber dann bekommt man eben auch zu hören: „Ja, das müsste man umsetzen, aber dann fliegt mir meine Partei um die Ohren.“ Unter demokratischen Bedingungen lassen sich manche sinnvollen Dinge nicht einfach umsetzen, wie wir beim Agrardiesel und dem Heizungsgesetz gesehen haben.

Hatten Sie schon einmal das Bedürfnis, sich auf die Straße zu kleben?
Während des Hungerstreiks 2021 vor dem Kanzleramt haben mich die Aktivisten um Vermittlung gebeten, und ich habe mitgeholfen, dass ein direktes Gespräch mit Olaf Scholz zustande kam. Außerdem habe ich damals in einem offenen Brief geschrieben, dass möglicherweise der Tag kommt, an dem auch ich für den Klimaschutz in den Hungerstreik treten würde. Aber man muss ganz klar überlegen, wo man den größeren Beitrag leisten kann. Ich habe keine Angst, mich politisch einzumischen, aber ich glaube, dass ich mit meiner Forschung und meinem diskreten Zugang zur Politik mehr erreiche, als wenn ich an Demonstrationen teilnehmen würde. Ein berühmter amerikanischer Kollege denkt da anders. Der ist schon dreimal im Gefängnis gelandet.

Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann die Verzweiflung verstehen. Aber in der Klimakrise gibt es die Option „Tyrannenmord“ nicht. Und man kann sich auch nicht selbst opfern. Ich habe Sympathien für Menschen, die sich engagieren. Aber ich glaube, dass ich mit guter Forschung und guten Narrativen mehr beitragen kann.

Wo hat die Wissenschaft politisch mehr geleistet als Fridays for Future oder die Letzte Generation?
Das ist schwer zu sagen. Diese jungen Menschen berufen sich auf die Forschung, die wir vorher durchgeführt haben. Insofern spielen wir alle unsere jeweiligen Rollen.

Wie würden Sie die Ampel-Regierung heute beraten?
Wir müssen den Kohlenstoff aus der Atmosphäre filtern. Aber das wird nicht mit „Geoengineering“ – also großtechnischer Planetenklempnerei –  gelingen.

Sondern?
Indem wir für unsere Siedlungen und Infrastrukturen nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Bambus nutzen. Die gebaute Umwelt verursacht ungefähr 40 Prozent der globalen Emissionen und ist damit der größte Treiber des Klimawandels. Das können wir vermeiden, indem wir Beton, Glas, Aluminium und Stahl durch natürliche Materialien ersetzen. Das Großartige daran:  Wegen der Photosynthese-Leistung der Pflanzen werden so der Atmosphäre große Mengen an CO2 entzogen. Zu diesem Thema arbeite ich mit Stadtplanern, Architekten, Künstlern und Umweltgruppen zusammen. Wir versuchen eine neue Bauhaus-Bewegung anzustoßen, die das Klimaruder herumreißt.

Wie lange würde das alles dauern?
Für die Wiederherstellung „sicherer“ Klimabedingungen ungefähr 200 Jahre.

Haben wir die Zeit noch?
Wenn wir unsere Städte umbauen, gibt es sofort klimapositive Effekte. Bei einem Einfamilienhaus aus Stahl, Beton und Ziegeln werden ungefähr 100 Tonnen CO2 freigesetzt. Wäre es aus Holz gebaut, würden Sie nicht nur diese Tonnen einsparen, sondern zusätzlich 100 Tonnen binden. Allerdings sollte das Haus mehrere Jahrhunderte stehen.

Halten die Kippelemente noch so lange durch?
Es wird darauf ankommen, wie schnell wir die Zwei-Grad-Grenze erreichen, wie stark sie überschritten wird und wie rasch wir die globale Durchschnittstemperatur wieder senken können. Wenn wir bis Ende des Jahrhunderts nicht nur CO2-neutral sind, sondern auch Kohlenstoff in großen Mengen speichern, werden einige der gefährlichen Kippprozesse nicht in Gang kommen. Andere dürften allerdings schon aktiviert werden, wenn wir nur wenige Jahrzehnte über das Temperaturlimit hinausschießen.

Welche Elemente stehen schon jetzt auf der Kippe?
Die ganz großen Unfälle treten erst ein gutes Stück jenseits der zwei Grad auf und betreffen vor allem den Ostantarktischen Eisschild und die riesigen Mengen an Methaneis auf den Kontinentalschelfen. Beim Amazonasregenwald wird auch die direkte Zerstörung durch Rodung und Bergbau eine Rolle spielen. Schon jetzt unwiederbringlich beschädigt sind die tropischen Korallenriffe, Teile des Westantarktischen Eisschildes sowie gewisse Permafrost-Regionen in Sibirien und Alaska. Über den Golfstrom sagt eine aktuelle Studie, dass er mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit schon in diesem Jahrhundert abreißt. Besondere Sorgen macht mir das oben erwähnte Methaneis in den Ozeanen: Wenn das schmilzt, kommt ein rückgekoppelter Klimawandel in Gang.

Wie können wir gegensteuern?
Der Temperaturanstieg um zwei Grad muss sich auf wenige Jahrzehnte beschränken. Und wir brauchen einen erneuerten Generationenvertrag. Den meisten Menschen ist zwar weitgehend egal, was mit ihren Mitmenschen geschieht, aber nicht, was ihren Kindern widerfahren wird. Diese moralische Debatte muss endlich politisch geführt werden.

Warum bleiben Sie trotz allem optimistisch?
Wenn Ihr Kind an einer seltenen, aber schweren Krankheit leidet, die ohne Behandlung zum Tod führt, dann würden Sie jede Therapie versuchen. Auch wenn sie teuer ist und die Erfolgschance niedrig. Und das ist meine Haltung zum Klimaschutz: Wir haben keine große Chance. Aber weil es um alles geht, müssen wir sie ergreifen.

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