Veröffentlicht in allgemein, Bildung

Studienberatung

Heute habe ich einen Brief eines „verirrten Maturanten“ bekommen; er hat nicht bei uns am Abendgymnasium maturiert:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mein Name ist […] und ich bin einer der vielen verirrten Maturanten, die auf der Suche nach einem geeigneten Zukunftsberuf ist. Ich habe 2020 am Bundesoberstufenrealgymnasium  […] mit besonderer Rücksicht auf den sportlichen Zweig meine Reifeprüfung absolviert. Dort habe ich meine Begeisterung entdeckt mit anderen meine mathematischen und sportlichen Kenntnisse zu teilen. Deshalb erscheint mir der Beruf des Sport- und Mathelehrers als naheliegend. Mein Problem besteht momentan darin, dass ich nicht x Jahre etwas studieren möchte ohne zu wissen ob mir der gelernte Beruf auch liegt oder ob es überhaupt eine Nachfrage nach genanntem Beruf gibt. Mir ist klar, dass Sie mir die frage, ob nun 40 Jahre zu unterrichten das richtige für mich ist nicht beantworten können. Jedoch habe ich mir erhofft Sie haben eine Ahnung ob es in ca 6 Jahren noch Chancen gibt an einem relativ gut gelegenen Ort einen Arbeitsplatz in genannter Branche zu finden oder ob das „Pensionsloch“ bis dahin schon gefüllt ist. Mir ist bewusst Sie haben im Speziellen aufgrund der anhaltenden Pandemie genug zu tun.  Jedoch würde mich eine Rückmeldung überaus freuen.

mit freundlichen Grüßen

Ich habe dem jungen Mann folgendermaßen geantwortet:

Sehr geehrter Herr […],

interessant und ehrenvoll, dass Sie sich mit Ihrer Anfrage an das Abendgymnasium wenden. (Oder haben Sie das an mehrere Schulen geschickt?) Naheliegend wäre eine Anfrage an das BORG […], die Schule, aus der Sie stammen.

Sie verlangen von mir einen Blick in die Zukunft des Jahres 2028. Ich finde aber leider meine Kristallkugel nicht. Also ist das Folgende unsicher:

Das österreichische Schulsystem sucht derzeit relativ häufig Mathematiklehrer*innen; ich denke, das wird sich in den nächsten Jahren nicht sehr ändern. Viele ältere Kolleg*innen gehen in Pension; nur wenige junge kommen nach; die Wichtigkeit des Fachs ist i.W. unbestritten; v.a. gute – didaktisch gute! – Mathe-Lehrer*innen sind nicht sehr häufig, denn die Didaktik-Ausbildung an den Universitäten hat – salopp gesagt – „einige Luft nach oben“. Eine Investition in 6 Jahre Mathe-Studium (incl. solider Didaktik-Ausbildung, evtl. auch außer-universitär) ist also ein vielversprechender Ansatz. Allerdings müssen Sie sich in Mathe auf ein schwieriges erstes Jahr einstellen: die Mathe-Ausbildung an den Universitäten hat mit dem Mathe-Unterricht, den Sie am BORG kennen gelernt haben, nur sehr wenig zu tun. Sie werden im ersten Studienjahr voraussichtlich 3 F brauchen: Fleiß, Frustationstoleranz und Ferbissenheit (ich weiß: das schreibt man im Normalfall mit V). Wenn Sie das erste Studienjahr überstanden haben, haben Sie einen großen Schritt getan. Sorgen Sie für eine gute Basis; die braucht man später.

Sport als Förderung körperlicher Fitness wird in einer Gesellschaft, die sich immer mehr in ein office oder gar auf das Sofa zurückzieht, immer wichtiger. Also werden auch Sportlehrer immer wichtiger. Dabei geht es aber – in mehrfacher Hinsicht – um „Breitensport“, nicht so sehr um Spitzensport. Werden Sie ein Sportlehrer, der Kindern und Jugendlichen die Freude an Bewegung vermittelt; solche Menschen werden wir brauchen. Allerdings ist ein Sportstudium auch gefährlich: eine einzige gravierende Sportverletzung kann Sie Jahre kosten. Gehen Sie also vorsichtig mit Ihrem Körper um; vermeiden Sie sog. „Trendsportarten“ wie Bungee-Jumping, Paragliding, wing suit flying usw.

Lehrer ist m.E. ein sehr schöner Beruf: Sie lernen permanent viele interessante junge Menschen kennen und können auf die einen großen & positiven Einfluss haben. Schule als System wird aber eher komplizierter; die neuen Technologien machen die Sache an sich nicht immer leichter. Geben Sie Ihrem Studium also eine gewisse Breite; fokussieren Sie sich nicht zu sehr auf die engen Fachinhalte; blicken Sie auch ab und zu zur Seite. Nehmen Sie die Veränderungen in unserer Gesellschaft wahr und beteiligen Sie sich dort, wo das für die Zukunft wichtig ist.

So viel auf die Schnelle in Zeiten der Pandemie. Fragen Sie mich nicht, welche Pandemie es 2028 geben wird, aber Corona ist nicht die letzte, das ist sicher.
mfg
michael bürkle, Dir.

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