Veröffentlicht in allgemein, Bildung, Politik

Ein Wahljahr ohne „wahlkabine“

wahlkabine.at ade

Österreich geht in ein Wahljahr; heute beginnt es bereits mit den Gemeideratswahlen in Salzburg – vor allem interessant in Salzburg-Stadt. Und Österreich fehlt ein interessantes und manchmal vielleicht wichtiges Instrument der Meinungsbildung: wahlkabine.at. Es fehlt schlicht und einfach an Geld.

wahlkabine.at hat anhand wesentlicher politischer Fragestellungen – es waren um die 25 – und der Aussagen der kandidierenden Parteien ausgerechnet, wie „nah“ man als politischer Mensch einer Partei war. I.W. habe ich die Erfahrung gemacht, dass das für mich in den allermeisten Fällen mit meinem Wahlverhalten übereingestimmt hat – und in seltenen Fällen hat mein Wahlverhalten abgewichen, denn die Wahl einer Partei hängt ja nicht nur vom Wahlprogramm ab, sondern auch von strategischen Überlegungen. Ich habe mich oft bestätigt gefühlt und habe oft auch schnelle Einblicke in die Positionierungen der antretenden Parteien erhalten.

wahlkabine.at hat dafür erfolgreich mit renommierten Politikwissenschaftler*innen zusammengearbeitet. Es ist sehr schade, dass dieser think tank nicht mehr in diesem Projekt arbeitet.

Ersatz?

Aber es gibt vielleicht Ersatz: das Meinungsforschungsinstitut OGM hat ivote.at online gestellt. ivote.at stellt zunächst einmal für die Europawahl gezielte Fragen und rechnet so wie die wahlkabine.at eine politische Präferenz aus. Ich habs probiert: das Ergebnis ist für mich realistisch.

Nun gibt es vielleicht Vorbehalte gegenüber OGM: es hat vor 3 Jahren einen Ausschluss von OGM aus dem Verband der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreichs (VdMI) gegeben, weil OGM Umfragen ausschließlich online durchgeführt habe, was den Qualitätskriterien des VdMI widersprochen habe. (OGM ist auch nicht wieder dem VdMI beigetreten.) Und das OGM hat gegenüber wahlkabine.at keine große Gruppe an politikwissenschaftlicher Expertise hinter sich, sondern arbeitet offenbar v.a. mit dem Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch als „sachpolitische Entscheidungshilfe“ zusammen. Und ich finde zu ivote.at auch keine Darstellung darüber, wie die Angaben der potenziellen Wähler*innen in politische Nahverhältnisse zu Parteien verrechnet werden – das scheint Firmengeheimnis zu sein.

Insofern kann man über die Seriosität des Projekts ivote.at wenig sagen. Ich kann nur sagen: das ivote-Ergebnis stimmt zu der von mir selbst formulierten Positionierung ziemlich gut zusammen: die FPÖ ist jedenfalls ganz hinten.

Die Fragen

ivote.at stellt 25 inhaltliche Fragen zur Übereinstimmung mit den politischen Parteien. Man kann bei jeder Frage „sehr dafür“, „eher dafür“, „eher dagegen“ oder „sehr dagegen“ sein; man kann eine Frage aber auch „überspringen“ oder „keine Angabe“ dazu machen. Die Themen sind:

1. Österreichs Mitgliedschaft in der EU.
2. EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland fortsetzen.
3. Vollständiger Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle ab 2040 EU-weit.
4. Abschaffung des Vetorechts im EU-Rat: Einzelne EU-Staaten können überstimmt werden.
5. EU-Solidaritätsmechanismus: Verteilung der Asylwerber auf die EU-Mitgliedstaaten gemäß Bevölkerungsanteilen und Wirtschaftskraft.
6. Erhöhung des EU-Budgets mit höheren Mitgliedsbeiträgen zur Finanzierung der Krisenhilfen und Erweiterungspläne.
7. Führerscheinentzug in einem EU-Land gilt in allen EU-Mitgliedstaaten.
8. Einführung eines EU-weiten Mindestlohns.
9. Renaturierung versiegelter Böden, Beschränkung und Rückwidmung von Bauland.
10. Weitere nationale Kompetenzen an die EU verlagern.
11. EU-Krisenmechanismus: Abschiebung aller Antragsteller ohne Asylrecht an Herkunftsländer.
12. Mitwirkung Österreichs an einer gemeinsamen europäischen Verteidigung.
13. Verlängerung des Schengen-Vetos Österreichs gegenüber Rumänien und Bulgarien.
14. Ausbau der globalen Freihandelsabkommen zwischen Europa und anderen Ländern der Welt.
15. Reform der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), weil sie in Hinblick auf Zuwanderung und Flüchtlingsströme nicht mehr zeitgemäß ist.
16. Teilnahme Österreichs am europäischen Luftraumverteidigungssystem „Sky Shield“.
17. Künftiger EU-Beitritt der Ukraine.
18. Weitere Finanzhilfen für die Ukraine durch die EU.
19. Aufweichung der strikten Neutralität Österreichs in Reaktion auf die neuen geopolitischen Bedrohungslagen.
20. Dauerhafte Grenzkontrollen an den Ost- und Südgrenzen Österreichs.
21. Humanitäres Bleiberecht statt Abschiebung für nicht aufenthaltsberechtigte aber gut integrierte Asylwerber.
22. Klarnamenpflicht bei Social-Media Postings.
23. Sachleistungen (Bezahlkarten) statt Geldleistungen für Asylwerber.
24. Obergrenze von 10.000 EUR für Bargeldzahlungen in Österreich.
25. Kündigung der Gaslieferverträge mit Russland und Verhandlungen mit anderen Ländern.

Ich denke, das sind relevante Fragen, wenn es um die politischen Positionen der Parteien im Rahmen der Europawahl geht. Es gibt nie eine „mittlere“ Haltung, die man ankreuzen kann – man muss sich also entscheiden; man kann jede Frage aber auch verweigern bzw. „überspringen“. Automatismen bei der Ausfüllung eines Fragebogens – „eh immer dafür / dagegen“ – sollen so offenbar vermieden werden.

Nach diesen 25 Fragen folgen noch einige Fragen zu Geschlecht, Alter, Schulbildung, Haushaltsgröße, Bundesland, Staatsbürgerschaft, Parteipräferenz bei der Europawahl und Parteipräferenz bei der Nationalratswahl. Auch da kann man die Antwort verweigern durch „keine Angabe“. Ich denke, OGM arbeitet da bereits an Meinungsumfragen zu den Wahlen und an guten Stichproben – die online bearbeitbar sind.

Ich freue mich auf Erfahrungsberichte mit ivote.at.

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