Aber es gibt Widerstandsnester. Eines in Imst, jetzt auch eines in Landeck: das Gymnasium Landeck hat eine Inititative „progym“ gegründet.
Wie wird argumentiert?
– Es wird eine „Demontage“ des Gymnasiums Landeck beschworen
Naja: niemand stellt die Existenz des Gymnasiums Landeck in Frage. Die Frage ist: soll die Unterstufe wie eine Neue Mittelschule geführt werden oder nicht?
– „Wir fordern den Erhalt der freien Schulwahl für Eltern und ihre Kinder statt einer Zwangszuteilung in eine Gesamtschule.“
Naja: das könnte man natürlich auch für Volksschulen fordern. Wie kommen die Eltern „begabter“ Kinder dazu, ihre Kinder in die gleiche Volksschule zu schicken wie andere, nicht so „begabte“ Kinder? Das ist doch ungerecht! (Achtung: Ironie!)
– „Wir fordern den Erhalt der optimalen Bildungschancen für Begabte durch eine gymnasiale Ausbildung ab dem 10. Lebensjahr statt einer Nivellierung der Bildung nach unten in Gesamtschulklassen.“
Das behauptet, dass die Bildungschancen in einem Gymnasium ab dem 10. Lebensjahr höher sind. Das ist vermutlich sogar wahr. Nachweislich gehen mehr Kinder aus einer gymnasialen Unterstufe in eine höhere Schule als Kinder aus einer Hauptschule oder einer NMS. (Die NMS hat hier gegenüber der Hauptschule nur „wenig Boden gut gemacht“.) Die Frage ist: sind es „die Begabten“, die in die Unterstufe eines Gymnasiums kommen?
– „In Wiener Bezirken besuchen bis zu 70 Prozent der 10 – 14-jährigen die gymnasiale Unterstufe, im Tiroler Zentralbereich mehr als 40 Prozent, im Bezirk Landeck sind dies nur ca. 15 Prozent. Wir kämpfen dafür, dass in diesem ohnehin benachteiligten Bezirk den Kindern der Zugang zum Gymnasium ab dem 10. Lebensjahr erhalten bleibt.“
Also wenn es die Begabten sind, die mit 10 ins Gymnasium gehen, würde das heißen, dass es in Wien oder im Zentralraum Tirols mehr begabte Kinder gibt (als z.B. in Landeck). Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlich beweist das Argument, dass es eben nicht die Begabten sind, die ins Gymnasium gehen. Sondern ganz normale Kinder wie alle anderen. Und dass es u.a. von der regionalen Infrastruktur abhängt, welche Schulen Kinder besuchen.
– „Die Förderung begabter Kinder muss Vorrang haben vor ideologischer Gleichmacherei.“
Ja, diese Forderung teile ich. Aber geht es wirklich um Begabung? Nein, das tut es eben nicht. In den Gymnasien werden die Kinder gefördert, deren Eltern sich Nachhilfe leisten können. That’s it. Es sind die Kinder betuchter Eltern, die bereit und in der Lage sind, in die Bildung ihrer Kinder konkretes Geld zu investieren. Diese Gelegenheit haben in städtischen Ballungsräumen mehr Eltern.
Oder anders: Alle Kinder sind begabt!
– „Das Gymnasium Landeck ist für alle Kinder offen, welche in der Volksschule zeigen, dass sie leistungsfähig und leistungswillig sind.“
Es ist Unsinn, von den Leistungen in der Volksschule ausgehend individuelle langfristige Bildungsentscheidungen zu treffen. Gute Noten in der Volksschule sagen sehr wenig über „Leistungsbereitschaft“ und „Leistungswilligkeit“. Derzeit schickt unsere Gesellschaft Tausende 8-jährige in das tägliche Rennen um gute Volksschulnoten. Pervers! Wer macht das Rennen? Die, deren Eltern Zeit und / oder Geld haben. Ja, Bildung vererbt sich – aber nicht über Gene.
15% der Kinder des Bezirks Landeck besuchen das Gymnasium, das „offen“ sei für alle Kinder, die „in der Volksschule zeigen, dass sie leistungsfähig und leistungswillig sind“. Glauben die Initiatoren von „progym“ allen Ernstes, dass im Bezirk Landeck 85% der Kinder in der Volksschule Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit vermissen lassen? Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit!
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Was wäre sinnvoll?
Eine für alle Kinder gleichermaßen gute Sekundarstufe I, die keine Chancen verbaut und die als System ohne Nachhilfe konzipiert ist. Dabei wär es mir völlig wurscht, ob diese Sekundarstufe I „Neue Mittelschule“ oder „Hauptschule“ oder „Gymnasium“ heißt. Wichtig ist, dass alle Kinder im Alter von 10 bis 14 die gleichen guten Chancen bekommen, nicht manche bessere und manche nicht.
Die Landecker Initiative „progym“ ist äußerst interessant. Sie argumentiert für ein 8-jähriges Gymnasium und demaskiert dabei die Motive der Betreiber gründlich. Sie unterstellt, dass „die Begabten“ ins Gymnasium gehen – und die anderen, die weniger begabt sind, nicht. Gleichzeitig widerlegt sie das – und zwar mit Recht. Denn es sind nicht „die Begabten“, es sind vor allem die mit viel Bildungsbudget, die schon ab 10 ins Gymnasium gehen.
Wichtig wäre eine Schule, in der alle 10-14-jährigen von einander und mit einander lernen können.
Links:
Don Quijote aus Imst
Gesamtschulen: maximal 15%?
Bildungswege in Österreich
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