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Gier-Industrie

Die Gier

Wir – im globalen Norden – stecken seit Jahren (Jahrzehnten) in einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich derzeit besonders zugespitzt äußert: in einem globalen Konsumismus, der sich ziemlich oft in einer Art unsersättlicher Gier äußert. Es geht darum, zu konsumieren, egal ob man die Dinge oder Dienstleistungen, die man konsumiert, wirklich braucht oder nicht. Im Extrem wirds zur Sucht: zur Kaufsucht.

Das ist in diesem Jahrhundert eine dominierende Haltung; sie wurde vorläufig gebremst durch die Corona-Pandemie, in der „Shopping“ nicht mehr so möglich war. Was nun dazu führt, dass das jetzt nachgeholt wird.

Außerdem sind da noch die diversen Krisen, die einem einflüstern, man solle kaufen. (Wobei viele Käufer die Inflation nach oben treiben.) Und da ist noch die Klimakrise, die sich immer mehr ins Unterbewusstsein schwindelt – bei denen, bei denen sie nicht eh schon im Bewusstsein angekommen ist. Und da sagt dann das Unterbewusstsein: „Konsumier! Kauf, solange es noch geht. Reise an alle exotischen Ecken der Welt, solange du noch fliegen kannst. Die Welt steht nimmer lang: kauf!“ Es ist wie am Deck der Titanic.

Es beginnt bei Fast Food, geht über Fast Fashion zu Ultra Fast Fashion. Es äußert sich darin, dass „Shopping“ eine Tätigkeit wird und für viele junge Menschen (nicht nur weibliche) zum einzig genannten „Hobby“. Das andere „Hobby“ ist dann oft „Party machen“. Es wird als „einfach geil“ empfunden, in Gruppen an irgendeinem Strand oder im Rahmen eines „Festivals“ saufen zu können. (Das ist für mich neu; das war in meiner Jugend völlig anders. Wir hatten das Geld nicht.)

Das ist alles mit massivem Konsum verbunden und der Gier nach Neuem und Neuestem und Allerneuestem. Ich halte diesen Konsumismus für eine Art soziale Krankheit, für ein gesellschaftliches Fieber. Ich bin da allerdings relativ immun dagegen. Ich glaube dezidiert nicht an weltfriedenstiftende Macht des Konsumismus: alle überall konsumieren gleich.

Dieser Konsumismus führt zwangsläufig zu Inflation (obwohl die einzelnen Produkte oft spottbillig sind), zu einem enormen Ressourcenverbrauch, zu Müllbergen und über den Ressourcenverbrauch natürlich auch zum Klimawandel. Und die Angst vor dem Klimawandel heizt den Konsum an, der Konsum die Inflation …

Scamming

Der Konsumismus ist online basiert; ohne Internet funktioniert er nicht. Aber durch das Internet bilden sich über den bloßen Massenverkauf an Billigstware hinaus weitere Orte der Gier. Auch nach Gefühlen kann man gieren; ich habe in letzter Zeit häufig von zahlreichen Formen des Betrugs („scamming“) mithilfe des Internets gehört; die Medien sind voll davon. Das beginnt vielleicht bei love scamming, auf das sowohl Frauen als auch Männer hereinfallen: eine Internet-Beziehung verspricht Glück – und verlangt dafür Geld: zuerst wenig, dann mehr, dann noch mehr. Und frau und mann zahlt, weil man Sehnsüchte hat und sich die eigene Dummheit nicht eingestehen will.

Da geht es aber nicht nur um Heiratsschwindel im modernen Gewand, sondern auch um handfesten Wirtschaftsbetrug – wie z.B. das profil berichtet, schon am 23.3. in einem Artikel von Franziska Tschinderle. Frau Tschinderle berichtet von einer scamming industry, die sich z.B. in Balkan-Ländern etabliert hat.

Auch erfahrene Politiker werden erfasst: ein Salzburger Neu-Landesrat soll in einem Love Scam 600.000 Euro an Betrüger verprasst haben. Der Mann ist jetzt für Verbraucherschutz zuständig. Das zeigt: viele Politiker sind um kein bisschen klüger als jeder andere x-beliebige Mensch.

Vom nigerianischen Prinzen zur Scam-Industrie

Die Mail des nigerianischen Prinzen, der gegen einen kurzen Vorschuss ein Millionen-Vermögen verspricht, ist in dieser oder jener Form schon vielen begegnet. Aber heute wird das offenbar viel glaubwürdiger verpackt. Und in Großraumbüros mit geschulten Teams produziert. Sogar Menschen, die sich wirtschaftlich halbwegs auskennen sollten, fallen auf die Tricks herein. Grund:

Gier…

Es ist die Gier, die einem dazu verleiten kann, praktisch anonymen Versprechungen von Liebe oder von großartigen Geldgewinnen nachzugeben. Die Gier ist in einem gewissen Ausmaß durchaus menschlich; man muss halt irgendwann lernen, ihr ein entsprechendes Maß an NI, Natürlicher Intelligenz, an die Seite zu stellen. NI, Natürliche Intelligenz ist das Gegenteil von Gier. Diverse „influencer“ versprechen Tausende Dollar Gewinne „ohne zu arbeiten“. Scamming-Firmen ziehen sogar einen scheinbaren Geschäftszirkus auf, um solchen Versprechungen einen glaubwürdigen Rahmen zu geben.

Man könnte sich das meistens an einem Daumen abzählen: Das kann nicht wahr sein! Aber: „die Gier ist ein Luder“.

Man kann sich bei der Bildung von NI unterstützen lassen. Eine gute Schule kann da viel bewirken; es ist ihre Aufgabe. Moderne Aufklärer, die oft als Satiriker auftreten, können auch einiges beibringen: ich denke da z.B. an Jan Böhmermann.

Mit ein bisschen NI ist der nigerianische Prinz abzuwimmeln, mit ein bisschen NI sind die influencer aus Dubai im Zaum zu halten, mit NI kann man auch industriell aufgezogenen Schwindlerfirmen entgehen.

„Row Zero“

Ich höre, dass es bei Konzerten von bestimmten Rockbands eine „Row Zero“ gibt. Das ist die Reihe vor den ersten Sitzplätzen, direkt an der Bühne. Da gibt es keine Karten dafür: dafür wird man erwählt, auserwählt. Manager und auch Managerinnen suchen junge Mädchen, die „sexy“ sind und / oder „sexy gekleidet“ sind für diese Row Zero. Und manche bekommen auch eine Einladung in den „Backstage“-Bereich. Toll!

Aber natürlich sagt einem NI, dass damit eine Art Gegengeschäft verbunden ist, verbunden sein muss. Welches Gegengeschäft werden sich gestandene Rockmusiker – einer der Leadsänger, von dem derzeit oft die Rede ist, ist ja auch schon 60 – von jungen „sexy“ Mädchen erwarten? Ich wundere mich, dass sich Opfer der Row Zero wundern, dass sie betäubt, genötigt, vergewaltigt werden. Aber wir wollen nichts verdrehen: natürlich sind die jungen Mädchen Opfer und die Rockmusiker Täter. Und die Opfer sind nicht „selber schuld“; sind sind einfach nur zu naiv, zu sehr der Gier ausgeliefert, um die Gefahren zu erkennen.


(Dieser Artikel ist eine erweitere Fassung von „Die Gier …“  vom 29.3.)

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